Erik Eriksson

Schärenmorde


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nachgeprüft habe, und von dem ich auch nicht weiß, wie ich ihn nachprüfen könnte.«

      »Was denn?«, wollte Fatima wissen.

      »Sollen wir noch ein Bier trinken?«, fragte Olle.

      Ehe Fatima antworten konnte, war er aufgestanden, um das Bier zu holen. Sie sah ihm nach, während sie zustimmend nickte. Sie mochte ihn, sie mochte das Gefühl, dass sie ihn gewissermaßen auf ihrer Seite hatte.

      »Was für einen Tipp?«, fragte sie, als er zurückkam.

      »Ein Mann hat angerufen. Er meinte, ich solle mich einmal auf Robert Skoghs Arbeitsstelle umsehen. Das Lager, in dem er arbeitet, untersuchen.«

      »Ist das üblich, dass jemand anonym bei der Zeitung anruft und Tipps gibt?«

      »Das kommt vor. Aber wenn sie zu undurchsichtig sind, haben wir selten die Möglichkeit, dem nachzugehen. Der Chef will erst einmal wissen, ob es sich lohnt, ob ein Artikel in der Zeitung dabei herauskommt. Meist machen wir nichts, wenn wir nicht mindestens einen Namen und etwas mehr Substanz bekommen. Was allerdings das mit der Leiche im Hafen betrifft, so habe ich die ganze Zeit über das Gefühl gehabt, dass eine richtig große Geschichte dahintersteckt, und deshalb habe ich rund um die Uhr versucht herauszufinden, um was es sich handelt.«

      Fatima betrachtete ihn eine Weile, ehe sie sich entschloss, die Frage zu stellen, obwohl sie es eigentlich nicht wollte.

      »Und deshalb sitzen wir jetzt hier? Bin ich ein möglicher Zugang zu einem Scoop?«

      Olle hatte ehrlich antworten wollen, dass es wohl so angefangen habe. Aber dass sich jetzt noch etwas anderes daraus entwickelt habe. Dass die Rangfolge vertauscht war. Dass Fatima an erster Stelle kam und dann erst der Artikel. Aber er war zu feige und antwortete nur mit einem spöttischen Lächeln:

      »Das kann man nie wissen.«

      Fatima ließ das Thema fallen.

      »Und wie willst du jetzt weiter vorgehen? Was willst du mit dem Tipp machen?«

      »Weiß ich noch nicht, aber du bist doch hier aufgewachsen und kennst alle Leute. Kennst du nicht jemanden, der im selben Lager wie Robert Skogh arbeitet, jemand, der mich vielleicht dort hineinlassen könnte?«

      »Nein«, antwortete Fatima.

      Die Antwort kam schnell. Schneller als sie vielleicht gekommen wäre, wenn sie nicht diesen Stich im Magen gefühlt hätte, die neu entstandene Unruhe, dass er vielleicht doch nicht auf ihrer Seite stand, sondern ein ganz eigenes Spiel spielte, dass sie vor einem gerissenen Journalisten saß, der sie nur als Mittel zum Zweck benutzte. Olle merkte die Veränderung in ihrem Tonfall, stellte auch fest, dass sie sich etwas aufrichtete, die Schultern etwas anspannte. Nein war ein kurzes Wort, aber es vermochte ihre Haltung zu ändern: nicht mehr einladend und freundlich, sondern abwartend und distanziert.

      »Dein Chef hat dich nicht vor mir gewarnt«, sagte er leichthin, um die Situation zu retten.

      »Wie soll ich das wissen, er hat nicht gesagt, vor wem«, antwortete Fatima und spürte, wie gut und entwaffnend es sich anfühlte, dass er gemerkt hatte, wie sie auf Abstand ging. Ja, er wollte es sogar mit einem Scherz überbrücken.

      Olle lächelte und streckte die Hand über den Tisch. Fatima hatte das Gefühl, dass die Stimmung auf dem Weg war, wieder besser zu werden. Das Gefühl, mit Olle zusammen zu sein, war gut, sie konnte sich nicht irren, dachte sie, aber sie verriet den Gedanken trotzdem nicht, der gerade in ihrem Kopf auftauchte. Sie würde Harry vorschlagen, dass sie versuchen sollten, die Genehmigung zu einer Hausdurchsuchung auf Roberts Arbeitsstelle zu bekommen. Warum haben wir das nicht schon früher getan, dachte sie. Wir haben nur seine kleine Wohnung durchsucht, und dort haben wir nichts gefunden außer der blutverschmierten Jacke und einigen Fahrkarten von der Paldiskifähre.

