„Das klingt nach Florentine“, antwortete diese.
„Dann habe ich Sie erst vor kurzem am Aussichtsturm gesehen“, erläuterte Charly. „Zumindest Florentine.“
„Gut möglich. Mein Bruder reitet sie gelegentlich. Die beiden lassen mir keine Zeit mehr dazu.“
„Das glaube ich gern. Wollt ihr auf meinem Motorrad sitzen, während eure Mama die Einkäufe ins Auto packt?“, fügte sie an die Jungen gewandt hinzu, die begeistert aufschrien und wild herumzuhüpfen begannen. Sie nahm einen an jede Hand und steuerte sie zur BMW, die sie glücklicherweise in einer ruhigeren Ecke geparkt hatte. Mit je einer Hand an jedem Kind fragte Charly sich, wie man mit Zwillingen in diesem Alter überhaupt irgendetwas erledigt bekam.
Während sie begeistert auf der Maschine herumrutschten, überboten sich die Kleinen darin, ihr zu berichten, dass Onkel „Geo“ auch ein Motorrad habe, imitierten eifrig das Brummen eines Motors und wollten unbedingt die Hupe drücken.
„Das dürfen sie auf dem Motorrad meines Bruders auch immer“, bemerkte die Mutter entschuldigend, die unbemerkt neben sie getreten war.
„Ist ja nichts Schlimmes“, lachte Charly. „Onkel Geo?“ fragte sie.
„Er heißt Gereon.“
Charly stutzte kurz, ließ sich aber nichts anmerken. ‚Konnte es tatsächlich sein, dass sie ausgerechnet die Schwester des Mannes traf, mit dem sie am Wochenende…, ja, was eigentlich?’, überlegte sie. „Gut, jeder ein Mal“, sagte sie streng.
Die Jungen nickten, drückten andächtig auf die Hupe und freuten sich über das misstönende „Miep“. Dann ließen sie sich unter Protest von ihrer Mutter zu deren Auto ziehen. Charly winkte ihnen nach und befestigte den Tankrucksack. Sie überlegte kurz und folgte ihnen. „Entschuldigen Sie, dass ich noch einmal störe.“
„Kein Problem, Sie haben mir beim Einkauf so sehr geholfen“, antwortete die Frau freundlich.
„Ihr Bruder fährt einen blauen Porsche?“, vergewisserte sie sich.
„Ja.“ Die junge Mutter lächelte fragend.
„Falls Sie ihn sprechen, grüßen Sie ihn bitte von Charly“, antwortete sie, nickte abschließend und ging zu ihrem Motorrad.
***
„Würdest du mir einen Gefallen tun, kleiner Bruder?“
„Was denn, große Schwester?“ Gereon war auf dem Heimweg und hatte kurz bei seinem Schwager angehalten, um seine Neffen und Maja zu besuchen.
Maja packte ihm einen dicken Stoß Zeitschriften vor die Nase. Obenauf lag ein Hochzeitsmagazin.
„Die zum Altpapiercontainer mitnehmen?“
„Mache ich. – Ist es dafür nicht ein bisschen spät?“, fragte er, ließ sich aufs Sofa fallen und hob die Hochzeitsbroschüre hoch.
„Nicht von mir“, schnaubte Maja. „Eine Freundin hat mir von Designerkleidern vorgeschwärmt.“
Gereon blätterte angelegentlich in dem Heft herum, es fiel an einer oft geknickten Seite auf. Verwirrt starrte er auf ein Bild von … Charly … in einem eleganten Brautkleid.
„Gereon, was ist?“ Maja musste ihre Frage wiederholen, ehe ihr Sinn zu ihm durchdrang.
Er drehte die Zeitschrift so, dass sie das Foto sehen konnte. „Ich habe mit dieser Frau so quasi das Wochenende verbracht“, kiekste er in unnatürlich hoher Stimmlage und räusperte sich. Er berichtete in wenigen Sätzen.
Jetzt sah Maja irritiert auf das Foto. „Ich habe sie heute Nachmittag beim Einkaufen getroffen. Sie hat mir mit den beiden Rabauken geholfen. Sie durften sogar auf ihrem Motorrad sitzen.“
„Motorrad? Was für eins?“ Elektrisiert rutschte er auf die äußerste Sofakante und sah zu ihr hoch. Sie zuckte die Schulter, hatte nie seine Leidenschaft dafür geteilt.
