mussten, sei es, dass wir das Haus neu anstrichen, Wäsche wuschen, den Rasen mähten oder bügelten. Es war unsere Art, selbst für Unterhaltung zu sorgen, damit die Arbeit nicht so langweilig war, und wir „coverten“ die Hits, die wir zu Hause hörten – Songs von Ray Charles, Otis Redding, Smokey Robinson & The Miracles oder Major Lance (dessen Keyboarder ein damals noch unbekannter Musiker namens Reggie Dwight war, heute besser bekannt unter dem Namen Sir Elton John).
Michael sprach später oft von dem „Spaß“, den wir in unserem kleinen Zimmer hatten. Ich glaube, er sehnte sich nach dieser Zeit zurück, als er gewissermaßen jeden Abend bei seinen Brüdern übernachtete. Wenn wir später als Erwachsene bei Familientreffen zusammenkamen oder auch wenn nur wir Brüder uns sahen, dann saßen wir meist im kleinsten Raum zusammen, ganz instinktiv, bis uns einmal jemand darauf aufmerksam machte, dass es doch irgendwie ein bisschen komisch war, sich in Häusern wie Neverland oder Hayvenhurst ausgerechnet im kleinsten Winkel zusammenzuquetschen. Aber offenbar fanden wir das Gefühl schön, so eng beieinander zu sein. Es fühlte sich vertraut an, wie „zu Hause“.
Auch etwas anderes wurde uns erst im Erwachsenenalter klar: Mutter und Joseph hatten abends in ihrem Schlafzimmer auf der anderen Seite des Flurs gelegen und durch die Wand hindurch gehört, wie wir alle sangen, vom dreijährigen Michael bis zum elfjährigen Jackie. „Die ganze Nacht haben wir euch singen hören, und morgens auch“, erinnerte sich Mutter später. Aber ich glaube, dass Joseph das damals noch nicht mit seinem kalifornischen Traum in Verbindung brachte. Das kam erst, als Tito seine geliebte Gitarre kaputtmachte – und wir um unser Leben singen mussten.
Joseph hatte einen dunkelbraunen Buick, der wie ein zorniger Fisch aussah, wenn er auf einen zugerollt kam. Scheinwerfer, Kühlergrill und die leicht spitz zulaufende Haube ergaben zusammen das Bild eines furchteinflößenden Gesichts, das die Zähne fletschte. Ich weiß nicht, ob damals wirklich Autos mit Motoren gebaut wurden, die schnurrten, aber dieses Auto schnurrte ganz sicher nicht, genauso wenig wie Joseph selbst!
Rückblickend hat es etwas Komisches, dass dieser „zornige Fisch“ unser Frühwarnsystem war, das ankündigte, wenn unser Vater sich dem Haus näherte. Wenn wir draußen auf der Straße spielten und einer von uns die grimmige Fratze in der Ferne auftauchen sah, brüllte er: „Aufräumen! Schnell aufräumen!“ Wir ließen alles stehen und liegen, rannten ins Haus und machten schneller als Mary Poppins mit ihrem Zauberstab in unserem Zimmer Klarschiff. In der Eile schnappten wir alle herumliegenden Kleidungsstücke und schoben sie zusammengerollt in den Schrank oder in die Schubladen der Kommode, einfach irgendwohin, ohne sie zusammenzulegen. „Das habe ich euch nicht so beigebracht“, pflegte Mutter uns sanft zu rügen, wenn sie wieder einmal einen Haufen Kleider in einem Laken zusammengepackt in der hintersten Schrankecke entdeckte. Uns ging es indes einfach nur darum, dass oberflächlich alles sauber und ordentlich war: Solange der erste Eindruck stimmte, waren wir aus dem Schneider. Außerdem wussten wir, dass Mutter, wenn wir in der Schule waren, in unser Zimmer gehen, alles ordentlich zusammenlegen und wegpacken würde, ohne ein Wort zu sagen.
Es ist kein Wunder, dass Michael und ich später als Erwachsene unsere Klamotten dort liegen ließen, wo wir sie gerade ausgezogen hatten, und wir beide führten denselben Grund zu unserer Verteidigung an: Wenn man in seiner Kindheit mit vielen Brüdern sein Zimmer teilt, dann kann man sich auch im größten Durcheinander perfekt orientieren und weiß genau, wo sich die eigenen Sachen befinden. Bei Mutter kamen wir jedenfalls mit weitaus mehr durch. Sie war auch streng, keine Frage, und wenn wir uns nicht gut benahmen, dann bekamen wir auch von ihr gelegentlich mal eine kräftige Ohrfeige. Aber Mutter blieb doch eher gelassen, während Josephs Geduldsfaden nach einem harten Tag in der Fabrik äußerst leicht und unerwartet riss. Wir hörten auf das, was Mutter sagte: Respektiert, dass euer Vater zu Hause ist, respektiert, dass er hart gearbeitet hat, respektiert, dass er seine Ruhe haben und keinen Lärm hören will.