      Sie blieben noch eine Weile sitzen und genossen den Abend. Olle nahm seinen Mut zusammen und versuchte, Fatima näher zu kommen, aber es gelang ihm nicht so richtig. Stattdessen fragte er sie nach Norrtälje und ihren Erfahrungen in ihrer Heimatstadt und hörte aufrichtig interessiert zu, als sie davon erzählte. Dann erzählte er von seiner wenig spannenden Jugend in Hägersten, ein wenig über die Hochschule für Journalistik in Stockholm, und dass er eigentlich am liebsten eine Arbeit an einer Stockholmer Zeitung hätte. Und dann kam es wie von selbst:

      »Aber das war, ehe ich dich kennen gelernt habe. Jetzt finde ich, dass sowohl die Norrtelje Tidning als auch Norrtälje ganz in Ordnung sind.«

      Als sie das Restaurant verließen, war es trotz des hellen Sommerabends dunkler geworden. Sobald Mittsommer vorbei ist, schleicht sich die Dunkelheit wieder ein, dachte Fatima.

      »Ich habe den Wagen mit«, sagte Olle und bog nach links auf den Parkplatz ein. »Ich fahre dich. Wir sollten daran denken, was dein Chef gesagt hat.«

      Fatimas Blick war an zwei Rücken hängen geblieben, die in die andere Richtung unterwegs waren. Sie gingen auf dem Weg am Wasser entlang in Richtung Societetspark. Sie war sicher, dass der eine Malin gehörte. Malin erkenne ich immer, dachte sie. Wem der andere gehörte, wusste sie nicht. Einem Mann, mit breiten Schultern, dunkler Hose, hellem Hemd.

      Hat Malin jemanden kennengelernt? Er legte gerade seinen Arm schützend um Malins Schulter.

      Fatima fand, dass sie sich für ihre Freundin freuen sollte, aber als sie die beiden in dem dunklen Park verschwinden sah, überkam sie ein ungutes Gefühl. Kam ihr nicht doch etwas an dem Mann bekannt vor? Aus irgendeinem Grund fiel ihr das Wort »korrekt« ein.

      »Weißt du, ich finde, es ist am allersichersten für dich, wenn du mit mir nach Hause kommst und dir meine Briefmarkensammlung anschaust«, sagte Olle.

      »Hast du eine Briefmarkensammlung?«

      »Natürlich habe ich keine, aber ich möchte, dass du mit zu mir nach Hause kommst.«

      19

      Die erste Juliwoche begann so, wie die letzte Juniwoche geendet hatte. Laue Abende folgten auf heiße Tage. Es drängte die Einwohner und die Touristen, sich vom frühen Vormittag bis zum späten Abend in den Straßencafés der Stadt abzukühlen, und sowohl das Lundabad, das Lommarbad und Kärleksudden füllten sich schon vormittags mit Sonnenanbetern.

      Auch das Wasser war warm geworden. Das Thermometer des Lundabades zeigte 20 Grad, am Kärleksudden waren es 21 Grad, und das Lommarbad war mit 24 Grad das wärmste der Gemeinde.

      Eine Notiz in der Zeitung Aftonbladet hatte vermeldet, dass der Eisverkauf in der letzten Juniwoche um drei Prozent gestiegen sei, und der Experte, mit dem die Zeitung gesprochen hatte, der Direktor einer bekannten Eismarke, hatte natürlich gesagt, dass das der Wärme zu verdanken sei.

      Als ob die Leute das nicht selbst wüssten, dachte Wonner.

      Er saß an seinem Küchentisch und blätterte in der Zeitung. Es war abends um halb elf, und es war immer noch hell. Er legte die Zeitung zur Seite, öffnete stattdessen seinen Laptop und loggte sich in seine Hotmail-Adresse ein. Er ging massenweise Spam-Post durch und klickte dann eine Mail unter der Rubrik »Shelley« an. Er las sie, löschte sie und beseitigte dann auch den Rest. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Er schloss die Augen, und für einen Außenstehenden sah es sicher so aus, als ob er zurückgelehnt in dem Küchenstuhl schliefe.

      Aber Wonner schlief nicht. Er dachte nach.

      In den letzten Monaten hatten diejenigen, die ihm unterstellt waren, bei mehreren Gelegenheiten Fehler gemacht. Der Mann im Hafen war gestorben, im Grunde genommen unnötig. Dann der Mann an dem See. Ganz klar ein unnötiger Tod. Zähl noch ein paar Zeugen dazu. Konfrontationen. Ein zusammengeschlagener Mann auf einem Parkplatz, wobei sich außerdem noch herausgestellt hatte, dass er Polizist war. Ärger auf der Eckerö-Fähre. Und war es nicht nahe daran gewesen, dass alles entdeckt und verdorben worden wäre, als die Polizei im Hafen von Norrtälje auf die Sertem Explorer gewartet hatte?

      Für Wonner war es ein Glück gewesen, dass er schnell und aus reinem Bauchgefühl heraus den Umschlagplatz gewechselt hatte.