und die Welt ins Nichts zurückgestoßen werden („antikosmisch“). Die Energien, die dazu nötig sind, kommen von Luzifer/Satan. „Anti-Cosmic has he function of bringing disharmonic Chaotic energies into Cosmos, this way speeding up the evolution that leads the creation back to the formless chaos that descends it from“69,so die Philosophie des „Ordens“ in einem Selbstzeugnis. Im Hintergrund steht eine gewisse politisch-religiöse Radikalisierung der skandinavischen Gothic-Szene, in deren Gefolge es zu Brandstiftungen an Kirchen und zu Morden – auch innerhalb der Szene – gekommen war.70 Von hier aus wird auch erkennbar, warum die Gothic-Szene anfällig ist für die Infiltration mit nationalsozialistischem und neofaschistischem Gedankengut. Kirche, Christentum und Demokratie sind die gemeinsamen Feindbilder. Wilde Zerstörungswut, gepaart mit der sozialdarwinistisch motivierten Hoffnung, dass eventuell die Über- oder Herrenmenschen die neue Welt regieren werden, das sind Verbindungslinien zwischen satanistischem Black Metal und der Neonazi-Szene. Rob Darken, der Frontmann der polnischen Band Graveland, erläuterte in einem Interview die Absichten der unter dem Banner NS-Black Metal zusammengeschlossenen rechten Gruppierungen wie folgt: „Der deutsche Kriegsgeist muss erwachen! Wir sollten menschenfreundliche Ideen zerstören! Aber wir tun nichts und viele Leute aus der Türkei, Neger und andere Subkulturen kommen in unsere Länder und mischen unser Blut! Sie zerstören unsere Kultur und Traditionen! Zerstören die Demokratie, das Christentum, die amerikanische Kultur. Es ist höchste Zeit, aufzuwachen und einen neuen Krieg zu beginnen!“ Die Ablehnung einer todverfallenen Kultur führt hier selbst zu Hass- und Gewaltfantasien. Oder anders: Wenn man Satan als den Herrn der Welt anerkennt, gerät man auch unter seine Gewalt.
Das Thema Neofaschismus und Metal-Kultur erfordert sicher eine differenziertere Betrachtung, als sie an dieser Stelle möglich ist. In den Texten der deutschen Gruppe Death in June entdecke ich andere Töne, die vielleicht gehört zu werden verdienen. Mit ihrem Namen erinnert die Gruppe, die in Kampfanzügen und Masken auf der Bühne erscheint und Nazi-Symbole auf ihren Covers führt, an den 30. Juni 1934, als Hitler den so genannten Röhm-Putsch niederwarf, d. h. die SA vernichtete und 200 seiner treuesten Anhänger ohne Gerichtsurteil exekutierte. In ihrem Album „Brown Book“ – der Name ist einem DDR-Dossier zur Dokumentation der Gräueltaten der Nazis entlehnt – gibt es die Zeilen:
„Wird er meine Seele halten?
Wird er mein Herz herausreißen?
Wird er, wird er
Mich zerreißen?
Eine Rose zu ertränken
[…]
Liebe ist jetzt leer
Für immer unvollständig
Ein Stich ins Herz der Hoffnung […]
Wir beten für das Ende
Wir fordern die Hinrichtung
Eines zerstörten Glaubens, der fehlt
Einer sterbenden Liebe, die vergeht“71
Ist dies vielleicht ein Stück „Poesie nach Auschwitz“, die laut Adorno zu schreiben barbarisch wäre? Wer gedenkt der missbrauchten Liebe, der zerstörten Hoffnung der damaligen jungen Generation? Und ist nach einem solchen Missbrauch von Liebe, Treue, Glaube und Hoffnung nicht die Liebe überhaupt gestorben? Was bedeutet diese historische Lektion für die jungen Menschen heute? Können sie noch lieben und hoffen? Nach Richard Leviathan, selbst ein Angehöriger der Gothic-Kultur, handelt es sich bei den Songs von Death in June um „Kunstwerke, die tief in das finstere Herz unseres historischen Gewissens eintauchen“.72 Solche Finsternis mit einem schwachen poetischen Licht zu erhellen ist auch eine Arbeit an der Todverfallenheit unserer Gesellschaft.
