Erik Eriksson

Schärenmorde


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begleitet von Ziehharmonikamusik. Wo nur einen Tag zuvor Hetze und Stress war, wirkte jetzt alles bedeutend ruhiger, auch wenn es immer noch sehr schwül und drückend in der Stadt war. Die Leute, die nur einen Tag zuvor gedrängelt und geflucht hatten, grüßten nun fröhlich und wünschten einander einen frohen Mittsommer. An der Busstation herrschte eine fieberhafte Aktivität, als Verwandte und Bekannte mit Taschen und Schlafsäcken umstiegen, um sich dann auf die Festlichkeiten in jeder Ecke der Gemeinde zu verteilen.

      Wonner schlenderte die Strandpromenade im Societetspark entlang. Er setzte sich auf eine der Bänke und beobachtete das lebhafte Treiben unten bei den Sportbooten. Eine Gruppe junger Leute hatte schon das erste Bier geöffnet, saß mit nackten Oberkörpern in einem alten Holzboot und sang. Wonner dachte, dass dies sicher nicht das letzte Bier des Tages sein würde.

      Er nahm sich die Zeitung vor, die er unter dem Arm trug, und las den Bericht über den Polizisten, der auf dem Weg zwischen Norrtälje und Stockholm überfallen worden war. Dann faltete er die Zeitung ruhig wieder zusammen, erhob sich, warf sie in den nächsten Abfallkorb und setzte sich wieder.

      Das Boot mit den jungen Leuten legte ab und glitt durch das Hafenbecken. Einer der jungen Männer stand an der Reling und pinkelte ins Wasser.

      Idioten, dachte Wonner. Ich habe es mit Idioten zu tun.

      15

      Ich kann ebenso gut arbeiten, dachte Malin Skogh. Dann habe ich nicht die Zeit, viel an Robert zu denken. Und an alles, was seit dem Mord an Lars Gustavsson passiert ist.

      Sie hatte Olle Kärvs Artikel über den Fund an Bord der Sertem Explorer gelesen, und sie hatte am Tag vor dem Mittsommerabend mit Roberts Anwalt Tomas Fredriksson gesprochen.

      »Du musst schon damit rechnen, dass Robert noch eine Weile im Gefängnis bleiben wird«, hatte er gesagt.

      Viel mehr hatte sie nicht erfahren. Tomas Fredriksson war an die Schweigepflicht gebunden und durfte nichts über die Verhöre und die Haftverhandlungen sagen.

      »Es tut mir leid, Malin«, hatte er geseufzt, »aber ich darf nicht erzählen, was Robert gesagt hat. Alles, was ich sagen kann, ist, dass es Umstände gibt, die für ihn belastend sind, aber er streitet den Mord ab. Und dass ich alles in meiner Macht Stehende tue, um ihn frei zu bekommen.«

      »Wie geht es ihm?«, flüsterte Malin.

      »Es ist hart, so lange im Gefängnis zu sitzen, das kannst du dir ja denken, aber er kommt trotzdem ganz gut zurecht. Er weiß, dass du an ihn glaubst, und das bedeutet ihm viel.«

      Am Tage darauf hatte sie das Zubringerboot hinaus nach Norröra genommen, um zusammen mit ihren Freunden Elin und Erik Mittsommer zu feiern. Fatima Barsawi hatte das ganze Wochenende über Dienst und hatte sie gedrängt zu fahren, sie würden sich auf jeden Fall nicht sehen können.

      Es wurde eine traditionelle Feier. Mittagessen mit Hering und Schnaps, ein Mittsommerkranz, Sackhüpfen. Kekse essen und Erdbeertorte. Baden. Gegrilltes Fleisch mit Rotwein. Gitarre und Calle Schewens Walzer. Noch mehr Wein.

      Malin hatte mitgemacht, so gut es ging, hatte sich jedoch meist nach Hause gesehnt. Und an Robert gedacht. Nachts, als sie nicht schlafen konnte, war sie hinunter zur Brücke an der Badestelle gegangen, die Måsberg genannt wurde, und hatte dort eine Weile in der lauen Sommernacht gesessen. Hatte die dünne Mondsichel betrachtet, die Mückenschwärme verscheucht und gesehen, wie das Licht wie eine bleichrosa Hoffnung zurückkehrte.

      Jetzt hatte sie gerade die fünfte Kundin an diesem Montag verabschiedet, die Haare auf dem Boden zusammengekehrt und eine schnelle Tasse Kaffee getrunken.

