Thomas Ruster

Die neue Engelreligion


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sich hier auch eine echte Wahrnehmung. Hier werden Mächte erfahren, deren Ausdruck von selbst zur Gestalt des Satanischen und Dämonischen drängt – und darum ist diese Szene zur Engelreligion hinzuzunehmen.

      „They know something is wrong. They don’t feel comfortable in their given setting in live“52, so charakterisiert der Leader der Band Misery Index, Jason Netherton, die Stimmung bei den „Metal People“.53 Etwas, das sie falsch finden, ist offensichtlich schon das Verschweigen und Verdrängen des Todes aus der Gesellschaft. Die Gothic-Leute54 tragen schwarz, behängen sich mit Symbolen des Todes, feiern in ihrer Musik die Macht des Todes; sie verleihen dem Tod Präsenz. Womöglich lieben sie den Tod sogar. Dies jedenfalls legt der Name der Berliner Band Thanateros nahe. Ihr Texter und Sänger Benjamin Richter erklärt: „Ich denke, dass der Tod und die Liebe von zentraler Bedeutung für den Menschen sind. Der Tod als der große unbekannte Gegenspieler des Lebens, das Unfassbare, Dunkle. Aber ohne Tod kein Leben. Unsere westliche, moderne Kultur versucht gerade alles zu tun, um den Tod […] zu verdrängen. Die Alten werden aus dem Blickfeld geräumt; man hat ewig jung und fit auszusehen; Todkranke werden an Maschinen angeschlossen, um sie um jeden Preis noch für ein paar Tage länger am Leben zu erhalten.“55 Richter, der Religionswissenschaft und Ethnologie studiert hat, versteht sich als Anhänger des Schamanismus. Mit diesem, einer uralten religiösen Tradition, begreift er die Einheit von Leben und Tod in einem zyklischen, natürlichen Ablauf, in einem „Circle Of Life“, wie ein Album von Thanateros von 2003 heißt. Seinen religiös fundierten Naturalismus stellt Richter bewusst gegen das westlich säkularisierte und auch gegen das christliche Weltbild, mit Recht übrigens, denn der christliche Glaube kann der natürlichen Wahrnehmung des Todes nicht beistimmen. Richter bezieht sich auf vorchristliche, vor allem keltische Traditionen und versteht sich als praktizierender Heide. Die Anknüpfung an heidnische Religion ist ein typisches Merkmal der Gothic-Culture. Thanateros und ein der Band angeschlossener, von Benjamin Richter mitbegründeter magisch-schamanischer Adarga-Orden (zusammen mit einem Adarga-Institut) beschränken sich nicht auf die Kritik unserer todvergessenen Gesellschaft, sie wollen auch einen Weg in die Zukunft weisen: „Thanateros versuchen […] das scheinbar verlorene Erbe einer vergangenen Ära, das Gestern mit dem modernen Geist, mit dem Heute zu verbinden und so einen möglichen Weg für das Morgen zu skizzieren.“56

      Doch nicht nur die Todesvergessenheit, viel mehr noch die Todesverfallenheit, ja die Faszination durch den Tod in unserer Gesellschaft bewegt die Gothic- und Metal-Szene. Die Plattencover mit den Atomkraftwerken, den verödeten Fabriklandschaften, mit dem Sieg des Meisters Tod deuten schon darauf hin. Wir sind eine Zivilisation, die auf der Macht des Todes beruht, die sich weit mehr Tod leistet, als nach dem natürlichen Zyklus angemessen ist. Diese geheime, uneingestandene Liebe zum Tod wird bei Heavy Metal ausdrücklich! Mick Mercer, der Herausgeber eines Szene-Magazins, notiert über die Anfänge des Goth: „Leben und Tod waren die verbreitetsten Themen der frühen Achtziger, wo die nukleare Bedrohung über unseren Köpfen schwebte. […] Man musste nicht lange nach Inspiration suchen. Der Verfall der Gesellschaft umgab uns überall.“57 Die amerikanische Band Sacred Reich gibt in einem ihrer Songs zu Protokoll: „Our atmosphere clouded with poison. We’re killing ourselves to live filling the world with hate and dissention. […] Our ignorance means death.“58 Gegen die Ignoranz unserer Verbrüderung mit dem Tod geht nicht nur diese Band an, die vor allem den American Way of Life mit seiner Umweltschädigung und seinem Kriegstreiben aufs Korn nimmt. Nicht die Metal-Music verbreitet morbide Stimmung, sie verschafft ihr nur Ausdruck. Die Band Cannibal Corpse, angesprochen auf die Frage, ob sie mit ihren Covers und ihrer Musik die jungen Leute nicht zur Gewalt motiviert, antwortet: „We’re not out trying to teach your children about violence. I mean, all they have to do is watch the news if they want to learn about it.“59 Es genügt also, die Nachrichten zu sehen, dann weiß man genug über die Macht des Todes in unserer Zeit. Die industrielle Produktion, die Vorherrschaft einer leblosen kalten Technik, die Herabwürdigung der Menschen zu Bedienern der Maschine und der Natur zur Ressource, zum Materiallager eines überdimensionierten Wohlstands, das ist der Hintergrund der der Gothic-Culture oft vorgeworfenen Todesfaszination. Die US-amerikanische Band Cattle Decapitation, um auch dieses Beispiel noch zu erwähnen, macht mit ihren grauenerregenden Covers und ihren Texten auf unseren wahrhaft satanischen Umgang mit Tieren aufmerksam. In einem ihrer Songs versetzen sie die Menschen selbst als Vieh ins Schlachthaus: „AAAAHHHHH! Millions of human hung up hooks suspended in deep freeze Subzero, sterile environment keeps meat tender and lean choice cuts from the slaughter. Husband, mother, daughter. Dead families kept together.“60 Hier wird etwas gesehen, was sonst verborgen gehalten wird. Die Band will nicht predigen, will nicht überzeugen. „I think the shock value we use is preaching enough“, erklärt das Bandmitglied Ryan.61

