Erik Eriksson

Schärenmorde


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du bestimmen«, antwortete er.

      Sie liefen langsam, joggten an der S/S Norrtelje vorbei, liefen weiter in Richtung Silo bis zu der Stelle, an der der tote Lars Gustavsson im Wasser gefunden worden war. Sie liefen schweigend nebeneinander her und bogen dann auf kleinere Wege hinaus nach Grind und Långgarn ein.

      »Eine kurze Pause?«, keuchte Olle.

      Sie blieben stehen, gingen dann am Rand der sumpfigen Strandwiese entlang. Fatima atmete ruhig. Olle versuchte, sein Keuchen zu unterdrücken, was ihm aber nicht gelang.

      »Der Zoll glaubt, dass von Russland aus Schmuggel via Schweden in die übrige Welt betrieben wird«, sagte er. »Glaubst du, dass das stimmen kann?«

      »Meinst du, ob ich es persönlich glaube oder ob es die Polizei glaubt?«

      »Was auch immer, such es dir aus.«

      »Okay, ich selbst glaube, dass das stimmen kann.«

      »Es hängt offenbar alles zusammen. Die Melchior, die Sertem Explorer und das, was Holtha gehört hat, und vielleicht auch der Mann, der tot im Hafen lag, und der Alte, der verschwunden ist.«

      »Das ist eine Theorie.«

      »Ja, aber ist es eine einleuchtende Theorie?«

      »Ich beginne fast, es zu glauben.«

      »In diesem Falle tut sich ja hier in Norrtälje einiges, oder?«

      »Ja, in diesem Fall ist das wohl so.«

      »Und du und Malin, ihr wurdet beschattet und seid mit ein paar krummen Typen aneinandergeraten, ausgerechnet auf der Eckerö-Fähre. Ich weiß, dass eine neue Art Schmuggelware auf diesem Wege kommt, jedenfalls glauben meine Quellen beim Zoll das.«

      »Ja, Interpol nimmt es auch an.«

      »Herrgott, Fatima, was passiert denn eigentlich?«

      »Was soll ich sagen? Aber es ist doch nur eine Theorie, die du dir zusammenreimst. Ich weiß davon nichts.«

      »Nein, du weißt ja wie immer überhaupt nichts, Fatima.«

      Sie lachte, Olle ebenfalls. Sie blieben stehen, er berührte sie kurz an der Schulter. Sie lächelte, er versuchte zu lächeln. Dann drehte sie sich um und begann zu laufen, er lief hinterher.

      Wonner fuhr an diesem Tag einen kleineren silbergrauen Mercedes. Er trug einen Leinenanzug, einen hellen Hut und eine Sonnenbrille, und hörte Mozarts 23. Klavierkonzert. Es war eines seiner Lieblingsstücke, besonders gefiel ihm der Übergang vom zweiten in den dritten Satz, von gedämpftem Moll zu einem auffordernden Lebensgefühl. Das machte ihm Hoffnung.

      Er parkte vor dem Busbahnhof, um die Norrtelje Tidning zu kaufen. Die schwarze Überschrift auf der ersten Seite sprang ihm sofort ins Auge:

       Ausländische Liga fasst Fuß in Roslagen

      Er kaufte alle Tageszeitungen, setzte sich wieder ins Auto und begann mit dem Text, der auf der ersten Seite der Norrtelje Tidning stand. Der Text fasste Dinge zusammen, die eigentlich nur Wonner wissen konnte. Seine Mitarbeiter hatten immer nur begrenzten Einblick. Er selbst hatte den Überblick, und nur er, denn er leitete die Organisation vor Ort. Jetzt jedoch hatte sich sogar die Lokalzeitung auf irgendeine Weise einen Überblick verschafft.

      Wonner schlug die zweite Seite auf und las den Artikel, den Olle Kärv geschrieben hatte. Wonner hatte schon gemerkt, dass dieser Mann zu viel wusste. Fast alles stand da: die Melchior, die Sertem Explorer, der Überfall auf einen Polizisten, die ungeschickte Attacke auf der Fähre. Und das Schlimmste war, dass der Reporter einige der Transportwege herausgefunden hatte.

      Wonner blätterte schnell die übrigen Zeitungen durch. Die brachten jedoch nichts über seine Geschäfte. Offenbar hatten sie die Neuigkeiten noch nicht aufnehmen können. Aber das würde schon noch kommen.

      Er fuhr vom Parkplatz und hörte auf dem Weg zurück in seine Wohnung wieder Mozart. Er überlegte und fasste einen Entschluss, der schon längere Zeit in ihm gereift war.

