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Sternstunden der Wahrheit


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wisst ihr’s noch –

      das schöne stille Sommerloch.

      Es dehnte sich ins Land hinein,

      war nichts drin, nur der Sonnenschein

      und warmer Sand und stille Straßen

      und Langeweile. Und wir saßen

      am Frühstückstisch, schon sonnensatt,

      vor einem leeren Zeitungsblatt.

      Und jetzt? Das Sommerloch ist weg,

      ist zugespült mit Müll und Dreck

      von kräftigen Gewitterregen,

      die täglich durch die Lande fegen.

      Kaum ist der Fußballjubel aus,

      gewittert es im Bundeshaus.

      Es kracht in den Gesundheitsfragen

      Angela, fast vom Blitz erschlagen,

      entfleucht mit Bush auf den G8,

      auch da gewittert’s Tag und Nacht.

      Es kracht und blitzt im Libanon,

      auf Java schwimmt das Land davon

      Und ich? Ich schluck den ganzen Mist,

      wo draußen so schön Sommer ist.

      Kaum kann ich morgens aufrecht stehen,

      muss ich schon lesen, hören, sehen:

      Da läuft was schief, da haut es rein.

      da geht massiv was kurz und klein.

      Das schlägt mir kalt in diesen Tagen

      auf meinen sonnenwarmen Magen.

      Mein Gott, wie war es doch vordem

      im Sommerloch so angenehm.

      Nix los war. Na ja, meinetwegen

      mal zu viel Hitze, zu viel Regen.

      Vielleicht auch noch so ‘n Firlefanz wie Wimbledon und Tour de Franz.

      Du schönes stilles Sommerloch,

      sag mal, wo bleibst du? Gibt’s dich noch?

      Klaus Pawlowski (20.7.2006)

      Die Wahrheit-Sprachkritik: Journalistische Schnitzereien aus der Holzgrammatik

      Als Vertreter der vierten Gewalt im Staate schauen die Journalisten den Größen des Showbiz, der Politik, des Sports, der Wirtschaft und des Adels genau auf die Finger und mitunter auch sonstwohin, aber wehe, es untersteht sich jemand, die Arbeit der Journalisten am Satzbau zu kritisieren. Das lieben sie nicht. Auch der freundlichste Hinweis auf schmerzhafte Schnitzer wird entweder ignoriert oder mit dem tadelnden Vermerk abgewehrt, dass sich an solchen Lappalien nur sauertöpfische Oberlehrer stören könnten.

      Der Kapitän eines Bezirksligavereins, der mit dem Ball so stümperhaft umginge wie die Mehrheit der Journalisten mit der Grammatik, würde sich binnen kurzem auf der Ersatzbank wiederfinden oder im Kassenhäuschen. Die arrivierte Journalistin Isabell Hülsen aber darf ohne Angst oder Ängste um ihren Arbeitsplatz im Spiegel den Satz verbrechen: »Große Berührungsängste mit Kirch wird es bei allen Beteiligten schon deshalb nicht geben, weil man sich gut kennt.« Es hat also in diesen Kreisen niemand »Berührungsängste« mit Kirch. Aber kann man denn »mit« Kirch Berührungsängste haben? Es mag Geschäftsleute geben, die gewisse Sorgen mit Leo Kirch teilen, doch es wäre unsinnig zu behaupten, dass diese Menschen Ängste »mit Kirch« hätten oder gar »Berührungsängste mit Kirch«. Die Autorin wollte vermutlich sagen, dass die Beteiligten keine Angst davor hätten, mit Kirch zu kooperieren oder mit ihm gesehen zu werden. Geschrieben hat sie stattdessen, dass die Beteiligten keine Berührungsängste »mit« Kirch hätten, und das ist Kappes. »Ich habe keine Ängste mir dir«, sagte Romeo zu Julia. »Was für Ängste?«, fragte Julia zurück, und ihre Rosenlippen erbebten. »Na, Berührungsängste mit dir!«, erwiderte Romeo …

