Isolde Kakoschky

Frühlingstochter


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zuckte die Schultern. »Ich hätte gerne studiert, bin aber nicht zur Oberschule gekommen. Jetzt muss ich mir wohl eine Lehre suchen.«

      »Dann mach doch eine Ausbildung mit Abitur«, schlug ihr Karsten vor, »dann kannst später immer noch studieren. Das gibt es bei uns im Werk, aber bestimmt auch woanders.«

      Von da an hatte sie der Gedanke nicht mehr losgelassen. Im Walzwerk musste es nicht gerade sein. Einerseits wollte sie nicht Metallurge werden und außerdem wäre sie dann weiter unter der Fuchtel des Vaters geblieben. Es sollte doch noch etwas anderes geben.

      Gleich am nächsten Tag hatte sie mit ihrem Klassenlehrer darüber gesprochen. Er hatte ihr nahegelegt, in die Chemie zu gehen. Es war der Industriezweig der Zukunft. Tausende Menschen arbeiteten bereits dort und viele wurden noch gebraucht. Aber das Beste für Manuela war, während der Ausbildung würde sie im Lehrlingswohnheim in der Nähe des Chemiewerkes wohnen. Der Gedanke schien einfach genial, frei sein, ohne weglaufen zu müssen. In einer ruhigen Minute hatte sie auch ihre Eltern davon überzeugen können. So bewarb sie sich zur Ausbildung als Facharbeiter für chemische Produktion mit Abitur.

      Noch ein paar Mal hatte sie sich zwanglos, ohne jede Verabredung, mit Karsten getroffen. Dann war es Winter geworden.

      Manuela sah von der Arbeit auf. Wie gut, dass ihr im Laufe der vielen Jahre alle Tätigkeiten in Fleisch und Blut übergegangen waren. So konnten ihre Gedanken schon einmal abschweifen.

      Den Rest des Tages versuchte sie sich zu konzentrieren, doch schon auf der Heimfahrt geisterte ihr wieder Karsten und die Vergangenheit durch den Kopf. Zwar besaß sie im Auto eine Freisprechanlage, doch sie mochte es gar nicht, beim Fahren zu telefonieren.

      Wenn sie angerufen wurde, versuchte sie immer, das Gespräch recht kurz zu halten. Doch Maria wollte sie lieber erst von der Wohnung aus anrufen. Hastig streifte sie die Schuhe von den Füßen und hängte die dünne Jacke, die sie über dem Pulli getragen hatte, an die Garderobe. Dann ließ sie sich in den Sessel fallen und tippte auf Marias Nummer im Handy.

      Schon wenige Augenblicke später hörte sie die Stimme ihrer Schwester. »Hallo Manuela, was gibt es Neues!«

      »Hallo Maria!«, grüßte sie zurück, ohne weiter auf die Frage einzugehen.

      »Nun sag schon!«, drängelte Maria am anderen Ende der Funkverbindung.

      »Nun bleib mal locker«, beruhigte Manuela ihre Schwester. »Es gibt nichts Neues, ich wollte mich nur mal melden.«

      »Na gut. Was macht die Familie, war es schön im Zoo?«, lenkte Maria das Gespräch nun auf ein weniger brisantes Thema. Sie wollte Manuela Zeit geben, spürte sie doch ganz genau, dass da noch etwas im Hintergrund schlummerte.

      »Na sicher war es schön«, bestätigte Manuela. »Kinder und Tiere, das passt immer, solltest du eigentlich noch wissen«, lästerte sie ein wenig. »Stella liebt die Affen über alles.«

      Maria lachte. »Das kann ich mir gut vorstellen, ist ja selber so ein kleines Äffchen.«

      »Ja, genau!« Manuela stimmte kurz in das Lachen ihrer Schwester ein, dann wurde sie still, ehe sie mit einem Seufzer weiter redete.

      »Also gut, du ziehst es mir ja doch aus der Nase. Ich muss seit Sonnabend immer an Karsten denken.«

      »Verstehe.« So etwas hatte Maria schon erwartet.

      »Ich war dort, wo er früher gewohnt hat, aber das Haus steht nicht mehr. Ich weiß nicht mal, ob er noch in der Stadt wohnt. Aber ich würde ihn wirklich gerne wiedersehen…«

      »…und es ihm sagen?«, hakte Maria nach. »Er weiß doch wohl immer noch nichts?«

      »Nein, er weiß nichts. Und ich habe keine Ahnung ob und wie ich es ihm beibringe. Trotzdem, finden möchte ich ihn schon.«

      »Hast du mal ins Telefonbuch gesehen?« Es erschien als das Naheliegendste.

      »Ja, aber er steht nicht drin.« Der Einfall war Manuela auch schon gekommen.

