mit seinen letzten Kerlen zum Boot gerettet und war in rasender Eile zum Schiff gepullt. Nur eine Geisel hatte er mitgenommen – ihn, Joaquin, denn noch gab er sich nicht geschlagen.
Der Schwarzbärtige stand breitbeinig vor ihm. Joaquin stellte sich bewußtlos, aber der Kerl hatte bereits bemerkt, daß sein Gefangener wieder bei Sinnen war. Sein rechter Fuß schwang zurück und zuckte vor – Joaquin bäumte sich unter dem Tritt in seine Körperseite auf. Aber er stöhnte nicht, diese Blöße wollte er sich nicht geben.
„Der Hund ist zäh“, sagte der Pirat. „Aber wir bringen ihm das Winseln bei. Er wird um Gnade flehen und seinen Hurensöhnen von Freunden raten, sich schleunigst zu ergeben.“
Joaquin schlug die Augen auf und sah den Mann haßerfüllt an. „Fahr zur Hölle! Du hast dich in uns getäuscht! Keiner wird uns besiegen, wir kämpfen bis zum letzten Blutstropfen!“
Ein zweiter Tritt in die Seite brachte ihn zum Verstummen.
„Wie ich höre, verstehst du meine Sprache!“ brüllte der Piratenkapitän. „Um so besser! Ich bin Chagall, der Diener des Teufels höchstpersönlich! Dich schicke ich zur Hölle, Hundesohn, und dein Schreien wird deine Bastardkumpane überzeugen, daß es besser ist, sich zu ergeben! Sag ihnen, sie sollen die Flagge streichen!“
„Nein.“ Joaquin sprach es ruhig aus. Er wußte, daß sich Chagall an ihnen die Zähne ausbeißen würde. Die Siedler hatten sich im Urwald versteckt, sie kannten sich dort genausogut aus wie die Tiere, die in der immergrünen Selva hausten. Es nutzte Chagall nichts, das Kanonenfeuer auf die Hütten zu eröffnen und alles zusammenzuschießen, er konnte alles in Schutt und Asche legen, doch es brachte ihm nichts ein.
Die geheimen Waffen- und Munitionsdepots der Siedler befanden sich im Urwald, sie hatten alles vergraben, was ihnen gehörte. Auch Proviant und Wasser würde Chagall nicht in seinen Besitz bringen, und mit den sechs Einmastern konnte er wenig anfangen.
Er brauchte Männer, Pulver, Kugeln und Nahrung, aber wenn er erneut mit einem Stoßtrupp an Land ging, erwartete ihn das erbitterte Musketenfeuer der Siedler. Aus dem Busch heraus würden sie ein Zielschießen auf den Gegner veranstalten.
Chagalls einzige Chance lautete Erpressung. Er befand sich in einer verzweifelten Situation und mußte sie zu seinen Gunsten lösen, sonst hatte er auch vor seinen Männern verspielt, und es bestand die Gefahr einer Meuterei.
„Bastard“, sagte er. „Ich habe einiges über diese Bucht vernommen. Sie ist klein, aber fein, nicht wahr? Sie hat den Ruf einer Mördergrube. Requins tummeln sich hier, Haie, die nur auf ein Opfer warten. Wenn sie deine Beine verschlungen haben, wird dein Gebrüll die Narren, die im Dschungel hocken, zur Kapitulation zwingen.“
„Hier gibt es keine Haie“, sagte Joaquin in gebrochenem Französisch. Er sprach Spanisch und Französisch durcheinander.
Die Piraten quittierten seine Worte mit brüllendem Gelächter. Chagall beugte sich zu ihm hinunter und setzte ein süffisantes, falsches Lächeln auf.
„Keine Haie?“ wiederholte er mit vorgetäuschter Freundlichkeit. „Das ist gut für dich. Du hast eine Chance, mein Freund, ich gewähre sie dir, großzügig, wie ich bin. Du gehst von Bord und schwimmst zum Ufer. Wenn du es schaffst, bist du frei. Willst du mir nicht danke schön sagen?“
Joaquin spuckte ihm mitten ins Gesicht. Chagall stieß eine lästerliche Verwünschung aus, das Übelste und Gemeinste, was der Spanier je vernommen hatte. Zwei Kerle rissen Joaquin von den Planken hoch, traten und schlugen ihn und zerrten ihn zum Backbordschanzkleid des Hauptdecks. Sie zogen ihn bis auf eine kurze Hose aus, dann trafen sie Anstalten, ihn ins Wasser zu werfen.
„Halt!“ rief Chagall. „Er soll langsam sterben. Er soll kämpfen und schreien und seine Kumpane das Grausen lehren. Gebt ihm ein Messer! Na los, wird’s bald?“
Einer der Kerle drückte Joaquin mit einem Fluch sein Messer in die Hand. Joaquin wollte sich auf Chagall stürzen, doch sie hielten ihn zurück, und wieder setzte es Prügel. Chagall lachte roh und gab seinen Kerlen ein Zeichen. Sie hoben Joaquin hoch und schleuderten ihn außenbords.