„Es war gelb“, fügte sie hinzu, als sie bemerkte, wie sehr er sich wünschte, mehr zu wissen. „Ziemlich groß für sie.“ Maja maß die ungefähre Höhe von Sitz, Tank und Lenker ab.
‚Etwa doch die BMW aus Görlitz?’, überlegte er.
„Eins hat mich verwundert“, sprach sie weiter.
„Ja?“
„Das Kennzeichen war nicht von hier. Sie hat aber, ich sag mal ‚normal’, eingekauft, auch Kühlsachen und nicht nur was zum Knabbern, wenn du verstehst, was ich meine?“ Sie zwinkerte ihm zu.
Er nickte.
„Singlehaushalt, den Mengen nach“, sagte sie verschmitzt lächelnd.
„Das Kennzeichen?“, hakte er nach.
„Aus Chemnitz. Die anderen Buchstaben weiß ich nicht mehr, und die Zahl hab ich nur behalten, weil es der Geburtstag der Jungs ist. Vierzehn“, erklärte sie. „Ach, und sie hat Florentine am Aussichtsturm gesehen.“
‚Natürlich, die junge Frau mit dem Braunen!’ Schlagartig begriff er, warum sie ihm bekannt vorgekommen war. „Kennst du jemanden, der einen großen und recht schweren Braunen hat?“ Er versuchte, sich an besondere Kennzeichen des Wallachs zu erinnern. „Abgesehen von der Größe war er recht unauffällig.“ Jetzt war er es, der die Schultern zuckte.
„Nicht direkt. Ich höre mich um und im Reitstall fragst du, wenn du Florentine das nächste Mal bewegst.“
„Hm, ja.“
„Übrigens, ehe ich es vergesse, sie bat mich, dich von Charly zu grüßen.“
‚Ich werd nicht wieder. Sie lässt mich in Görlitz sitzen, trifft hier ausgerechnet meine Schwester beim Einkaufen und lässt auch noch grüßen! Raffiniertes kleines Luder, ich kriege dich! Auch wenn ich zugeben muss, dass mir dein Versteckspiel Spaß macht.’
Me and You and a Dog Named Boo - Lobo
Charly schaute noch schnell bei Melli vorbei. Ihre Freundin sah verheult und zerzaust aus; ihr Freund Enrico, Charly mochte ihn nicht, und das beruhte auf Gegenseitigkeit, war nicht da, so dass sie länger blieb und versuchte, Melli aufzumuntern.
Es war spät, als sie tief durchatmend auf ihr Motorrad stieg. Im Nachbarort legte sie plötzlich eine Vollbremsung hin, ließ die BMW mit laufendem Motor mitten auf der Straße stehen und lief ein paar Schritte zurück. Stand, den Helm in der Linken, die Rechte in die Seite gestützt, im geöffneten Tor zum Grundstück eines zurückgesetzten, modernen und noch neuen Hauses, auf dessen gepflastertem Hof ein blauer Porsche parkte.
‚Nein, das ist jetzt nicht wahr!’, weigerte sie sich, die Offenbarungen zu akzeptieren. ‚Aber Haus und Porsche sind eindeutig. Ich muss mir ausgerechnet die beiden Männer anlachen, die Nachbarn und wahrscheinlich nicht nur das sind. Na, noch ist nichts passiert.’ Ihr Blick wanderte zwischen Haus, Porsche und Nachbargrundstück hin und her und ihre Gedanken überschlugen sich, als vom Haus her ein helles Jappen erklang. Da stürmte auch schon der große dunkle Schäferhund heran. „Hi, Großer!“, sprach sie ihn an und wehrte seine freudige Begrüßung nach kurzer Zeit ab.
Sie legte ihren Helm auf den Boden, packte ihn mit beiden Händen bei der Mähne und schickte ihn mit einem eindringlichen „Geh zum Herrchen!“ zurück. Dann schnappte sie sich ihren Helm, flitzte zur BMW und beeilte sich, nach Hause zu kommen.
***
Gereon hatte ein Déjà-vu. Kurz überlegte er, ob man es anders nannte, wenn es sich nicht aufs Sehen, sondern aufs Hören und Fühlen bezog. Wie beim letzten Besuch hörte er erst Napoleons Pfoten auf den Fliesen klacken, dann spürte er dessen feuchte Nase, ehe sein Freund nahezu lautlos auf den Balkon trat. „Du schleichst dich ganz schön an“, meinte er und reichte Christian ein Blatt mit Notizen. „Wein?“
„Nein.“ Christian schüttelte den Kopf und überflog seine Anmerkungen.