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Der Einzelabschluss eines rechnungslegungspflichtigen Unternehmens sowie die Konzernrechnung einer Unternehmensgruppe erfüllen mehrere Funktionen (
Abb. 3: Funktionen der Rechnungslegung
Informationsfunktion
Wirtschaftliches Handeln setzt zuverlässige Informationen, d. h. zweckorientiertes Wissen, voraus. Dies gilt sowohl für das Individuum als Arbeitnehmer, Verbraucher, Anleger als auch für jene Organisationen, welche je nach Aufgabe und Rechtsstellung im Rahmen der arbeitsteiligen Wirtschaft Betriebe, Unternehmen, Vereine oder Stiftungen genannt werden. Die Informationsfunktion ergibt sich aus OR 958 I.
Aus den Bestimmungen geht jedoch nicht klar hervor, an wen sich die Informationen des Jahresabschlusses richten. Die gesetzliche Pflicht zur Aufstellung eines Jahresabschlusses dient, wie im BGE 133 III 453 ausdrücklich hervorgehoben worden ist, primär der Selbstinformation der Unternehmensinhaber und -leiter über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage ihrer Unternehmen. Gesetzliche Adressaten sind auch Aussenstehende: Aktionäre, Genossenschafter, Inhaber von Anleihensobligationen, übrige Gläubiger jedoch nur nach Vereinbarung (z. B. in einem Darlehens- oder Kreditvertrag) oder, auf Verlangen, sofern sie ein schutzwürdiges Interesse nachweisen (Drittinformation).
Informationen über die Vermögens- und die Finanzlage werden durch die Bilanz vermittelt. Über die Ursachen der Veränderung der Finanzlage informiert die Geldflussrechnung. Diese ist für grössere Unternehmen (OR 961b) ein formalisierter Bestandteil des handelsrechtlichen Jahresabschlusses. Die in OR 959 erwähnte »Finanzierungslage« stimmt mit dem gebräuchlichen Begriff der Finanzlage überein.102
Nachdem die kaufmännische Buchführung, vom Sonderfall der kleinen Unternehmen mit vereinfachter Buchhaltung abgesehen, von Gesetzes wegen auch die Ertragslage während des Geschäftsjahres darzustellen hat, sind Informationen über die Ertragslage in Form einer ausführlichen Erfolgsrechnung (OR 959a I) ebenfalls Bestandteil der Pflichtinformation. In den Rechnungslegungsnormen der EU (RL 2013/34, Art. 13) und IAS (IAS 1/81a) wird noch die sachlich unzutreffende Bezeichnung Gewinn- und Verlustrechnung (Statement of profit or loss) verwendet. Zur Entlastung des Zahlenwerkes von Bilanz und Erfolgsrechnung dienen die ergänzenden Angaben im Anhang.
Die Informationsfunktion hängt eng mit der Funktion der Rechnungslegung als Führungsinstrument zusammen. Die Informationen aus dem Jahresabschluss dienen den Adressaten bei der Entscheidungsfindung (decisions making) von Risikokapitalgebern (Kauf, Halten oder Verkauf von an der Börse oder ausserbörslich gehandelten Aktien), von Gläubigern (Kreditwürdigkeit des Unternehmens) und nicht zuletzt auch der Unternehmensleitung (Investitions- und Finanzierungsprojekte, Bilanzstrukturmanagement).
Aus der Sicht der Adressaten und ihrer unterschiedlichen Informationsbedürfnisse ist zu beachten, dass bei Ermittlung und Festlegung von Grössen des Jahresabschlusses trotz Regulierung im Rechnungslegungsrecht (OR 957-961d) ein erheblicher Ermessensspielraum besteht. So sind für den Jahresabschluss viele Schätzungen (Abschreibungsmethoden, Höhe der Rückstellungen, usw.) notwendig. Dies schränkt die Informationsfunktion beim Aufstellen des Jahresabschlusses ein.
Deshalb wird in Abweichung der obligationenrechtlichen Vorschriften zur Verbesserung der Aussagekraft für den Einzel- und den Konzernabschluss in besonderen Fällen eine Aussage nach dem True and Fair View-Konzept verlangt.