      Als er nach Hause kam, verfasste er eine Mail. Er schrieb auf Englisch, erzählte ein wenig von der netten Stadt Norrtälje, vom Wetter, vom Straßenleben, den Parks und den Häusern. Es waren einfache Beobachtungen, die sich für den Uneingeweihten alltäglich und normal lasen. Für den Eingeweihten bedeutete Wonners Text jedoch etwas ganz anderes.

      Er stellte die Probleme dar, die entstanden waren. Und er teilte mit, dass er die Mitarbeiter auf die übliche Weise von ihren Aufgaben trennen wolle. Er empfahl seinen Auftraggebern gleichzeitig, die Lieferungen einzustellen, und ab sofort andere Wege zu nutzen.

      Zwei Stunden später bekam er Antwort. Der Absender bestätigte den Vorschlag, teilte jedoch mit, dass die letzte Lieferung schon unterwegs sei.

      Wonner bestätigte es, indem er über das schöne Mittsommerwetter in Roslagen berichtete. Er benutzte einfache Wörter, die für denjenigen, der sich mit dem abgesprochenen Vokabular auskannte, eine Doppelbedeutung hatten.

      Jetzt wartete er nur noch auf die letzte Lieferung und auf den Techniker, der kommen sollte, um die notwendigen Sicherheitsarbeiten auszuführen.

      18

      Fatima saß an einem Tisch auf der Terrasse des Restaurants Havspiren. Sie nippte an einem Bier, während sie ein Schwanenpaar beobachtete, das langsam quer über die Bucht flog. Sie sah aus wie eine normale Touristin. Entspannt. Leicht zurückgelehnt. Niemand konnte ahnen, was für ein Wirrwarr an Gedanken durch ihren Kopf raste. Gerade als sie ihre Schicht beenden wollte, hatte Harry Lindgren sie in sein Dienstzimmer gebeten. Er sagte kein einziges vernünftiges Wort, war jedoch trotzdem außerordentlich deutlich.

      »Gleichgültig ob du arbeitest oder frei hast: du musst äußerst vorsichtig sein. Von jetzt an kannst du das als deine Hauptaufgabe betrachten.«

      Fatima versuchte, etwas aus ihm herauszubekommen, erfuhr jedoch nur, dass bei Keith Holtha Komplikationen aufgetreten waren. Als er aus dem Krankenhaus entlassen worden war, war er immer noch sehr verwirrt gewesen, und man konnte kaum irgendeine Information von ihm erhalten. Jetzt hatte er eine Hirnblutung bekommen und lag auf der Intensivstation. Was am Anfang wie eine normale Gehirnerschütterung ausgesehen hatte, hatte sich zu einer schlimmen Angelegenheit entwickelt.

      »Ich habe eben mit dem Krankenhaus gesprochen, und man glaubt dort, dass er wieder gesund wird. Aber wir wissen nicht, ob er zufällig überfallen worden ist oder ob das Ganze geplant war. Es war ja auf jeden Fall Holtha, der die Durchsuchung der Sertem Explorer vorgenommen hat, als das Feuerzeug mit den Initialen RS auftauchte. Und wenn du daran denkst, was dir auf der Fähre zugestoßen ist, kann es sein, dass jetzt du an der Reihe bist.«

      »Weißt du etwas? Hast du inzwischen erfahren, mit wem wir es eigentlich zu tun haben?«, hatte Fatima gefragt, aber Harrys Telefon hatte geläutet, und er hatte sie mit den Worten »Sei vorsichtig. Nimm dich in Acht!« aus dem Zimmer gewinkt.

      Sie konnte noch hören, dass er Englisch sprach, als er antwortete.

      Fatima sah auf. Und lächelte. Olle Kärv setzte sich ihr gegenüber. Auch er lächelte.

      »Hast du schon bestellt?«

      »Nein, ich habe auf dich gewartet. Habe hier nur gesessen und nachgedacht.«

      Sie lächelten einander weiter an und unterhielten sich ein wenig verlegen. Wenn das Gefühl zu stark wurde, sahen sie hinaus aufs Wasser, so als ob sie sagen wollten, es sei ihnen gleichgültig, die Wasseroberfläche sei interessanter und schöner als der Mensch, den sie vor sich hatten.

      Dass es so schwer ist, den ersten Schritt zu machen, dachte Olle und ärgerte sich über seine Feigheit. Er betrachtete Fatima, die eine Pommes frites etwas zerstreut in ihre Sauce béarnaise tauchte. Sie blickte auf. Eine ganze Weile wagten sie, einander in die Augen zu sehen. Es war nicht nur die Abendsonne, die wärmte. Trotz Harrys Worten fühlte sich Fatima so sicher und froh, wie lange nicht mehr. Sie erzählte Olle von Harrys Warnung. Olle meinte, sie müsse sie ernst nehmen.