Nané Lénard

SchattenHaut & SchattenWolf


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Hetzer als auch Kruse kannten das Prozedere. Sie waren gespannt, wer ihnen diesmal zugeteilt werden würde.

      Inzwischen hatten sie auf der Höhe von Hessisch Oldendorf die Weser überquert und fuhren nun auf der B 83 in Richtung Fischbeck.

      Per Funk hielten sie mit den Kollegen auf dem Wasser Kontakt.

      Sie hätten sie auch so nicht verfehlen können, denn das Boot war von der Straße aus gut sichtbar.

      Direkt gegenüber der Einmündung zur Fontanestraße stellten sie den Wagen ab und schlenderten zum Ufer.

      Hier war schon einiges los, die Spurensicherung war bereits vor Ort. Sie hatten den Bereich um den Strauch im Wasser und den Platz, wo das Opfer vermutlich ermordet worden war, abgesperrt. Hetzer und Kruse ließen sich zu der Stelle führen, wo das Gras wie im Kampf plattgewalzt und stellenweise wie mit rostroter Farbe bespritzt war.

      „Wenn wir wüssten, wer der Tote ist, dann könnten wir besser verstehen, warum der Mann in der Nacht hierher gekommen ist, um seinen Mörder zu treffen.“

      „In dem Alter ist es auf jeden Fall nicht normal, so am Flussufer entlangzuspazieren, vor allem ohne Hund. Vielleicht ist er auch entführt worden.“

      „Auch mit Hund würdest du dich im Alter von siebzig Jahren nicht diesen Unebenheiten in der Dunkelheit aussetzen. Ich glaube ganz bestimmt, dass es einen wichtigen Grund gegeben haben muss, warum der Mann hier war. Komm, Peter, wir befragen mal die Bewohner in den Häusern an der Straße. Vielleicht hat jemand etwas gesehen oder gehört. Er muss doch geschrien haben, als er verletzt wurde.“

      In diesem Moment klingelte Hetzers Handy.

      „Na, böser Wolf“, stichelte Mica, „schon was erlegt? Oder hast du dein braun-graues Fell nur in den Wind gehalten?“

      „Nein, meine liebe Mechthild.“ Hetzer sprach den Namen, den sie selbst so verabscheute, mit besonderer Inbrunst aus.

      „Ist ja schon gut. Lassen wir den Mist. Ich wollte dir ein paar Informationen geben. Das Opfer muss gestern irgendwann zwischen 22:30 Uhr und Mitternacht gestorben sein. Dass der Mann kastriert war, hast du ja selbst gesehen, oder? Da lebte er leider noch. Es fehlt alles komplett und – man kann sagen, dass der Schnittverlauf fachlich nichts zu wünschen übrig lässt. Es könnte also sein, dass der Täter sich mit medizinischen Dingen auskennt oder Schlachter ist oder Bestatter.“

      „Oder Pathologe. Das vereint alles in einem. Mensch, Mica, du hast vielleicht eine Phantasie!“

      „Ohne die könnte ich auch meinen Beruf nicht ausüben, glaub mir. Er ist übrigens nicht an dem Schlag auf den Kopf gestorben. Der war zwar ziemlich heftig und ich tippe auf eine Taschenlampe als Tatwaffe, aber zum Tod hat der Aufprall nicht geführt, wenigstens nicht in dem Moment. Es waren Glassplitter in der Wunde. Vielleicht liegt die Lampe noch irgendwo.“

      „Bisher ist keine Taschenlampe gefunden worden. Sie könnte natürlich auch in der Weser liegen.“

      „Könnte sie. Übrigens ist der Mann ertrunken. In seinen Lungen war reinstes Weserwasser. Ansonsten wäre er aber auch verblutet oder an den Spätfolgen des Schlags gestorben. Drei Möglichkeiten für einen Exitus. Der Mörder ist auf Nummer sicher gegangen, denke ich. Aber es ist noch etwas merkwürdig.“ Mica zögerte.

      „Ach ja, was denn?“

      „Der Schildknorpel des Kehlkopfes wurde entfernt. Vor seinem Tod. Das kann man – wie im Genitalbereich – auch hier an den Hautunterblutungen feststellen.“

      „Was hat das zu bedeuten?“

      „Das weiß ich nicht. Auf jeden Fall konnte er so nicht mehr schreien. Vielleicht sollte er mundtot gemacht werden. Deshalb hat auch niemand etwas gehört. Leider ist sein Gesicht ein wenig lädiert. Er muss wohl beim Treiben im Wasser irgendwo entlang geschürft sein. Das war aber postmortem.“

      Hetzer bedankte sich und teilte der Pathologin noch mit, dass sie Blut vom möglichen Tatort zu ihr ins Institut schicken würden und die Hose des Opfer, falls sie ihm gehörte, aber davon ging er aus. Es passte einfach alles zu gut zusammen.

