Alle Mädchen in der Schule waren in jenem Jahr Fans von Bowie, also war es für uns naheliegend, auch Bowie-Fans zu sein. Wir waren stattdessen beide vom subtilen, stillen Ronson fasziniert, was uns noch fester zusammenschweißte. Die Juwelen schuf zweifellos Bowie, aber es war Mick, der die Fassungen schmiedete und dafür sorgte, dass die Steine im bestmöglichen Licht gezeigt wurden.
In den ernsthaften Musikmagazinen hat es in den letzten Jahren viele Geschichten darüber gegeben, was Mick zum Bowie-Kanon beigesteuert hat. So als hätten die Experten nach jahrelangen Recherchen und Laser-Scans entdeckt, dass eigentlich Michelangelos Assistent Luigi die richtig geilen Sachen in der Sixtinischen Kapelle gemalt hat, während der Boss gerade beim Mittagessen war.
Nick war bereits bei zwei Konzerten gewesen – ja, dieser Bursche war weit für sein Alter. Gary Glitter und Slade, wenn die Erinnerung nicht trügt. Mir stand diese Entjungferung noch bevor. Also stellten wir zwei uns an einem Samstagmorgen im Frühling ’74 vor der Birmingham Town Hall an, um zwei Karten für Ronsons im April anstehende erste Solo-Tour zu erstehen. Wir bekamen Plätze in Reihe J, die Karten kosteten jeweils 1,35 Pfund. Es war das erste Mal, dass meine Eltern mir erlaubten, abends in die Stadt zu gehen.
Ihr Einverständnis verdankten wir Nicks Mum Sylvia, die bereit war, uns hinzufahren und auch wieder abzuholen. So mussten wir nicht den Nachtbus nehmen. Niemand, der an diesem Abend zur Town Hall kam, musste für ein Programmheft bezahlen. Wir bekamen alle schöne Mappen mit Fotos, Ansteckern, einer Biografie, einem Farbposter und einer Flexidisc. Wir spielten stundenlang mit der Flexidisc herum und lachten darüber, während der gute Mick in seinem tiefen Yorkshire-Akzent von der Liebe schwärmte: „Luv … luv … when you’re in luv … it’s … it’s the best thing in the WE-ERLD.“
Was ich von dem Konzert am besten in Erinnerung habe? Vor allem das, was abseits der Bühne passierte. Eine Vorahnung vielleicht von der Erfahrung, die ich ein paar Jahre später im Brighton Dome machte. Die Gewalt von alldem, die zerschlagenen Sitze, das ganze Geschiebe, Gedränge und Getrampel, die kreischenden Mädchen. Ich hatte etwas wie einen Kinobesuch erwartet – dass wir uns in unseren Samtsitzen in Reihe J zurücklehnen und die Erfahrung aufsaugen würden. Aber das hier war kein passiver Genuss. Es war ein körperliches Erlebnis.
Mick Ronson hatte ganz klar keine Lust darauf. Die von der Bowie-Mania befallenen Kids drehten durch. Mick wollte einfach, dass sie sich beruhigten und sich die Songs anhörten, aber das sollte nicht passieren, nicht an diesem Abend.
Mick mochte einer der größten lebenden Sidekicks sein, übertroffen vielleicht nur von Keith Richards, aber er stand nie wirklich gerne im Mittelpunkt.
Nick und ich trugen Chiffon-Klamotten, ohne dass man uns groß dazu ermuntern musste, und wir beide liebten die Frisuren, das Make-up und die Kleider, die ihren Anteil daran hatten, dass die britische Glam-Rock-Ära so großartig war. Wir waren beide nicht alt genug und hatten auch nicht die Kohle, um uns so auszustatten, wie wir es gerne getan hätten. Außerdem hatte die Glam-Bewegung mit der Bowie-Tour im Jahr zuvor ihren Höhepunkt erreicht. Aber wir fanden unseren Platz.
Bryan Ferry hatte modisch die Richtung vorgegeben, und all die Jungen durchforsteten jetzt den Kleiderschrank ihres Vaters, um seinen alten Nachkriegsanzug zu finden; es war der Stil der Vierziger mit den weiten Zweireihern, wie sie Humphrey Bogart in Casablanca trug.
Dads Anzug passte mir perfekt. Aber dann war da noch die transsexuelle Seite des Glam, und so kombinierten wir die Anzüge mit Damenblusen. Im BHS-Kaufhaus im Stadtzentrum gab es eine ganze Etage mit spottbilligen Damen-Zweiteilern aus den Vierzigern und Fünfzigern. Ein Paradies für klassische Mode. Einige dieser Jacketts waren göttlich und passten sowohl Nick als auch mir. Dazu noch etwas Chiffon, vielleicht einen Schal mit Tierfell-Design von Chelsea Girl, und das war’s dann.
„Ihr wollt doch wohl nicht in den Sachen ausgehen?“, erregten sich unsere Eltern. „Mach dir darüber keine Gedanken, Dad“, antwortete Nick dann trotzig zu seinem Vater, während ich in ihrem Badezimmer noch etwas Lipgloss auftrug.