      »Warte mal, ich sitze gerade vor dem Computer, ich schaue mal im Internet.« Sie hörte, wie Maria mit der Tastatur klapperte.

      »Nein, nichts«, bekannte die bald darauf ernüchtert.

      »Nicht schlaflos in Seattle, sondern spurlos im Internet.«

      »Na gut, wenn er nicht in virtuellen Welten zu finden ist, muss ich es doch im realen Leben weiter versuchen.

      Ich wollte sowieso noch einmal nach Hettstedt fahren. Vielleicht finde ich Nachbarn, die etwas wissen.« Maria musste schlucken, ehe sie der Schwester antworten konnte. »Dann wünsche ich dir viel Kraft und noch mehr Erfolg. Und halt mich unbedingt auf dem Laufenden!«

      »Na sowieso! Bei wem sollte ich wohl mein Herz ausschütten, wenn nicht bei dir? Bis bald, Maria!«

      »Na klar, was sonst! Dann bis bald!« Maria ließ ihre Stimme betont munter klingen, doch insgeheim dachte sie: Hättest du es doch damals nur getan und dich mir anvertraut…

      

       7. Kapitel

      

      Am Abend hatte sich Manuela mit allerlei Arbeiten in ihrem kleinen Haushalt leidlich abgelenkt. Und am nächsten Tag gönnten ihr die Analysen für eine neue Versuchsreihe nicht die kleinste Verschnaufpause. Erst am Nachmittag, als sie endlich zur Ruhe kam, drängten sich die offenen Fragen wieder in ihr Bewusstsein. Wie sollte sie nur anfangen?

      Plötzlich schoss eine Idee wie ein Pfeil durch ihren Kopf. Sie lief zum Schrank und holte das Bild vom Klassentreffen wieder heraus. War Kristina hier mit dabei? Sah da nicht ein Gesicht aus wie das von Karsten? Ach was, du siehst schon Gespenster, schalt sie sich. Kristina und ihre Mutter waren damals wie vom Erdboden verschluckt. Sollte sie jetzt ausgerechnet zum Klassentreffen wieder aufgetaucht sein? Aber wenn, dann könnte sie etwas von ihrem Onkel wissen. Irgendwo musste doch auch noch der Brief mit der Einladung sein. Manuela riss den Stapel Papiere mit einem Ruck aus dem Fach. Alles Mögliche fand sich an, nur der Brief blieb verschwunden. Was nun?

      Sie schaltete ihren Rechner an und wartete ungeduldig, bis das Betriebssystem hochgefahren war. Den Brief hatte Berit geschickt, das wusste sie noch. Damals hieß sie Eberth. Doch die meisten Mädchen ihres Alters hatten irgendwann geheiratet und dann den Namen ihres Mannes angenommen. Verdammt, wie hieß Berit jetzt? Angestrengt dachte Manuela nach. Es war die Abwandlung irgendeiner Farbe gewesen, glaubte sie sich zu entsinnen. Weiß oder Weiße? Sie gab beides in die Suchzeile vom Telefonbuch ein, erfolglos. Roth oder Rother vielleicht? Wieder nicht. Schwarz oder Schwarzer? Halt, da sah sie es doch! Ein Tippfehler verhalf ihr nun zum Erfolg. Schwerzer, so hieß Berit und ihre Telefonnummer stand gleich daneben.

      Jetzt gab es kein Zurück mehr. Mit zitternden Fingern tippte sie die Nummer ins Display ihres Smartphones ein und drückte auf Anruf. Der langgezogene Ton für ein Klingelzeichen drang an ihr Ohr. Nach dem vierten Tuten wollte sie gerade den Anruf beenden, als sie doch noch eine Stimme vernahm.

      »Berit Schwerzer«

      Fast hätte Manuela gesagt: Rate mal, wer hier ist? Doch sie wollte ja keine Oma mit dem Enkeltrick über´s Ohr hauen, sondern von ihrer Schulkameradin eine Information erhalten.

      »Hallo Berit, hier ist Manuela, geborene Knoor. Erinnerst du dich an mich?«

      »Aber ja! Natürlich erinnere ich mich. Du warst ja leider nicht bei unserem Jahrgangstreffen dabei, aber es ist schön, dass du jetzt anrufst.« Berit klang ehrlich erfreut und sehr nett. Das machte Manuela Mut.

      »Ja, da war ich leider verhindert«, versuchte sie sich mit einer Notlüge aus der Affäre zu ziehen. Doch Berit fragte nicht weiter nach.

      »Wie geht´s dir denn so? Wo bist du gelandet?« Da Manuela mit ihrem Mobiltelefon angerufen hatte, konnte Berit nicht auf eine Vorwahl schließen.

      »Mir geht es gut, ich wohne in Halle, genauer in Halle-Neustadt, bin geschieden, habe einen Sohn und eine Enkeltochter«,