Marcel Köppli

Protestantische Unternehmer in der Schweiz des 19. Jahrhunderts


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sehr vielfältige Bezeichnung ergänzend nachgeholt.197 Hierzu dient die hilfreiche Definition im «Lexikon der Wirtschaftsethik»; Franz Blome-Drees schreibt dort: «Mit dem Begriff ‹Unternehmer› werden Menschen bezeichnet, die sich durch bestimmte Eigenschaften auszeichnen. Sie reagieren nicht nur auf gegebene Verhältnisse, sondern ergreifen aktiv die Initiative. Sie zeichnen sich durch ihre Entscheidungskraft, kreative Aktivität und Leistungsmotivation aus, und sie sind bereit, in einer Welt voller Unsicherheit für sich und andere Risiken zu gestalten und zu übernehmen.»198 Im Zentrum dieser Definition steht also die Risikoübernahme des Unternehmers.199 Dabei wird davon ausgegangen, dass der Unternehmer auch zugleich der Eigentümer des Unternehmens |66| ist, was auch mit dem Ausdruck «Eigentümer-Unternehmer»200 bezeichnet wird. Selbstverständlich ist jedoch auch eine «Differenzierung in Unternehmer und Kapitalgeber»201 möglich. Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass die hier untersuchten Unternehmer für ihre patriarchal geprägte Lösung der sozialen Frage immer die Situation eines Eigentümer-Unternehmers voraussetzten.202

      Welches sind nun mögliche Gründe, die dazu geführt haben, christliche Unternehmer wissenschaftlich zu erforschen?

      Ein erster Grund liegt darin, dass in den letzten 20 Jahren vermehrt nach dem Verhältnis der Kirchen zur Wirtschaft, insbesondere zu Unternehmen und Unternehmern gefragt wurde.203 Gerade auch die Denkschrift der Evangelischen Kirche Deutschlands «Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive» (2008) gibt davon beredtes Zeugnis; so heisst es dort, es brauche «überzeugende, glaubwürdige und tatkräftige Unternehmer und ein positives Leitbild für unternehmerisches Handeln»204. Doch nicht erst in den letzten 20 Jahren wurde nach dem Verhältnis von christlichem Glauben und Wirtschaft gefragt. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat Max Weber mit seinem religionssoziologischen Aufsatz «Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus»205 eine bis in die Gegenwart intensiv und kontrovers diskutierte These zum Verhältnis von protestantischem Glauben und Wirtschaft aufgestellt.206 Auch wenn diese These nicht direkt das Verhältnis zwischen christlichen |67| Unternehmern und Kirchen thematisiert, so verdient sie dennoch – nur schon wegen ihrer grossen Bekanntheit und vielfältigen Rezeption vor allem des «‹Idealtypus› des kapitalistischen Unternehmers»207 – hier erwähnt zu werden. Die sogenannte Max-Weber-These besagt, dass der Calvinismus und insbesondere bestimmte Formen des Pietismus und Methodismus der geistige Nährboden für die Entwicklung des Kapitalismus gewesen seien. Dabei habe die Haltung der «innerweltlichen Askese»208 des calvinistisch geprägten Protestantismus zusammen mit einer religiös verstandenen Berufsausübung den Kapitalismus vielfach begründet und befördert. Es ist also dieser Zusammenhang – das vermehrte Fragen nach dem Verhältnis der Kirchen zur Wirtschaft –, das auch verstärkt zu einer Analyse christlicher Unternehmer geführt hat.

      Ein weiterer Grund, der die Analyse christlicher Unternehmer beförderte, liegt in der intensivierten wissenschaftlichen Untersuchung des «sozialen Protestantismus».209 Als konkrete Beispiele von in diesem Umfeld entstandenen Werken sei hier sowohl die Monographie210 über den christlichen Unternehmer Carl-Ferdinand Stumm (1836–1901) sowie ein soeben erschienener Sammelband211 mit zahlreichen Porträts christlicher Unternehmer aus Mitteldeutschland genannt. |68|

      Zudem lässt sich auch ein vermehrtes wissenschaftliches Interesse an der Erforschung von Unternehmern beobachten,212 ein Interesse, das sich auch in der Forderung äussert, Unternehmensarchive als Kulturgut zu behandeln und dementsprechend zu schützen.213

      Doch nicht nur Unternehmensarchive wurden als Kulturgüter entdeckt, auch die industriellen Objekte selbst wurden zunehmend als Kulturgüter erkannt und infolgedessen eine «Industriedenkmalpflege» gefordert.214 Selbstverständlich hat die Industriedenkmalpflege per se nicht direkt zur wissenschaftlichen Analyse christlicher Unternehmer geführt, sie ist aber offensichtlich ein weiterer wichtiger Grund, welcher im thematischen Zusammenhang mit der Erforschung christlicher Unternehmer steht.