„Ach, lass sie doch, Roger“, pflegte Sylvia zu sagen. „Sie wollen doch nur ihren Spaß haben.“
Oft wurden wir von Bauarbeitern angepöbelt.
Nick war etwas extravaganter als ich. Er hatte eine Freundin, Jane, was ihm ein wenig Deckung gab.
Eines Abends im Zug zurück nach Hollywood saßen wir vorne in einem Abteil, hinter einer Glasscheibe. Eine Gruppe von Kerlen in Jeans fing an gegen die Scheibe zu schlagen.
„Wir kriegen euch! Ihr Schwuchteln seid tot!“
Nick und ich machten uns vor Angst in die Hose, aber wir verzogen uns so cool wie möglich ans hintere Ende unseres Wagens. Wo war bloß der Wachmann?
Ich hätte mir keine Sorgen machen müssen. Da Nick bei mir war, entkamen wir der Gefahr wie durch Magie. Als wir in Whitlocks End einfuhren, waren die Typen verschwunden.
Wir hatten noch andere Dinge gemeinsam als unseren gefährlichen Mode- und Musikgeschmack: auch er war ein Einzelkind, unsere Geburtstage fielen in denselben Monat, Juni (wir sind beide Zwilling), und unser Lieblings-Brettspiel war Chartbuster.
„Würfel eine sechs – deine erste Single steigt zehn Plätze in den Charts!“
Dieses Pop-Business sah ziemlich einfach aus.
Das nächste Konzert, zu dem Nick und ich gingen, gaben Roxy Music im September im Odeon. Es war ein Samstag, und am Nachmittag auf unserem üblichen Trip in die Stadt fanden wir uns im Theater-Foyer ein. Dort machten wir die Bekanntschaft zweier Jungs, Marcus und Jeff, die älter als wir und beide hartgesottene Roxy-Fans waren. Sie erzählten uns, die Band sei bereits im Gebäude, und wenn wir schnell die Gasse herunterliefen, die an der Seite des Odeon entlang führt, könnten wir sie spielen hören. Das war der Moment, an dem ich die geheime Welt der Soundchecks kennen lernte. Die Vorbereitung einer Show erfordert am Nachmittag fast immer einen Besuch des Künstlers im Konzertsaal, wenn die Kabel und Mikros und Verstärker und das Schlagzeug getestet werden, um sicherzugehen, dass die triumphale Ankunft auf der Bühne später am Abend nicht durch technische Fehler beeinträchtigt wird. Ungefähr ein Dutzend Kids stand da in Roxy-Aufmachung – T-Shirts, Schals, Haarschnitt – neben einem lilafarbenen Sattelschlepper, der rückwärts an den Bühneneingang herangefahren war, um die Ausrüstung abzuladen. Wir konnten Roxy nicht sehen, aber hören konnten wir sie, wenn auch schwach; sie spielten Songs von ihrem neuen Album Country Life. Dann hörte die Musik auf, und wie auf Stichwort rollte eine schwarze Mercedes-Limousine die Durchfahrt herunter.
In einem plötzlichen Anfall von Aktivität stürmte die Band aus dem Bühneneingang und drängte sich in einem Rutsch in den Schutzraum des Autos, das die Rampe hoch in Richtung New Street losbretterte.
Ein Mädchen schrie: „Sie fahren zum Holiday Inn! Ich kenne eine Abkürzung!“ Und auf ging‘s, die zwölf größten Roxy-Music-Fans aus Birmingham sprinteten volle Pulle durch die Innenstadt.
Das war ein Verein, dem ich angehören wollte.
Das Mädchen kannte sich aus; wir warteten unter dem Vordach des Hotels, als der Wagen vorfuhr.
Ich kann mich nicht an Ferry erinnern, aber ich erinnere mich an den Gitarristen Phil Manzanera, den größten Mann, den ich in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Vielleicht lag es an den Plateaustiefeln. Der Keyboarder Eddie Jobson nahm sich die Zeit, Hallo zu sagen und Autogramme zu geben. Ich bat einen der Fahrer, mir den Champagnerkorken zu geben, den ich auf der hinteren Ablage der Limousine entdeckt hatte. Ich war stolz darauf. War das ein sonderbares Verhalten für einen vierzehnjährigen Vorstadtjungen? Ich fand das nicht.
Nicks und meine Konzert-Geherei nahm Fahrt auf. Ich habe immer noch die abgerissenen Tickets aus jenen Jahren. Die Show der Faces kam im Dezember, dann Queen, Genesis – große Gigs von großen Bands, die gewöhnlich in der Town Hall oder im Odeon stattfanden. Und wenn Musiker kamen, von denen wir echte Fans waren, wie Iggy Pop auf Tour mit David Bowie oder Mott the Hoople, konnte es vorkommen, dass wir wieder unter diesen Hotel-Vordächern standen oder am Bühneneingang warteten, um beim Soundcheck zuzuhören.