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Sternstunden der Wahrheit


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ins Niedersächsische dort unter ihrem ostfälischen nom de guerre »Harzer Roller« wiedergängerisch auflauerte, begann ich, Pamphlete gegen den fiesen Sauermilchkäse zu schreiben. Einmal ließ ich mich sogar dazu hinreißen, ihn als »Goebbels unter den Molkereiprodukten« zu bezeichnen, aber leider konnte ich niemanden für mein Leiden an der Viktualienwelt interessieren. So stumpfte ich schließlich ab. Vielleicht war ich auch nur des Kämpfens müde.

      Heute kann man mir den Handkäs meinetwegen hinter die Heizung kleben, ich werde es ignorieren. Ich zucke auch nicht mit der Wimper, wenn jemand neben mir »Braunkohl mit Bregenwurst« – eine Braunschweiger Spezialität, die genauso schmeckt, wie sie klingt – in sich hineinwürgt, dabei das aus der Hirnwurst heraustretende Fett über seine beiden Lefzen auf den Teller zurückfließen lässt und anschließend sauer aufstößt und »Mhm, lecker!« stöhnt. Mir doch egal. Ich bin immun gegen die Fiesheiten der deutschen Regionalküche.

      Neulich musste ich jedoch kurz schlucken. Gelangweilt zappend stolperte ich in einen Fernsehbericht über die Essgewohnheiten der Isländer, in dem es zunächst um Speise-Banalitäten wie »Trockenfisch« und »Gesengte Lammköpfe« ging, dann aber ein kulinarischer Knaller präsentiert wurde, der einem buchstäblich den Atem raubt: der traditionell am 23. Dezember aufgetischte »Gammelrochen«. Dazu lässt man einen toten Rochen vier Wochen in einem Bottich vor sich hin faulen (!), nimmt dann den verwesten, grün schimmernden, nach der »Nacht der lebenden Toten« stinkenden Fisch heraus, entbeint ihn, kocht ihn zusammen mit ausgelassenem Schafsfett zu einer zähen Matschepampe – und voilà: Ein auf Weltniveau aasig-nasenzersetzendes Vorweihnachtsessen ist fertig. Dazu trinkt man frische Milch, wahrscheinlich weil die Faulgase im Magen neutralisiert werden müssen. Die gestopften Adventsgäste könnten ja ansonsten explodieren, wenn sie zu später Stunde nach Hause kommen, den Lichtschalter betätigen und in diesem Moment aus Versehen gerade ausatmen.

      Verstört ertappte ich mich bei der Frage, warum eigentlich ein hungriger Rotenburger vor Gericht steht, 280.000 Isländer aber frei herumlaufen. Dann nahm ich einen milden Imbiss und ging beichten.

      Hartmut El Kurdi (22.1.2004)

      Abnehmen mit der speziell entwickelten Männer-Diät

      Groß war der Jubel beim männlichen Teil der Wahrheit-Redaktion, als der Werbedienst ots gestern eine lang ersehnte Meldung über die Ticker jagte: »Die erste Diät speziell für Männer startet in den deutschen Markt.« Die erste Diät nur für Männer, wie sieht die wohl aus? Bier, Chips und Pornos, war man sich schnell einig – umso größer war dann die Enttäuschung, als man entdeckte, was sich tatsächlich hinter der speziellen Männer-Diät versteckt: ein »ballaststoffbasiertes Diätpaket« mit »Vitalstoffen«, das auf den rhabarberdummen Namen »amapur for men« hört. Bäääh. Schon jetzt tun uns die armen Frauen leid, die – angelockt von dem Reklamegetratsche – diesen Quark für ihre Gatten kaufen. Werden wir das Zeug doch schleunigst in der Toilette wegspülen. Denn alles, was nicht nach Bier, Chips und Pornos schmeckt, rühren Männer sowieso nicht an.

      (19.5.2004)

      Diät speziell für Männer bei der Wahrheit eingetroffen

      In der vergangenen Woche stellte die Wahrheit an dieser Stelle eine Diät speziell für Männer vor. Zunächst war der Jubel groß, dachten wir doch, es handele sich um Bier, Chips und Pornos. Doch dann stellte sich heraus, dass die Diät namens »amapur for men« aus »Vitalstoffen mit allen essenziellen Vitaminen« besteht. So was aber wollten wir unseren zarten Männerkörpern dann doch besser nicht antun. Das musste auch die Firma »amapur« einsehen und schickte uns am Wochenende ein Paket mit Bier, Chips und Pornos. »Unsere Diät gibt es abgestimmt auf jedes Bedürfnis«, schreibt Peggy Reichelt, die »amapur«-Geschäftsführerin, dazu. Zu Ehren der lernfähigen Firma »amapur« werden wir die drei Dosen Bier wegtrinken, die zwei Packungen Chips leer knabbern und die vier Pornoheftchen voll … – äh, nun ja, sie wissen schon … Hauptsache, wir nehmen dabei ab.