      Wolf Hetzer und sein Kollege ließen die Spurensicherung ihre Arbeit machen.

      Für sie beide war hier nichts weiter zu tun. Kruse hatte inzwischen über Funk nachgefragt, ob im Bereich Hameln/Rinteln Männer um die siebzig vermisst wurden. Die Antwort war negativ.

      In den Häusern rund um die Fundstelle kamen sie auch nicht weiter. Niemand hatte etwas gehört oder gesehen. Nur der alte Pfarrer Fraas sei nach zehn Uhr noch spazieren gegangen, erzählte Wolfgang Wehrmann aus der Fontanestraße.

      Er habe ihn gesehen, als er mit Whiskey Gassi gewesen sei. Er schien es eilig gehabt zu haben – und ja, er sei in Richtung Weser unterwegs gewesen.

      Hetzer und Kruse bedankten sich und klingelten an der Tür von Josef Fraas.

      Niemand öffnete.

      Der Nachbar, der im Hof Laub fegte, erzählte ihnen, dass die Haushälterin bis Dienstag bei ihrer Schwester sei, möglicherweise sei ja auch der Pfarrer verreist. Das wisse er nicht. Kruse notierte den Namen der Haushälterin und seufzte. Ihm knurrte der Magen.

      „Sag mal, können wir irgendwo zwischendurch anhalten, wenn wir zurück zur Wache fahren. Ich könnte ein ganzes Schwein auf Toast essen.“

      Hetzer lachte und nickte.

      So viel Menschenmasse musste natürlich versorgt werden.

      Im Polizeikommissariat am Hasphurtweg war alles durch die übergeordnete Dienststelle geregelt worden. Der Beamte war sogar schon wieder weg.

      „Na, siehst du, Peter, alles halb so wild!“, sagte Wolf und klopfte dem Hünen auf die Schulter. Dabei musste er fast auf die Zehenspitzen steigen.

      „Was ist halb so wild?“, fragte Dienststellenleiter Mensching.

      „Ich meinte, wir kommen ganz gut voran. Möglicherweise wissen wir bereits, wer das Opfer ist.“

      „Das ist gut. Sie werden nämlich die Sonderkommission ,Orchidee’ leiten. Kruse wird Ihnen zur Seite stehen.“

      „Das ist gut. Ich meine, dass ich die Kommission leite. Aber wieso ,Orchidee’? Ich kann überhaupt keinen Zusammenhang erkennen. Gibt es dafür einen besonderen Grund?“

      „Uns fiel kein besserer Name ein. Wir kennen bisher den Namen des Opfers nicht. Moko ,Wasserleiche’ war uns zu spektakulär. Einziges auffälliges Merkmal ist die Kastration. Die Staatsanwältin kam auf die Idee, als sie einem Telefongespräch mit der Rechtsmedizin zuhörte. Der Tote sei einer Orchiektomie zum Opfer gefallen, hieß es da. Frau Dr. Kukla hat das Wort nicht richtig verstanden. Es war also mehr oder weniger Zufall. Wir fanden das alle sehr lustig. Klingt ja auch schön unverfänglich. Sie hat übrigens großes Interesse daran, dass wir die Sache möglichst schnell aufklären. Wir möchten, dass Sie uns täglich Bericht erstatten. Ich werde zu Frau Dr. Kukla Kontakt halten.“

      „Moko Orchidee“, grummelte Kruse, als sie wieder in ihrem Büro waren, wo Hetzer noch nicht einmal dazu gekommen war, seinen Platz einzurichten, „da ist man einmal außer Haus und schon fällt denen nur Mist ein. Eine Blümchen-Ermittlung.“

      „Das sind halt die Studierten. Da kannst du nichts machen. Sie haben immer Recht. Machen wir das Beste daraus.“

      Hetzer zog seinen Lieblingsstift aus der Tasche und stellte seine Tasse auf den Schreibtisch. „Ich habe überhaupt nur Lieblingssachen“, dachte er. „Ich bin ein glücklicher Mensch.“

      „Wie gehen wir weiter vor, Wolf?“

      „Versuch du mal, die Nummer von der Schwester der Haushälterin rauszukriegen. Dann können wir sie fragen, ob Pfarrer Fraas verreist ist. Ich frage mal eben nach, ob es weitere vermisste Personen im Umkreis gibt.“

      Nach einigen Telefonaten mit dem Hamelner Pfarramt hatte Kruse endlich die Nummer von Hilde Sawatzki notiert.

      Das war ein großes Glück, denn er hatte keine