Im Fall stieß er sich den ohnehin schon lädierten Kopf an den Berghölzern. Ihm wurde übel, er drohte das Bewußtsein zu verlieren. Doch als er ins Wasser klatschte, kehrten seine Sinne voll zurück. Er drehte sich um die Körperachse, tauchte wieder auf, schöpfte Luft und nahm das Messer zwischen die Zähne.
Er begann zu schwimmen und hörte, wie Chagall über ihm schrie: „Musketen – Feuer!“
Noch eine Variante des grausamen Spiels also – und Joaquin Solimonte wußte, daß er sterben würde.
7.
Übermächtig ist der Selbsterhaltungstrieb in jedem normalen Menschen – Joaquin wollte sein Leben so teuer wie möglich verkaufen. Es nutzt wenig, ein guter Schwimmer zu sein, wenn ein oder zwei Dutzend lachender Piraten mit Musketen, Arkebusen und Tromblons ein Zielschießen auf einen veranstalten.
Die ersten Schüsse belferten, die Kugeln sirrten heran. Trotz der Dunkelheit bot Joaquins nackter Körper ein gut sichtbares Ziel, er schimmerte weißlich im Mondlicht.
Joaquin zog sich blitzschnell unter Wasser zurück. Ein guter Taucher, das war er schon immer gewesen. Vor vielen Jahren hatte er einen Mann aus Zipangu kennengelernt, der ihm das Tauchen nach Austern beigebracht hatte. Diesem Mann war er jetzt dankbar. Joaquin konnte sich unter Wasser aufhalten und bis hundert zählen, seine Atemluft reichte so lange aus.
Er schwamm bis auf den Grund der Bucht, hielt dann auf das Ufer zu und betete in Gedanken zum Himmel. Mein Gott, bewahre mich vor den Haien! Jesus, Maria, seid gütig und rettet mich!
Die Atemnot begann, er mußte wieder aufsteigen. Seine Lungen taten weh, drohten zu platzen. Er schoß ein Stück aus dem Wasser, schöpfte japsend frische Luft – und blickte über die Schulter in das Aufblitzen von drei, vier Musketen. Noch hatte er sich nicht weit genug von Chagall und dessen Spießgesellen entfernt, noch war er dem höllischen Feuer der Waffen ausgesetzt.
Wie zornige Hornissen zirpten die Kugeln auf ihn zu. Er fiel ins Wasser zurück, glaubte, ihnen zu entgehen, doch plötzlich streifte etwas siedend heiß seine rechte Schulter. Fast schluckte er Wasser. Taumelnd bewegte er sich in den Fluten, die Schmerzen drohten ihm erneut die Sinne zu rauben.
Doch er blieb bei Bewußtsein. Um ein Haar verlor er das Messer, er hatte es beim Luftschnappen in die rechte Hand genommen. Das Entsetzen war schlimmer als die Schmerzen. Blut! Er hatte nur einen Streifschuß empfangen, aber das Blut lockte die Haie an. Er wußte es – und es war ein Ammenmärchen, daß die Haie nachts schliefen und nicht angriffen. Alles, was über die gefürchteten Mörder erzählt wurde, war unwahr, nur eins stimmte: Blut brachte sie um den Verstand und verwandelte sie in rasende Bestien.
Tintenschwarz war das Wasser, und Joaquin konnte nichts von dem, was um ihn herum geschah, sehen. Doch er spürte die Bewegung hinter sich und fuhr herum. Zähne, wie Perlen an einem Band aneinandergereiht, schimmerten zum Greifen nah, gewaltige Kiefer klafften auf – der Hai war da!
Joaquin handelte instinktiv und versuchte auszuweichen. Er wußte nicht, ob er es seiner Bewegung oder einem Zufall zu verdanken hatte, aber er geriet unter den grauen Bauch des Hais und sah ihn über sich hinweggleiten. Ohne zu zögern stieß er mit dem Messer zu. Er fühlte den Widerstand, schloß die Augen, stieß wieder und wieder zu und ahnte, daß dies nur der Auftakt seines Endes sein konnte.
Ein Schemen im Nichts, ein Ungeheuer der Finsternis schien der nächste düstere Leib zu sein, der heranhuschte. Joaquin drehte sich, hackte mit dem Messer um sich, alles schien in Bewegung zu sein, das Wasser quirlte zu wühlendem, schwanzschlagendem, zähnebeißendem Leben auf, und mittendrin schwamm er, der nackte, ungeschützte, verwundbare Mann.
Er stach zu, wie von Sinnen, traf wieder, hatte Glück und entging dem Zuschnappen der messerscharfen Zähne, aber er begriff kaum noch, was um ihn herum geschah.
Ein Alptraum, der ihn in gewitterdurchtobten Nächten