Nané Lénard

SchattenHaut & SchattenWolf


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      „Wer weiß, vielleicht werden wir so das gefürchtete Ermittlerduo ...“

      „Ja, wer weiß ...“, beruhigte sich Peter allmählich und warf Hetzer den BMW-Schlüssel zu. „Hier, jetzt kannst du mal ein ordentliches Auto fahren.“

      „Moment, meins fährt immerhin mit Gas und das ist ganz ordentlich – egal, wie es aussieht.“

      „Ist schon gut, ich wollte dich nicht ärgern. Komm, lass uns abdüsen. Willst du fahren oder soll ich?“

      „Nee, fahr du mal, du kennst dich hier besser aus, außerdem bin ich eh nicht so scharf aufs Autofahren.“

      Gegen halb neun erreichten sie den Fundort über den Parkplatz am Weseranger. Hetzer musste feststellen, dass das Gras noch feucht war.

      So ein Mist, gerade waren seine Lieblingsschuhe wieder trocken geworden. Na ja, sei’s drum, das war nicht zu ändern. Sie konnten nachher schnell bei ihm zu Hause vorbeifahren. Er musste sowieso mal nach Gaga sehen.

      Pfarrer Fraas lag auf dem Bauch. Noch verbarg der Mantel sein nacktes Gesäß. Am Hinterkopf sah es so aus, als habe er dort eine Verletzung. Als Hetzer und Kruse genauer hinsahen, entdeckten sie einen zehn Zentimeter langen Riss der Schädelhaut. Auch am Hals klaffte ein Spalt im Fleisch. Das sah nicht nach einem natürlichen Tod aus.

      Kruse rief in Stadthagen an und forderte die Rechtsmedizinerin an. Während sie warteten, sahen sie sich am Ufer der Weser um und überlegten, ob die Leiche flussaufwärts wohl ins Wasser gestoßen worden sein könnte. Sie glaubten nicht, dass er hier in Höhe des Weserangerbades getötet worden war. Der Blutverlust durch die Wunden musste groß gewesen sein, aber hier waren auf den ersten Blick im Gebiet rund um den Körper keine Blutspuren zu finden. Die KTU würde genauere Untersuchungen anstellen. Nachdenklich kehrten sie zum Toten zurück. Dr. Mechthild von der Weiden war eben angekommen.

      „Moin“, sagte sie und drückte Wolfs Hand so stark, dass er dadurch fast in die Knie ging. „Sie müssen der Neue sein. Ich bin Mechthild. Rechtsmedizin der MHH, Institut oder Außenstelle Stadthagen. Ganz, wie Sie wollen.“

      „Ich bin Wolf, Wolf Hetzer, um genau zu sein.“

      „Aber Sie beißen nicht? Kleiner Scherz. Den haben sich Ihre Eltern wohl auch erlaubt, damals – kurz nach Ihrer Geburt.“

      „Es konnte doch niemand wissen, dass ich zur Polizei gehen würde. Ich hätte auch Uhrmacher werden können.“

      „Auf keinen Fall! Mit dem Namen war das doch wohl Programm. Anderweitig hätten Sie sich eher blamiert. Ich habe mir meinen Namen auch nicht ausgesucht. Mechthild. Macht und Kampf. Aber er passt auch zu meinem Beruf. Vielleicht wird man, wie man geheißen wird? Doch nun genug des philosophischen Plauderns. Wir haben es hier mit einem Mann um die siebzig zu tun. Er ist wahrscheinlich noch keine zwölf Stunden tot. Die kann er gut im Wasser verbracht haben. Er ist steif wie ein Brett. Bei diesen Temperaturen bleibt eine Wasserleiche schön frisch. Die typischen Erscheinungsmerkmale wie Waschhaut an den Fingerbeeren zeigen sich erst nach Tagen oder Wochen. Am hinteren Schädel – schauen Sie hier – sind ganz eindeutig Zeichen einer Verletzung zu erkennen, wahrscheinlich durch einen stumpfen Gegenstand. Ob dies die Todesursache gewesen ist, kann ich nicht sagen. Wenn Sie den Mantel anheben, werden Sie feststellen, dass der Tote keine Hose trägt. Das ist merkwürdig. Wir drehen ihn mal um.“

      Hetzer, Kruse und Dr. von der Weiden sogen fast gleichzeitig die kühle Morgenluft ein, als der Leichnam ein weiteres Geheimnis preisgab. Er war kastriert. Penis und Hoden waren mit sauberem Schnitt vom Körper abgetrennt worden.

      Das erklärte es auch, dass der Unbekannte keine Totenflecken hatte.

      Er war ausgeblutet.

      An seiner Halsvorderseite war ebenfalls eine Verletzung zu sehen. Knapp vier Zentimeter lang, wie ein quer verlaufender Schnitt.