      Ich kann ebenso gut arbeiten, stellte sie wieder fest, als eine Frau in den Salon kam, zusammen mit einem Jungen mit hellem struppigem Haar.

      »Hallo, Åsa. Und hallo, Elias. Du bist doch sicher Elias.«

      »Hm«, murmelte Elias und überlegte, ob er Malin die Hand geben sollte.

      Bisher hatte ihm seine Mutter zuhause in der Küche die Haare geschnitten. Jetzt hatte er jedoch einen Haarschnitt bei einem richtigen Friseur zum Geburtstag geschenkt bekommen. Spannend, dachte er, als er auf den Stuhl kletterte.

      »Ich habe einiges zu erledigen. Wir sehen uns dann später zuhause, Elias«, rief Åsa Mellberg, die schon auf dem Weg hinaus war.

      »Wie soll ich dir denn die Haare schneiden?«, fragte Malin, und strich mit der Hand durch Elias blonden Wuschelkopf.

      »Weiß ich nicht. Ein bisschen cooler. So ein bisschen struppig oben auf dem Kopf.«

      »In Ordnung. Das kriegen wir hin«, lächelte Malin.

      Man kann sich gut mit Elias unterhalten, dachte sie. Er spielte Hallenhockey, genau wie Malin, und Fußball im BKV Jungen-01. Er erzählte von dem Schnorchel, den er gestern zum ersten Mal an der Kärleksudden ausprobiert hatte, vom Hamster Gunnar, der sich in verschiedenen Ecken seines Käfigs Nahrung suchte, und dem Call-of-Duty-Spiel, das er haben wollte.

      Und schließlich auch über sein Interesse für Mysterien und Geheimnisse.

      »Am liebsten möchte ich Detektiv werden. Ich sammle Spuren und all so Sachen, die mystisch sind«, erzählte er weiter.

      Er blickte Malin im Spiegel an.

      »Weißt du, was mit dem Mann passiert ist, der im Hafen gestorben ist?«

      Malin merkte, wie sich ihr Magen zusammenzog.

      »Nein, das weiß ich nicht. Nicht mehr als das, was in der Zeitung gestanden hat.«

      »Ich bin ein paarmal dort gewesen und habe nach Spuren gesucht.«

      »Tatsächlich?«

      »Hm, aber ich möchte noch mehr wissen.«

      »Hast du denn etwas gefunden?«

      Elias schüttelte den Kopf.

      »Nein, nichts Wichtiges.«

      Malin dachte an ihre eigene »Spur«, das Stück Holz mit den russischen Buchstaben. Sie hatte es Fatima gezeigt, die gesagt hatte, dass es damit nichts Besonderes auf sich habe. Aber dass Malin vorsichtig sein müsse.

      Ihr lief ein Schauer über den Rücken, als sie an den Überfall auf dem Siloturm und an die dramatischen Ereignisse an Bord der Eckerö-Fähre dachte. Ja, sie musste vorsichtig sein, aber sie konnte auch nicht aufgeben. Sie musste Robert helfen.

      »So, Elias, bist du zufrieden?«, fragte sie und hielt ihm hinten den Spiegel hin.

      Elias strahlte, als er sich selbst und seine neue Frisur sah.

      »Cool.«

      Elias war Malins letzter Kunde an diesem Tag. Sie verließen zusammen den Salon und gingen bis hin zur Hantverkaregatan.

      »Willst du in den Spielzeugladen?«, fragte sie.

      »Vielleicht. Und dann wollte ich noch zu IT Works gehen, du weißt, zu dem Mann, der sich mit Computern beschäftigt.«

      »Ronald Schneider?«

      »Kennst du ihn?«

      »Ein wenig. Er hilft uns, wenn das Buchungssystem auf unserem Computer nicht funktioniert. Er kennt sich bestens aus. Außerdem haben wir ein paarmal zusammen zu Mittag gegessen. Er ist nett.«

      »Ich wollte ihn etwas fragen.«

      »Über Computer?«

      »Hm. Ich habe etwas gefunden, von dem ich nicht weiß, was es ist. Aber er weiß es sicher, er arbeitet ja mit so etwas.«

      »Sicher. Er ist sehr nett und hilfsbereit. Wiedersehen, Elias.«

      Malin sah ihn mit seinem Rucksack und dem krummen Stück Holz weggehen, das er bei der Apoteksbro aufgelesen hatte. Er blieb an dem Spielzeugladen stehen und ging dann weiter bis zum Schaufenster des Computerfachmanns.

      Er erinnert mich an Robert, als er klein war, dachte sie.

      Die Mittsommerhitze