Eine besondere Bedeutung kommt der Rechnungslegung auch im Zusammenhang mit der von Jensen/Meckling entwickelten Agency-Theorie zu, welche sich mit der Analyse und der institutionellen Gestaltung von Auftragsbeziehungen in der Grossunternehmung befasst. Die Gesellschafter oder Gläubiger nehmen die Rolle der Auftraggeber (Principals) ein, das Management ist der Auftragnehmer (Agent). Da naturgemäss zwischen den beiden Parteien bedeutende Informationsasymmetrien bestehen, dient die Rechnungslegung den »Principals« als Informations- und zugleich Überwachungsmittel.103 Diese ist auch ein wichtiges Instrument der Corporate Governance. Es bildet die Grundlage für die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Management und Auftraggebern, z. B. anhand der Ausschüttungsbemessungsfunktion des handelsrechtlichen Jahresabschlusses. Dieser liefert auch die Zahlen zur Festlegung von sog. Covenants in Finanzierungsvereinbarungen oder für die Anreizsysteme, mit denen die »Principals« die Handlungen der »Agents«, d. h., des Managements oder der Mitarbeiter, auf ihre Interessen hin ausrichten können.
Rechenschafts- und Kontrollfunktion
Für die nicht an der Geschäftsleitung beteiligten Streubesitz- oder Minderheitsaktionäre sowie die bezüglich der Mitwirkungsrechte von Aktionären gleichgestellten Gesellschafter einer GmbH (OR 805) kommt dem Jahresabschluss als Instrument der Rechenschaft eine zentrale Bedeutung zu. Sie haben Anspruch darauf, von der Unternehmensleitung zu erfahren, ob die ihr zur Verfügung gestellten Mittel optimal eingesetzt und eine angemessene Rendite erwirtschaftet hat. Bei Grossunternehmen mit einer erheblichen wirtschaftlichen Bedeutung für einen breiteren Kreis von Anspruchsberechtigten wie Arbeitnehmern (Arbeitsplatzsicherheit), Lieferanten (Stabilität der Geschäftsbeziehung), öffentlichen Gemeinwesen (Steuereinnahmen) ist die Pflicht zur Rechenschaftsablegung zwar erwünscht, von Gesetzes wegen in der Schweiz jedoch nicht vorgeschrieben. Freiwillige Veröffentlichungen von nicht börsenkotierten Grossunternehmen sind jedoch äusserst selten.
Gemäss einer bei einem mittelgrossen Unternehmen durchgeführten Umfrage wird die Rechenschaftsablage gegenüber den Anteilseignern als wichtige Funktion betrachtet.
Ausschüttungsbemessungsfunktion
Um zu verhindern, dass die Aktionäre das »dauernde Gedeihen« (aOR 669/OR 960e) der Aktiengesellschaft als Träger des operativen Unternehmens durch betriebswirtschaftlich unangemessene Gewinnausschüttungen gefährden, kommt dem handelsrechtlichen Jahresabschluss auch die Aufgabe zu, nicht das tatsächlich erzielte Ergebnis, sondern durch eine besonders vorsichtige Bewertung, insbesondere durch Bildung stiller Reserven, den ausschüttungsfähigen Gewinn zu ermitteln. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Ausschüttungsbemessungsfunktion des Jahresabschlusses. Dies steht jedoch im Widerspruch zur Rechenschaftsfunktion. Nach modernen Lehrmeinungen hat in diesem Interessenkonflikt jedoch die Rechenschaftsfunktion eindeutig den Vorrang.104
Kapitalerhaltungsfunktion
Die Ausschüttungsbemessungsfunktion wird zudem durch Ausschüttungssperrvorschriften bei Kapitalgesellschaften ergänzt (OR 671 ff., E 2014 OR 672). Sie hat deshalb auch eine Kapitalerhaltungsfunktion. In AG und GmbH soll durch einschränkende Vorschriften zur Gewinnverwendung und Kapitalrückzahlungen ein Reinvermögen in der Höhe des Aktienkapitals bzw. des Stammkapitals erhalten bleiben. Weil die Haftung der Unternehmenseigentümer gegenüber den Gläubigern je nach Rechtsform des Unternehmens unterschiedlich ausfällt, ist die Gestaltung der Kapitalerhaltungsfunktion von der Rechtsform des Unternehmens abhängig (Personen-Unternehmen, Kapital-Unternehmen, Genossenschaft).
Steuerbemessungsfunktion
Nach dem Massgeblichkeitsprinzip ist der handelsrechtliche Einzelabschluss Anknüpfungspunkt für die Berechnung des steuerbaren Gewinns (Gewinnsteuer gemäss DBG 58 I) und des steuerbaren Eigenkapitals (Kapitalsteuer gemäss StHG 29). Weil die OR-Rechnungslegungsnormen jedoch bewusst Wahlrechte und Ermessensspielraum (Rückstellungen, Abschreibungen und Wertberichtigungen) zulassen, sehen die steuerrechtlichen Bewertungsvorschriften Korrekturen (»Aufrechnungen«) des Jahresabschlusses nach dem Rechnungslegungsrecht vor.105