Louise Boije af Gennäs

Blutblume


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legte seine Hand auf meine.

      »Du bist müde«, sagte er. »Du hattest es schließlich schwer in der letzten Zeit.«

      Gullbritt stand vor uns.

      »Plätzchen?«, fragte sie und legte den Kopf schief. »Kaffee schmeckt ohne doch nie wirklich gut.«

      Sie stellte einen Teller mit Keksen vor uns, und Fabian schaute lächelnd zu ihr auf.

      »Gullbritt, Sie wissen genau, woran es fehlt«, sagte er und griff nach einem Plätzchen mit Hagelzucker.

      »Ich tu mein Bestes«, sagte Gullbritt kokett und verschwand wieder hinter dem Tresen.

      Als wir uns verabschiedeten, umarmte Fabian mich noch einmal.

      »Ruh dich aus«, sagte er. »Lass ein paar Monate ins Land ziehen. Wenn du dann genug hast von dem hier, melde dich. Dann schauen wir, ob wir was Passendes beim Außenministerium finden.«

      »Okay«, sagte ich, wusste aber in mir drin, dass dieser Tag nie kommen würde.

      Am Abend hatte die Spülmaschine des Cafés den Geist aufgegeben, also mussten wir alles von Hand spülen, und dann steckte mein Bus wegen eines Unfalls eine Viertelstunde vor der Björnboda-Schule fest. Als ich endlich in Vällingby ankam, war es zwanzig nach sieben und die Küche abgeschlossen.

      Auf dem kleinen Tisch im Flur lagen drei an mich adressierte Briefe mit Absagen auf Bewerbungen – »Danke für Ihr Interesse, die Stelle ist bereits besetzt«, »unterqualifiziert« und »überqualifiziert«. Ich knüllte sie zusammen und warf sie in den Papierkorb. Keine Spur von Siv, aber Jalil stand oben am Treppengeländer und lächelte zu mir hinunter, dass sein Bart nur so zitterte. Heute trug er ein strahlend blaues Hemd aus feinem Cordstoff.

      »Die Olle ist ins Kino gegangen«, verkündete er. »Dann schließt sie die Küche immer ab.«

      Dann konnte ich ihn ja jetzt gut und gern konfrontieren. Ich machte einen Schritt auf die Treppe zu.

      »Sag mal: Sixten«, setzte ich an und nickte grob zu seinem Zimmer. »Der Typ, der neben mir wohnt. Warum schreit der denn nachts? Hast du ihn gestern gehört?«

      Jalil riss die Augen auf und nickte.

      »Und ob ich ihn gehört habe«, antwortete er. »Ich hab das Licht ausgemacht und mir das Kissen auf die Ohren gedrückt.«

      »Hat er das schon mal gemacht?«

      »Nicht, seit ich hier wohne.«

      Ich hielt es für unnötig, die Stimmen in meinem Zimmer zu erwähnen. Und den Albtraum mit dem Feuer.

      »Was ist denn mit dem los?«, fragte ich also.

      »Vielleicht einfach verrückt?«, schlug Jalil vor und hob die Augenbrauen.

      Dann sah er mich freundlich an.

      »Hast du Hunger?«, fragte er. »Ich hab noch kalten Couscous mit Joghurtsoße aufm Zimmer.«

      »Nein danke«, sagte ich, obwohl ich meinen Magen knurren hören konnte. »Ich lass mir was anderes einfallen. Aber trotzdem danke.«

      Jalil wirkte plötzlich abgelenkt, als wäre ihm etwas eingefallen.

      »Übrigens«, sagte er. »Da haben heute ein paar Typen nach dir gefragt.«

      Wer konnte das gewesen sein? Hatten Fabian und Björn mich hier aufgestöbert?

      »Wie sahen sie aus?«, fragte ich.

      »Keine Ahnung«, sagte Jalil. »Sie haben mit Siv gesprochen. Klang für mich so, als hätten sie einen Akzent gehabt.«

      Also nicht Björn und Fabian. Ich atmete erleichtert auf.

      »Danke«, sagte ich. »Dann werde ich mal bei Siv nachhaken, was sie wollten.«

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      Kurze Zeit später waren Simåns und ich unterwegs zur Imbissbude von Vällingby Centrum, um uns eine Wurst und einen Kakao zu teilen. Ich führte ihn am Katzengeschirr und lief gerade Sivs Auffahrt hinunter, als er plötzlich ins Gebüsch sprang. Die Leine spannte sich, und ich hörte es rascheln.