      Im journalistischen Jargon hat sich die Pest der falsch verbundenen »Berührungsängste« bereits unausrottbar tief eingefressen. Im Hinblick auf die Homosexualität hat Alexander Zinn, der Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg, die Öffentlichkeit wissen lassen, dass viele Lehrer »immer noch Berührungsängste mit dem Thema« hätten. Das Kuratorium Deutsche Altershilfe empfiehlt auch älteren Menschen den Zugang zum Internet: »Denn sind erst einmal die Berührungsängste mit dem neuen Medium abgebaut, kann es zu einer höheren Lebensqualität im Alltag beitragen.« Zum Tagesordnungspunkt »Heizen mit Weizen« teilt der Energiewirtschaftsjournalist Bernward Janzing uns allen mit, dass wir »keine Berührungsängste mit der Energie vom Acker« haben müssten. Die furchtlosen Musikanten der Combo Pur wiederum bekunden, dass sie »keine Berührungsängste mit Klassik« hätten, während die Fachzeitschrift Brigitte den gebärfähigen Frauen dazu rät, beim Ertasten des Zervixschleims und des Muttermunds »keine Berührungsängste mit dem eigenen Körper« zu haben. Lothar Bisky kennt »keine Berührungsängste mit der SPD«, Frieder Burda »keine Berührungsängste mit Kunst« und der Fernsehkommissar Richy Müller »keine Berührungsängste mit Stuttgart«. Google weist inzwischen mehr als 60.000 andere nichtvorhandene Berührungsängste aus; Tendenz steigend.

      »Hab keine Angst / vor dem, / der dir sagt, / er hat Angst«, dichtete einst der große Lyriker Ulrich Fried-Honecker. »Aber mach dich vom Acker, / wenn jemand schreibt, / er kenne keine Berührungsängste / mit Stuttgart.«

      Gerhard Henschel (2.10.2007)

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      Ist dies die moderne Version der Dachstube von Spitzwegs »Der arme Poet«? Mitnichten, auf den ersten Blick hat es Michael Rudolf in seinem Arbeitsdachstübchen schön warm. Dafür sorgen schon Zentralheizung und Nut-und-Feder-Bretter (1) aus dem Baumarkt. Doch Vorsicht: Das Zeug brennt wie Zunder! Ursache für die Verbannung ins Dachgeschoss ist die sorgsam aufgerüstete elektrische Billiggitarre (2), mit der er in schweren Stunden Zerstreuung und innere Sammlung sucht. Die Odd-Time-Grooves werden dann schon mal seinem Kumpel Jürgen Roth (3) telefonisch übermittelt. Und wenn ihn seine Verleger wieder auf die Palme gebracht haben und er unbeherrscht herumschreit, dann eilen Frau, Kind und Katze herzu und verschließen ihm den Brüllmund mit linderndem Klebeband (4). Dann gelingt es nur noch mittels der ins Telefon integrierten Faxfunktion (5), Kontakt mit notorischen Internetverweigerern wie Horst Tomayer oder Eugen Egner aufzunehmen.

      Während Michael Rudolf noch darüber brütet, ob er mit dem gut versteckten Fleischermesser (6) seinen Verlegern innere Blutungen, mindestens aber Warnwunden an lebenswichtigen Organen zufügt, hat er die Tintenpatrone (7) bereits mit selbst gezapftem Herzblut gefüllt, die allein für E-Mails an seine besten Freunde und seine Lieblingsredakteurin bestimmt ist. Allein der Flachbildschirm (8) verweigert derweil den Dienst und zieht es vor, Kometen wiederzugeben.

      Weitere Fotomotive (9) und viel Zettelwerk (10) vermitteln dem Besucher einen atemberaubenden Eindruck von Rudolfs Existenz und erinnern ihn selbst an eine bewegte Gegenwart. Von den Zetteln ist nur einer wichtig: der, der ihm die zu schreibenden Bücher der nächsten Monate, ja Jahre vorgibt.

      Der Trittin-Bunker (11) mit der fulminanten Mehr- und Einwegflaschensammlung stört den gelernten Brauingenieur und Autor vieler Werke über die Kultur des Biermachens und Biertrinkens keineswegs, schließlich hat sich »Der Pilsener Urknall« genau hier angebahnt. Daran gemahnt auch der Wahrheit-Ausriss (12) vom 15. September