Doch zurück zu Satan und dem Satanismus, die natürlich in unserem Zusammenhang vor allem interessieren. Was ist darunter zu verstehen? Viele Deutungen sind möglich, so wie der Teufel ja auch viele Namen hat. Nik Page, ein deutscher Gothic-Sänger, der mit mehreren Bands zusammengearbeitet hat, steht dem Satanismus nahe.73 Er versteht unter dem Satan aber nicht „den Teufel, den die Kirche selbst erschaffen hat, um das niedere dumme Volk noch besser kontrollieren zu können“, auch nicht den „Gott der Bosheit“ oder einfach „eine Art negative Energie, die in jedem von uns steckt“, sondern, viel raffinierter, die Kraft der Versuchung, die es auf unsere Schwäche abgesehen hat, um sie in eine Stärke zu verwandeln, die uns schließlich selbst zerstört. „Mephisto [so nennt er ihn im Anschluss an Goethes Faust] beweist uns Tag für Tag, dass der Mensch jede großartige Erfindung früher oder später in ein Instrument der Zerstörung verwandelt … und dennoch haben wir ihm den luxuriösen Alltag unserer Konsumgesellschaft zu verdanken, den niemand freiwillig missen will.“ Es ist also der Teufel, der im Kapitalismus steckt und dem alle tatsächlich dienen. In genialer Umdichtung erzählt Nik Page den Mythos vom Engelssturz neu: Die drolligen kleinen Engel und ihr weißbärtiger Super-Opi leben in Harmonie und Langeweile auf einer Wolke, bis eines Tages Luzifer „mit großen Kulleraugen und Schmollmund“ um Einlass bittet. „Es dauerte jedoch nicht lange, bis das Miststück seinen wahren Charakter offenbarte. Sie war nicht nur der schönste, sondern auch der intelligenteste aller Engel.“ Bald hatte sie alle Engelknaben um den Finger gewickelt und „Opis tugendhaftes Paradies in eine lasterhafte Partyhöhle verwandelt“. Zwar wurde die „undankbare Partygöre“ aus dem Himmel verstoßen, aber nun, auf Erden, treibt sie es umso schlimmer. Im Song „Mephisto“ besingt Nik Page den teuflischen Gott der Lust und der Bedürfnisse ganz in diesem Sinne:
„Du bist der Gott der Maschinen
Der Schöpfer der Lust
Hast uns die Augen geöffnet
Bist der sündige Kuss
Hast die Erleuchtung versprochen
Uns Zerstörung geschenkt
Hast uns die Unschuld genommen
Unser Karma gelenkt
Tief in meiner Seele brennt ein Feuer nur für dich …
Mephisto.“
Es ist also unsere Lust selbst, die die Maschine antreibt, die uns Zerstörung bringt. Und dieser Mechanismus funktioniert in mephistophelischer Kraft. Der Satanismus, der der Gothic-Culture zur Last gelegt wird, ist der einer auf grenzenlose Bedürfnisse, auf ewige Lust getrimmten Kultur. Dass damit beileibe nicht nur die sexuelle Lust gemeint ist, entnehme ich einem auffälligen Moment, das sich wie ein roter Faden durch die Selbstzeugnisse der Gothic-Kulturwelt zieht: der Hass auf die Musikindustrie. „Fuck the Industry!!“74, so oder so ähnlich heißt es immer wieder. Man schimpft auf die Musikindustrie, auf Kommerzialisierung und Verflachung – und kann ihr doch nicht entkommen. Denn sie allein macht das Überleben der Bands möglich, sie verschafft ihnen bisweilen erheblichen Erfolg und Wohlstand. Versuche, die eigenen Produktionen in selbst gegründeten, nicht kommerziellen Labels zu vertreiben, müssen wohl sämtlich als gescheitert gelten.75 Man bleibt dem teuflischen System ausgeliefert, man dient ihm selbst – und da haben wir den Grund für den Satanismus der Szene.
5. Die beiden Seiten der Engelreligion
Die Engelreligion ist, das habe ich zu zeigen versucht, so recht die Religion unserer Zeit. Sie kennt keine Dogmen, keine Hierarchie und keine institutionelle Gestalt. Sie stellt keine Forderungen und hat keine Gebote. Sie baut auf Erfahrung und nicht auf Glauben. Sie schränkt Freiheit nicht ein, verlangt keine Bekenntnisse und verzichtet auf religiöse Abgrenzungen. Sie entspricht dem Individualismus und der Suche nach eigenem persönlichem Ausdruck. Sie vermittelt gegen alle Vereinzelung ein Gefühl von Ganzheitlichkeit, allseitiger Verbundenheit und Geborgenheit. Sie schafft Ordnung im Weltbild und im eigenen Inneren. Sie vermittelt Heil und Heilung für die kleinen und großen Nöte des Daseins. Sie antwortet auf die unendliche Sehnsucht nach Liebe. Es ist, als wenn ein genialer Religionsstifter die gesamte Religionsgeschichte auf ihre guten und bewährten Elemente hin durchgemustert und diese auf die Bedingungen der Moderne adaptiert hätte, dabei alles Überlebte, Schwierige und Unangenehme beiseite lassend. Aber so ist es ja nicht gewesen. Diese Religion hat sich vielmehr