      »Simåns«, sagte ich erschöpft. »Musst du jetzt Mäuse jagen? Ich will was essen! Komm wieder raus!«

      Als hätte er mich verstanden, sprang Simåns aus dem Gebüsch, aber er spielte dabei mit etwas. Ein Gegenstand fiel scheppernd vor mir auf die Pflastersteine, und ich hob ihn auf. Simåns schaute sehnsüchtig zu mir auf, weil ich nun sein Spielzeug in den Händen hielt.

      Es war eine kleine, runde Dose aus Aluminium, auf die Seite war eine orangefarbene Flamme gemalt. Real Flame Gel Fuel stand in großen schwarzen Buchstaben unter der Flamme. Danger.

      Ich steckte die Dose in die Jackentasche, holte mein Handy hervor und googelte den Namen. Gel Fuel konnte man dazu nutzen, innen und außen Feuer zu entfachen. Das Feuer erwärmte das Zimmer; es knisterte sogar. Manchmal gab es einen schwachen Alkoholgeruch von sich.

       Mehrere dieser Dosen, nebeneinander aufgereiht direkt unter meinem Fenster?

      Aber warum?

      Wer könnte etwas so dermaßen Niederträchtiges machen wollen?

      War es nicht vielleicht einfach Zufall, dass die Dose dort lag, nachdem ich einen Albtraum gehabt hatte?

      Ich schob die Gedanken fort und setzte den Weg zum Imbiss fort, wo ich wirklich ein Würstchen und einen Kakao bestellte. Über uns wölbte sich ein dunkler Himmel, vollkommen sternenleer. Ein beißender Wind blies um das abgedunkelte Eckgeschäft und kündete vom nahenden Winter.

      Und genau dort, vor der Imbissbude, während ich die Serviette zusammenfaltete und den letzten Bissen hinunterschluckte, kehrte das alte, allzu bekannte Gefühl extremen Unbehagens zu mir zurück. Die Fassaden machten einen Satz auf mich zu. Ein dunkler Schatten glitt aus einer der Nebengassen und richtete seine leuchtenden, grünen Augen auf mich. Übelkeit und Panik wuchsen in mir und fuhrwerkten mit widerhakenähnlichen Krallen in meinen Eingeweiden herum.

      Ich stützte mich mit einer Hand an der Wand des Imbisshäuschens ab.

      Verrückt, verrückt, verrückt.

      Was hatte die Therapeutin noch gesagt? »Ein typisches Symptom einer posttraumatischen Belastungsstörung ist das Gefühl, den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren. Das Gefühl, dass einen die Sinne täuschen. Man sieht Dinge und hört Stimmen, die es eigentlich gar nicht gibt. Das ist kein Zeichen von Wahnsinn, sondern einfach nur der Hinweis, dass man großem Stress ausgesetzt war.«

      Ein Mann stand direkt vor mir und glotzte mich an. Seine Lippen bewegten sich; offenbar sprach er. Aber ich verstand keinen Ton, hörte weder etwas von ihm noch von dem Auto, das hinter ihm vorbeifuhr.

      Ich glotzte zurück. Dann beugte ich mich hinunter, nahm Simåns auf den Arm und ließ den Imbiss hinter mir. Erst als ich am Berglagsvägen angelangt war, kamen die Geräusche mit voller Wucht zurück.

      Und mir wurde bewusst, dass ich Rotz und Wasser heulte.

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      »Nein, ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen«, sagte Siv missmutig. »Ich erinnere mich an nichts.«

      Sie stand in ihrem flauschigen rosa Bademantel an der Spüle und wischte sie trocken.

      »Aber Jalil meint, er hat gehört, wie Sie mit zwei Männern gesprochen haben«, beharrte ich.

      Siv hörte auf zu wischen und richtete stattdessen den Blick auf mich.

      »Ich bin nicht die Sekretärin meiner Mieter«, sagte sie zornig. »Kümmern Sie sich selbst um Ihre Bekannten!«

      Ich holte die Dose Real Flame aus der Tasche und zeigte sie ihr.

      »Ich glaube, dass jemand ein Trickfeuer