Und tatsächlich trat dieser Respekt mit ihm durch die Tür, wenn er nach Hause kam, und die Atmosphäre im Haus wurde angespannt. Josephs erste Regel, an die man sich zu halten hatte, war ganz einfach: Ich sage es dir einmal, und wenn ich es noch einmal sagen muss, setzt es was. Bei unserer stetig wachsenden Kinderschar musste er natürlich öfters etwas zweimal sagen. Jackie, Tito und ich wussten aus schmerzlicher Erfahrung, was dann folgte. Michael und Marlon waren zwar noch klein, spürten aber deutlich unsere Angst – zuerst. Wenn Joseph wütend wurde, dann reichte ein Blick in sein Gesicht, auch ohne dass er etwas sagte. Er hatte ein Muttermal von der Größe eines Zehn-Cent-Stücks auf der Wange, und ich sehe es noch immer vor meinem geistigen Auge, ganz nahe vor mir: Wenn er richtig in Zorn geriet, dann legte es sich ebenso in Falten wie sein ganzes Gesicht. Gewitterwolken zogen auf, bevor dann der erste Donner grollte und mit den gefürchteten Worten „Ab in dein Zimmer, und da wartest du auf mich!“ der Blitz einschlug, in Form eines über die Haut zuckenden Ledergürtels, dessen Biss einem das Wasser in die Augen trieb. Normalerweise bekamen wir zehn „Whops“, die ich so nannte, weil das dem Geräusch entsprach, das der Gürtel machte, wenn er durch die Luft pfiff. Ich bettelte um Erbarmen, schrie nach Gott, nach Mutter, nach jedem, der mir sonst noch einfiel, aber Joseph brüllte nur noch lauter und erinnerte uns daran, weshalb wir gezüchtigt wurden. Begründete Disziplinierung, so wie er es selbst als Schuljunge hatte erfahren müssen.
Wenn wir bestraft wurden, dann hörte Michael natürlich unsere Schreie, und zur Schlafenszeit sah er die roten Striemen und die Spuren der Gürtelschnalle auf der nackten Haut. Daher fürchtete er sich vor dieser Züchtigung, schon lange, bevor er sie das erste Mal zu spüren bekam. Für ihn war der bloße Gedanke daran, von Joseph bestraft zu werden, traumatisch. So ist das mit übertriebener Angst: Sie sorgt dafür, dass eine Sache in der Vorstellung Ausmaße annimmt, die sie vielleicht in der Realität niemals haben wird.
Seit einiger Zeit hatten wir eine weiße Maus im Haus, und Joseph wollte sie unbedingt erwischen, weil die Mädchen jedes Mal völlig durchdrehten und wild kreischten, wenn sie irgendwo herumwuselte. Joseph war ratlos, wieso wir plötzlich mit einem Mäuseproblem konfrontiert waren. Er hatte eben nicht damit gerechnet, dass sich hier erstmals Michaels große, lebenslange Verbundenheit mit Tieren zeigte.
Michael hatte die Maus, ohne dass jemand von uns etwas davon merkte, zu seinem Haustier erkoren und sie mit kleinen Stückchen Käse und Salat angefüttert. Rückblickend passte alles gut zusammen: Wenn Mutter kreischte und Joseph fluchte, dann wurde Michael verdächtig still und verkrümelte sich. Er war erst drei, wer hätte ihm da irgendwelche Heimlichkeiten unterstellen wollen? Aber es dauerte nicht lange, bis es dann doch herauskam. Eines Tages schlich sich Joseph in die Küche und ertappte Michael auf frischer Tat dabei, wie er auf dem Boden kniete und die Maus hinter dem Kühlschrank fütterte.
Das Haus erzitterte, als Joseph brüllte: „Ab in dein Zimmer, und da wartest du auf mich!“
Doch was Michael nun tat, überraschte uns alle.
Er versuchte zu flüchten.
Michael rannte wie ein verschrecktes Kaninchen durchs ganze Haus. Joseph verfolgte ihn mit dem Gürtel und bekam ihn hinten am Hemd zu fassen, aber mein Bruder war wendig und flink, wand sich blitzesschnell aus den Ärmeln und rannte weiter. Er flitzte ins Elternschlafzimmer, sprang über das Bett und drückte sich in die Ecke, wohl wissend, dass der Gürtel ihn hier nicht erwischen konnte, ohne zuvor an den Wänden abzuprallen.
Noch nie zuvor hatte ich Joseph so wütend gesehen. Er ließ den Gürtel fallen, packte Michael und verprügelte seinen Sohn so sehr, dass der das ganze Haus zusammenschrie.
Ich hasste das eigentümliche Schweigen, das nach solchen Vorkommnissen immer in der Luft hing und nur von Mutters gequältem Gemurmel und den leisen Schluchzern desjenigen von uns unterbrochen wurde, den es gerade erwischt hatte.
Michael machte es sich zusätzlich schwer, weil er von uns allen am ungebärdigsten war. Rebbie erinnert sich, dass er mit eineinhalb Jahren Joseph einmal seine Nuckelflasche an den Kopf warf. Das hätte unserem Vater vielleicht eine Warnung sein sollen, denn mit vier Jahren schleuderte Michael in einem Wutanfall einen Schuh nach ihm – und kassierte natürlich wieder eine deftige Abreibung.
Michael rannte aus Angst vor Schlägen immer davon. Manchmal tauchte er mit einem Satz unter das Bett unserer Eltern, presste sich ganz hinten an die Wand und krallte sich an den Sprungfedern