Roy Palmer

Seewölfe Paket 19


Скачать книгу

in seinen Lungen, aber er fühlte Grund unter seinen Füßen. Er kämpfte, arbeitete sich voran, wühlte sich auf allen vieren durch Schlick, glaubte zu ersticken, zu ertrinken, und doch richtete er sich plötzlich aus dem Wasser auf und watete wankend an Land. Wie ein Betrunkener torkelte er vorwärts, stolperte durch seichte Wellen und durch Gischt und stürzte auf dem Sand auf die Knie.

      Ein Stöhnen entrang sich seinen Lippen. Wie im Fiebertraum nahm er die Gestalten neben sich wahr, sie tauchten wie im Spuk auf, packten ihn unter den Achseln und schleppten ihn fort.

      Gebrüll vom Schiff der Piraten verkündete, daß Chagall und seine Meute verfolgt hatten, wie sich Joaquin an Land gerettet hatte. Wutentbrannt ließ Chagall die Kanonen zünden. Aber die donnernde Breitseite erfolgte zu spät.

      Die Siedler, die Joaquin zu Hilfe geeilt waren, erreichten mit dem taumelnden Spanier das Dickicht und brachten sich in Sicherheit, während die Siebzehnpfünderkugeln im Strand einschlugen und Sandfontänen hochspritzten.

      Keiner wurde durch die Kugeln verletzt. Die Männer legten sich platt auf den Untergrund und warteten auf die nächste Breitseite. Doch von Bord der Piratengaleone tönte nur Gebrüll zu ihnen herüber.

      Chagall wollte keine Munition mehr vergeuden, er wußte, daß er verloren hatte. Außerdem lag er mit seinen Kerlen im Streit. Sie warfen ihm vor, ein Versager zu sein. Chagall vermochte sich nur durch eine blitzschnelle, rigorose Aktion zu behaupten: Er griff den Wortführer der Meuterer an und tötete ihn im Kampf mit dem Messer.

      Klatschend landete die Leiche des Piraten in der Bucht. Chagall brüllte auf die Bande ein, die jetzt wieder gehorchte. Der Anker wurde gelichtet und gekattet, dann setzten die Kerle die Segel, und das Schiff glitt aus der Bucht des Schreckens.

      Die Siedler rechneten zunächst mit einem Trick der Freibeuter, doch in diesem Punkt täuschten sie sich. Chagall kehrte nicht zurück. Er segelte weiter und suchte nach einem neuen Opfer, das leichter zu überwältigen war.

      Erst im Morgengrauen kehrten die Siedler zu ihren Hütten zurück. Sie bargen und bestatteten die Toten und versorgten die Verwundeten.

      Ein Landsmann von Joaquin Solimonte, ein Katalane namens Rosario, deutete auf die Bucht und sagte: „Der tote Pirat ist verschwunden, die Tiburones haben ihn verschlungen. Aber du hast nicht nur Chagall, sondern auch den Haien eine schwere Niederlage zugefügt, Joaquin. Wir werden dich von jetzt an nur noch ‚El Tiburon‘ nennen.“

      „Ich habe nur meine Pflicht euch gegenüber getan“, sagte Joaquin. „Ich wollte nicht, daß ihr meinetwegen aufgebt.“

      „Chagall wollte ein Exempel statuieren“, sagte Rosario. „Es ist ihm gründlich mißlungen. Und du hast ein Zeichen gesetzt – El Tiburon. Wir werden dir das nie vergessen.“ Er wies noch einmal auf die Bucht – und da blickte auch Joaquin in diese Richtung. Er sah die toten Haie, die mit den Bäuchen zuoberst im Wasser trieben.

      „Acht Haie“, sagte Diego und verdrehte etwas die Augen. „Das muß man sich mal vorstellen. Dieser Rosario war mal hier und hat mir alles erzählt, deshalb weiß ich es. Von El Tiburon selbst hätte ich es nie erfahren, er stellt sein Licht ja immer unter den Scheffel.“

      „Weil Leute wie du das Blaue vom Himmel herunterlügen“, sagte Solimonte, der jetzt ziemlich ärgerlich wirkte. „Es waren nur drei Haie, das weißt du genau.“

      „Rosario sprach aber von acht Haien.“

      „Das kann ich mir nicht vorstellen“, sagte der Spanier. „Rosario ist ein aufrichtiger Mann. Aber diese verflixte Geschichte ist immer weiter ausgesponnen worden, und in zwei Jahren haben sich die verdammten Haie vermehrt. Man darf keinem dieser Strolche etwas anvertrauen, sie schwindeln, daß sich die Balken biegen.“ Die letzten Worte hatte er an Carlos Rivero gerichtet, der ihm aufmunternd zulächelte.