      Also ist Aufklärung die Sache des Metal, oder genauer: Aufwachen aus dem Traumschlaf unserer Zivilisation. „Punk war wie ein Faustschlag genau zwischen die Augen. Er haute dich aus den Socken, wenn du ihn das erste Mal hörtest, und auf einmal bedeutete der ganze Müll um dich rum überhaupt nichts mehr. Alles sollte sich verändern und entweder hast du das sofort und instinktiv begriffen oder nichts davon abgekriegt“, berichtet der Szenebeobachter Mick Mercer über die Anfänge der Goth-Bewegung.62 Man könnte sagen, dass die sich steigernde Brutalität und Härte dieser Musik darauf aus ist, immer neue solcher Faustschläge auszuteilen. Auch Gewalt kann aufklärerische Funktion haben, ohne Gewalt wird die kulturelle Vernebelung nicht zu durchbrechen sein (das wussten schon die Propheten der Bibel!). „In einem großen Umfang glaube ich fest daran, dass gewisse Formen der Gewalt positive Auswirkungen auf die Gesellschaft haben können. […] Gewalt ist ein Stellvertreter der sozialen Veränderung und ebenso eine gültige Form des künstlerischen Ausdrucks“, so war in einem Internet-Fanzine (Fan-Magazin) der Szene zu lesen.63 Die britische Band Grey Wolves, die sich, provozierend genug, in ihrer Namenswahl an die gleichnamige rechtsradikale türkische Terrorgruppe anlehnt, hat sich diesem Aufklärungsprojekt besonders verschrieben. Es gehe darum, „the dirt behind the dream“, den Dreck hinter dem Tagtraum, bewusst zu machen. Da aber das Bewusstsein dazu neigt, sich diesem Dreck gegenüber zu verschließen, ist nicht weniger als „cultural terrorism“ nötig, um es aufzuwecken. Die Gruppe übt ihren kulturellen Terrorismus durch bewussten Tabubruch, durch das Spiel mit unmoralischen und verbotenen Themen aus. Sie hat ein eigenes „Informationsministerium“, die Homepage „Open Wound Alliance“ begründet, um auf die offenen Wunden der Gesellschaft hinzuweisen. Dort findet man verwirrende, widersprüchliche, unkorrekte und provokative Informationen, die dazu dienen, die Benutzer zu irritieren und zu medienkritischen Menschen zu machen. Man sieht sich in einen „information war“ verwickelt und kämpft in diesem Krieg mit allen Mitteln.64

      Damit wird vollends deutlich, dass die Gothic- und Metal-Szene nicht nur anprangert, sondern auch auf Gegenstrategien zum miserablen Zustand unserer Gesellschaft sinnt. Dass diese Gesellschaft scheinbar so alternativlos daherkommt, „that there are no alternatives or dissenting ideas being discussed“65, das regt Jason Netherton von der Band Misery Index auf. Der Name der Band kommt von einer Art Armutsbericht in den USA, und dieser fällt Jahr für Jahr katastrophal aus. Der studierte Ökonom Netherton kämpft gegen Neoliberalismus, Turbokapitalismus und Globalisierung. Für ihn ist unsere Wirtschaftsform ein Programm zur Zerstörung des Planeten. Menschen werden zu Sklaven „der Maschine“ erniedrigt, werden zur Mordlust gegeneinander angeregt. „What remains here …? Bowing to the dollar in their selfish church of capital, where wealth encrusts their bodies, yet cancer fills their hearts? Brother will kill brother in this stained-glass abattoir called Earth“66, heißt es in dem Song „Retaliate“ in Anspielung auf das „stahlharte Gehäuse“ Max Webers. Netherton möchte die Ideen des Anarchismus und des Sozialismus wach halten, nicht als einzigen Ausweg aus der Krise, sondern um über Alternativen überhaupt nachdenken zu können. Die Rolle des Musikers ist für ihn die, Menschen eine Stimme zu geben, die sonst keine Möglichkeit haben sich auszudrücken.67

      Einen viel radikaleren Weg geht die Band Dissection, die der Black-Metal-Richtung angehört. Und hier stoßen wir auch zum ersten Mal auf den vielbeschworenen Satanismus der Gothic-Szene.68 Die Band steht im Umkreis des „Misanthropisch-luziferischen Ordens“, der sich