      (24.5.2004)

      Die zeitgenössischen Formen der Erniedrigung und Beleidigung des Proletariats sind vielfältig. Hartz IV ist eine böse, das Fernsehen eine plumpe. Man kennt sie, findet sich damit ab oder kämpft aussichtslos wie einst Don Quijote.

      Eine besonders perfide Art aber haben sich die Dunkel- und Hintermänner meines bevorzugten lokalen Brötchenkonzerns ausgedacht. Sie demütigen uns nicht einfach, sondern sie zwingen uns zur Selbstdemütigung. Das geht so:

      Der Oberbäcker schraubt sich im Morgengrauen derart dämlich infantile Namen für sein leckerstes Backwerk aus den Hirnkurven, dass schon der Anblick des geschriebenen Wortes jeden Menschen, dem die Sprache nur einen Zehner-Semmel wert ist, Brechreiz hervorruft. Achtung, lieber Leser, tief einatmen: Er heißt seine Brötchen nämlich: Kraftikus, Röggelchen, Kartöffelchen, und die leckersten von allen gar – wurps – Knackfrische! Sie winseln bereits um Gnade? Genug? Genug!

      Nun schreibt der Bäcker kleine Schildchen, die er in seinen Filialen vor die Regale pappt, stellt maulfaule junge Damen mit leichtem Knick in der Optik als Verkäuferinnen ein und lässt der Tortur ihren Lauf. Anders lässt sich nicht beschreiben, was ich in meiner Bäckereifiliale täglich erlebe. Hunger und Gier nach den goldbraunen, dezent gestäubten Brötchen (»Knackfrische«) sind stark, der Ekel vor dem Wort und die Angst vor der Peinlichkeit seiner Aussprache im Beisein erwachsener Menschen ist stärker. Ich deute auf das Regal, sage: »Sechs davon«, und prompt greift die Verkäuferin die Sesambrötchen. »Nein, daneben«, stottere ich, sie packt die Laugenbrötchen. »Nein, äh, sechs Normale …« – »Wir haben keine Normalen, nur Röggelchen, Kartöffelchen, Kraftikusse, Knackfrische …« – »Genau die!« – »Also Röggelchen?« – »Nein, äh …« Mein Kopf ist kurz vor dem Platzen. »Welche denn nun, junger Mann …?« Der Silberblick der Verkäuferin schweift, betont genervt und gelangweilt, über die Gesichter der inzwischen ansehnlich gewordenen Kundenschlange und sagt: Seht her, wegen eines solchen Deppen, der nicht in der Lage ist, eine ganz gewöhnliche Bestellung aufzugeben, müssen jetzt alle warten und kommen zu spät ins Büro oder zur Talkshow mit dem Pastor Fliege. Ich versinke vor Scham.

      Zu Hause gibt’s noch eins drauf: »Wieso bringst du sechs Mohnbrötchen an, die isst doch hier kein Mensch.« Die wissen hier halt nichts von meinem glorreichen Kampf. Ich habe Hunger, aber ich habe widerstanden. Ich habe mich nicht erniedrigt. Und ich profitiere für mein weiteres Leben.

      Der weit verbreitete Selbstbewusstseins-Steigerungstrick, dass die Angst vor einer Autorität schwindet, wenn man sich diese nackt in der Sauna vorstelle, mochte bei mir noch nie so recht funktionieren, allenfalls in Kombination mit Adiletten an pilzigen Füßen. Nun aber habe ich mein persönliches Autoritätszerstörungsbild gefunden: Ich schicke eine Autorität oder hochgestellte Persönlichkeit in Gedanken zum Bäcker und lasse sie »zwei Knackfrische, ein Kraftikuss und ein Kartöffelchen« ordern. Kann man vor jemandem, der solch einen Stuss öffentlich ausspricht, Respekt haben?

      Joachim Frisch (5.8.2004)

      Es war spät, und wir waren hungrig, als wir im Hotel in Pisa ankamen. »Das wird schwierig«, meinte der Hotelangestellte, »aber bei Camillo bekommt ihr vielleicht noch etwas. Ich kenne ihn, grüßt ihn von mir, und er wird euch nicht wegschicken. Aber avanti!« Erste Straße links, dann das zweite Restaurant auf der rechten Seite, lautete die eindeutige Wegbeschreibung.

      Die Gaststätte sah nicht sonderlich Vertrauen erweckend aus. Es war eher eine Art Imbissstube mit ein paar Resopaltischen. »Es gibt nur Pizza«, sagte der Wirt zur Begrüßung. Warum nicht? Schließlich waren wir in Italien. Ob er Camillo sei, fragte ich den Wirt, und er nickte stumm. Ich solle ihn von seinem Freund an der Hotelrezeption grüßen, meinte ich und wunderte mich nicht über seinen