      „Laß nur“, sagte Carlos. „Diego ist eher noch bescheiden gewesen. Ich kenne Seeleute, die noch zu viel schlimmeren Übertreibungen imstande sind und jede Menge aus der eigenen Phantasie hinzudichten.“

      „Ja“, pflichtete O’Brien ihm bei. „Sämtliche Hafenkneipen in England müßten beispielsweise hufeisenförmig gebogene Balken haben – wegen des vielen Seemannsgarns, das dort an den Tischen zum besten gegeben wird.“

      „Ich dichte nichts hinzu“, erklärte Diego. „Rosario selbst sagte, daß nach deinem Kampf mit den Haien die Siedler so – äh – motiviert waren, daß sie jederzeit einen neuen Kampf gegen die Piraten gewagt hätten. Oder stimmt das etwa auch nicht?“

      „Das stimmt“, erwiderte Joaquin. „Aber ich bleibe dabei: Es waren drei Haie. Ich muß es wohl wissen.“

      Arne von Manteuffel beherrschte die spanische Sprache recht gut, er hatte in den vergangenen Wochen fleißig gelernt. Was er noch nicht verstand, ließ er sich von Carlos Rivero oder Willem Tomdijk übersetzen.

      Jetzt wandte er sich an Joaquin und sagte: „Immerhin. Auch der Kampf gegen drei Haie reicht schon. Meine Hochachtung. Deine Gefährten haben recht, wenn sie dich El Tiburon nennen.“

      „Das ist mir egal“, entgegnete Joaquin. „Ich lege ohnehin keinen gesteigerten Wert darauf, aber der Name haftet mir nun mal an. So etwas wie damals will ich nie wieder erleben, ich habe es mir geschworen. Ich hasse die Haie.“

      „Auch auf der ‚Le Vengeur‘ gibt es einen Mann, der Ähnliches erlebt hat“, sagte Arne von Manteuffel. „Er heißt Mel Ferrow und wird der Mann mit dem Haizeichen genannt. Ribault hat mir erzählt, daß er mal einen mörderischen Kampf mit einem Hai geführt hat. Seitdem trägt er eine entsetzliche Bißnarbe auf dem Rücken. Wenn jemand von Haien spricht, kann er fuchsteufelswild werden.“

      „Ich kann den Mann gut verstehen“, sagte Joaquin.

      Diego kicherte. „Paß auf, daß du nie auf die Totenrutsche gerätst. Du weißt ja, auch um Tortuga herum wimmelt es von Haien.“

      „Ja“, erwiderte Joaquin. „Da sagst du mir nichts Neues. Doch laßt uns jetzt das Thema wechseln. Ich bedaure, daß ich während eures Gefechts gegen die Black Queen nicht hier im Hafen war. Als ich aus den Bergen zurückkehrte, waren vier von euren Schiffen schon wieder ausgelaufen. Ich habe aber den Schußwechsel beobachtet und gesehen, wie die Piratengaleonen versenkt wurden. Großartig. Später haben mir die Leute hier im Hafen alles erzählt. Ich bedaure, daß ich den Seewolf nicht persönlich kennengelernt habe.“

      „Und Siri-Tong“, fügte Diego grinsend hinzu. „Mein lieber Mann, sie ist ein Prachtbild von Frau.“

      „Laß dich nicht weiter aus“, sagte Carlos Rivero drohend. „Die Rote Korsarin ist für jeden tabu. Aber eins ist sicher, Joaquin, auch Hasard, Siri-Tong, Ribault, der Wikinger und Jerry Reeves hätten gern ein paar Worte mit dir gewechselt. Du scheinst ein feiner Kerl zu sein, man sitzt gern mit dir zusammen und trinkt ein Gläschen.“

      Diego nahm dies als Aufforderung und füllte erneut die Becher. Joaquin trank einen Schluck, dann nickte er Arne, O’Brien, Carlos und dem dicken Willem zu. „Danke. Eigentlich hatte ich nie damit gerechnet, Männer wie euch in der Schildkröte anzutreffen.“

      „Was soll denn das nun wieder heißen?“ fragte Diego.

      „Daß hier sonst das übelste Gesindel verkehrt“, erwiderte Joaquin. „Das weißt du doch selbst am besten. Eines Tages gerätst du an den Verkehrten, Diego, und wirst wegen deines Herumspionierens und des Handels mit Informationen gepfählt oder gevierteilt. Oder du saust selbst die Totenrutsche hinunter.“

      Diego war viel zu hartgesotten, um sich von solchen Worten beeindrucken zu lassen.

      „Nett, wie du das sagst“, erwiderte er und grinste breit und ausgiebig. „Es freut mich immer, wenn mir jemand eine glückliche Zukunft voraussagt.“

      Die Männer lachten und stießen miteinander an. Joaquin lag eine Frage auf der Zunge, er sprach sie jetzt aus. „Diese vielen Siedler von El Triunfo, die jetzt auf Tortuga sind – was soll aus ihnen werden? Es gibt doch nicht genügend Unterkünfte, und die Insel selbst ist auch ziemlich klein. Für diese Männer dürfte es mit