      „Nichts für ungut, Wolf“, sagte Mechthild zum Abschied. „Du hast mir das mit deinem Namen doch nicht übel genommen?“

      „Keineswegs, ich kenne das doch. Oder glaubst du, du wärst die Erste gewesen, die mich deswegen geärgert hätte?“

      „Nicht? Das ist aber schade!“, schmunzelte die Pathologin. „Dann muss ich mir für das nächste Mal was besseres ausdenken. Du kannst mich übrigens ruhig Mica nennen.“

      „Wieso denn Mica? Fährst du wie eine Wildsau?“

      „Vielleicht auch das. Und ich liebe Finnland. Aber nein, das hat nichts damit zu tun. Mica ist eine Koseform von Mechthild und etwas zeitgemäßer für eine Frau, die mitten im Leben steht. Ich rufe dich an, wenn ich noch etwas Interessantes herausfinde.“

      Es ließ sich nicht vermeiden, dass Mica zum Abschied Wolfs Hand drückte, aber diesmal war er darauf vorbereitet. Er hielt dagegen und fixierte sie mit seinen dunklen Augen. Sie grinste und stapfte durch das hohe Gras davon.

      Hetzer und Kruse machten auf dem Rückweg zur Dienststelle einen kleinen Schlenker durch Todenmann. Wolf musste zugeben, dass der BMW die Steigungen zu seiner Kate unter der Frankenburg viel besser und satter meisterte als sein PS-schwacher Wagen mit Gasflasche. Ob der Heckantrieb natürlich hier im Winter auch so von Vorteil war, blieb mal dahingestellt. Doch noch war es Herbst. Und ein schöner Herbsttag obendrein. Dass er auch noch so spannend werden würde, hätte er nicht geglaubt.

      Als die beiden auf den Hof fuhren, bellten Emil und Gaga im Duett. Gaga konnte durch den seitlichen Anbau, in dem heute der Hauswirtschaftsraum lag, das Haus verlassen, wann sie wollte. Das Grundstück war komplett eingezäunt, und er hatte eine Spezialklappe in die Tür bauen lassen. Sie funktionierte magnetisch, das Halsband war quasi die Eintrittskarte. Daher musste er sie normalerweise nicht zwischendurch in den Garten lassen.

      Die nassen Schuhe hatten ebenfalls zu nassen Socken geführt. Wolf ließ beide im Hauswirtschaftsraum zum Trocknen und fühlte sich wie neugeboren, als er seine Kate mit einem neuen Fußensemble verließ. Warme Füße waren etwas Wertvolles. Peter hatte im Auto gewartet. Er hatte heute keine Lust, Gaga kennenzulernen. Er konnte ja auch nicht wissen, dass er sich mehr vor Emil hätte fürchten sollen.

       Die Obduktion

      Während Wolf Hetzer und Peter Kruse zur Dienststelle zurückfuhren, hatte Stefan Berthold von der Wasserschutzpolizei in Hameln per Funk durchgegeben, dass der mögliche Tatort bei Flusskilometer 136 in Hameln, etwas weserabwärts der Fontanestraße, liegen könnte.

      Dort habe man eine Hose mit Blutanhaftungen in einem Strauch am Wasser gefunden.

      Hetzer und Kruse machten sofort kehrt, stiegen wieder in den silbernen BMW und rasten auf der 433 in Richtung Hameln davon.

      „Hast du gesehen, Wolf, die Kollegen aus Nienburg sind auch schon da.“

      „Ja klar, der schwarze Volvo stand ein Stück weiter hinten.“

      „Na, dann ist es ja gut, dass wir schon weg sind. Die Verteilung der Aufgaben können wir uns auch noch nachher anhören. Das waren noch Zeiten, als die einzelnen Dienststellen auch bei Kapitalverbrechen autark waren. Jetzt müssen wir immer erst abwarten, was Papi dort oben meint.“

      Hetzer konnte sich das Grinsen nicht verkneifen.

      „Nun sei doch nicht so hart, Peter, du wirst doch einsehen, dass hier einfach nicht genug passiert in unserem beschaulichen Weserbergland. In ganz Deutschland sind im letzten Jahr nur 365 Menschen ermordet worden. Die Gewalttaten halten sich auch in Grenzen. Da lohnt es sich einfach nicht, in jeder kleinen Stadt eine eigene Abteilung für Gewaltverbrechen zu beschäftigen. Und glaube mir, es wird bestimmt eine Sonderkommission eingerichtet werden, die wir leiten sollen.“

      „Hm“, brummte Peter, „dann ermitteln wir mal mit Aussicht auf die gnädige Erlaubnis von ,Papi’.“

      Der wenig liebevoll „Papi“ genannte Vorgesetzte war Kriminaloberrat Siegfried Eberlein, der – besonders bei Kapitalverbrechen – seine Finger im Spiel hatte.

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