      Welche konkreten Beispiele bereits erforschter christlicher Unternehmer gibt es nun? Im Folgenden werden christliche Unternehmer porträtiert, die in der Forschung gründlich untersucht worden sind. Dabei soll vorerst auf Beispiele aus dem Protestantismus, anschliessend auf solche aus dem Katholizismus eingegangen werden. In der Zeit vor 1870 sind im Protestantismus in Deutschland215 unterschiedliche Lösungsansätze zu beobachten, mit denen versucht wurde, auf die soziale Frage mit dem Konzept einer christlichen Fabrikgestaltung zu antworten. Die propagierten Lösungen beinhalteten anfänglich |69| zumeist Aspekte genossenschaftlicher Selbsthilfe.216 Die beiden prominentesten Persönlichkeiten, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden, sind Carl Mez (1808–1877) und Gustav Werner (1809–1887)217. Der süddeutsche Pietist Mez war politisch als Abgeordneter in der badischen Kammer engagiert und versuchte als Unternehmer «den Privatkapitalismus durch das Experiment einer Genossenschafts- bzw. Bundesfabrik zu überwinden».218 Der württembergische Radikalpietist Werner hingegen wollte durch eine «eigenwillige christokratische Begründung»219 die Grossindustrie mit dem Reich Gottes zusammenbringen. Es gelang ihm jedoch trotz grossem Engagement und vielen Spenden nicht, Gewinn zu erwirtschaften, und so musste er seine Unternehmen in gemeinnützige Stiftungen umwandeln.

      Es gab jedoch nicht nur Versuche, die soziale Frage mit Hilfe genossenschaftlicher Ideen zu lösen. Die überwiegende Mehrzahl der christlichen Unternehmer war nämlich der Überzeugung, dass sie als christliche Unternehmer mit dem Konzept des Patriarchalismus auf die soziale Frage antworten sollten. Nur wenige christliche Unternehmer zeigten Ansätze, die über den Patriarchalismus hinausgehen.220 Ein prominenter und auch kämpferischer Vertreter eines solchen Patriarchalismus war der bereits erwähnte Carl-Ferdinand Stumm (1836–1901).221 Stumm gehörte – zusammen mit Sarasin – zu den Initiatoren der Bonner Konferenz.222 Auch der bereits erwähnte christliche |70| Unternehmer Ernest Mehl kann als Vertreter des Patriarchalismus gesehen werden. Mehl hat sich vor allem mit betrieblicher Sozialpolitik für seine Arbeiter engagiert, gerade auch weil er in der patriarchalen Fürsorge für seine Arbeiter eine Möglichkeit zur Missionierung sah.223 Ähnlich patriarchal dachte auch der christliche Unternehmer Carl Bolle (1832–1910) in Berlin – genannt «Bimmel-Bolle» – welcher sich ebenfalls mit Frömmigkeit und betrieblicher Sozialpolitik profilierte.224

      Neben diesen gut erforschten, christlichen Unternehmern gibt es im Protestantismus unzählige weitere, deren Betriebsführung jedoch nicht direkt mit dem Christentum in Verbindung gebracht wird,225 oder auch solche, die noch nicht derart gründlich wie die oben genannten untersucht worden sind, aber in der Forschung erwähnt werden.226 |71|

      Auch im Katholizismus gab es viele Versuche, auf die soziale Frage mit einer christlichen Fabrikgestaltung zu reagieren.227 Anknüpfungspunkt für eine christliche Fabrikgestaltung waren im Katholizismus meist nicht genossenschaftliche Ideen oder der Patriarchalismus, wie im Protestantismus, sondern «Humiliatenbruderschaften, d. h. fromme Laien, Männer und Frauen und solche, die in ihren Familien ein religiöses Leben führten»228. Im Katholizismus sind daher verschiedene Versuche einer klösterlichen Gestaltung des Fabrikwesens zu beobachten.229 Grundsätzlich fokussierten sich die Initiativen zur Gründung christlicher Fabriken im Umfeld des Katholizismus weniger auf die Person eines christlichen Unternehmers, sondern vielmehr auf die Institution der Fabrik. So steht denn in einer der gründlichsten Untersuchungen zur christlichen Fabrikgestaltung im Katholizismus auch nicht ein einzelner christlicher Unternehmer im Zentrum, sondern die «Firma Villeroy & Boch als Modell [einer] christlich inspirierten betrieblichen Institution»230. Selbst­verständlich spielte «die religiös-christliche Orientierung der Fabri­kanten­familie»231 eine zentrale Rolle bei der Schaffung der christlich inspirierten betrieblichen Wohlfahrtsinstitutionen, eine Fokussierung auf eine Einzelperson als christlichen Unternehmer fand jedoch nicht statt. Ein weiteres herausragendes Beispiel einer christlichen Fabrik ist die Textilfabrik des französischen Industriellen Léon Harmel (1829–1915). Harmel schuf in seinem Betrieb eine beeindruckende Vielfalt an Wohlfahrtseinrichtungen, von ihm kamen ausserdem wichtige Impulse für die Entwicklung der katholischen Soziallehre.232 Selbstverständlich gibt es wie im Protestantismus auch im Katholizismus unzählige