Roy Palmer

Seewölfe Paket 19


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Manon, sich in Gefahr?

      Sie kehrte nach draußen zurück, blickte sich vorsichtig nach allen Seiten um und schlug sich in die Büsche. Das einzig Richtige, was sie jetzt tun konnte, war, Hilfe zu holen. Allein konnte sie nichts unternehmen. Beherzt kehrte sie zum Hafen zurück und eilte in die „Schildkröte“. Hier traf sie Diego und Willem Tomdijk an der Theke an – und Carlos Rivero, der inzwischen kurz noch einmal zurückgekehrt war, um Joaquin Solimonte ein paar Fragen zu stellen, die ihm inzwischen eingefallen waren.

      Diego begriff sofort, daß etwas nicht in Ordnung war, er brauchte Manon nur anzuschauen.

      „Was ist passiert?“ fragte er dann sofort, als ahnte er etwas von dem Unheil. „Wo ist Esther? Hast du nach ihr gesucht?“

      „Sie ist tot“, stammelte Manon. „Sie liegt in der Hütte. Die Rückenwunde – ich glaube, das ist ein Messerstich. Sehr tief. Sie muß gleich tot gewesen sein.“ Aus weit aufgerissenen Augen sah sie die betroffenen Männer an. „Was hat sie denn getan? Weshalb mußte sie sterben? Ich kann mir das nicht erklären.“

      „Sie war mit diesem Portugiesen zusammen“, sagte Diego grimmig. „Joao Nazario. Wo steckt er? Hast du ihn nicht gesehen?“

      „Nein“, erwiderte sie.

      Diego ließ seinen Blick durch die Grotte wandern. „Hier ist er nicht. Und auch sein Freund, der Bretone, dieser Gilbert Sarraux, ist weg. Ich wette, die beiden können uns was erzählen.“

      „Keine voreiligen Schlüsse ziehen, Diego“, sagte Carlos. „Vielleicht war dieser Portugiese längst nicht mehr bei Esther, als sie umgebracht wurde. Wir können vermuten, daß er mit dem Mord zu tun hat, aber wir dürfen es nicht voraussetzen.“

      „Das wichtigste ist jetzt, daß wir alle einen klaren Kopf behalten“, sagte Willem. „Ich schlage vor, wir organisieren eine Suchaktion und holen uns den Portugiesen und den Bretonen. Wir vernehmen sie und sehen dann weiter. Das arme Mädchen! So ein grausames Ende hat sie wirklich nicht verdient!“

      Inzwischen hatte das Gespräch an der Theke die allgemeine Aufmerksamkeit erregt. El Tiburon, ein drahtiger kleiner Spanier namens Pedro und zehn, zwölf andere Kneipengäste näherten sich und umringten Manon, Willem, Carlos und Diego. Jeder wollte wissen, was geschehen sei, und Manon selbst setzte es ihnen hastig auseinander.

      „Schweinerei!“ stieß der kleine Pedro hervor. „Wenn ich den Hund erwische, der das getan hat, drehe ich ihm eigenhändig den Hals um!“

      „Los, wir dürfen keine Zeit verlieren!“ rief Carlos. „Eine Gruppe bleibt als Wache am Hafen zurück – für den Fall, daß der Portugiese und der Bretone abzuhauen versuchen. Alle anderen folgen mir zu der Hütte. Wir kämmen die ganze Umgebung ab, wenn es sein muß, die ganze Insel.“

      „Recht so“, pflichtete Willem ihm bei. „Ich bleibe mit den Wachtposten am Hafen. Ihr wißt ja, ich bin schlecht zu Fuß. Gnade Gott diesem Nazario und seinem Freund Sarraux, wenn sie kein Alibi für die Tatzeit haben! Läßt sich überhaupt feststellen, wann das arme Ding gestorben ist?“

      „Sie war noch ganz warm“, entgegnete Manon und konnte sich eines trockenen Schluchzens nicht erwehren. „Sie kann noch nicht lange tot gewesen sein, als ich sie gefunden habe.“

      „Auf was warten wir noch?“ rief El Tiburon. „Wir verlieren nur kostbare Zeit. Pedro, du begleitest mich! Wir beiden drehen jeden Stein um und sehen hinter jeden Strauch. Notfalls krempeln wir den ganzen Dschungel um.“ Es selbst hatte einiges für Esther übriggehabt und hatte an diesem Abend mit dem Blick immer wieder nach ihr gesucht. Gern hätte er eine Nacht mit ihr verbracht, doch daraus wurde jetzt nichts mehr. Ihr Tod versetzte El Tiburon in Wut. Er haßte Männer, die sich an wehrlosen Frauen vergriffen, und wenn Joao Nazario tatsächlich der Mörder war, dann würde er seine Tat noch schwer bereuen.

      Vor der „Schildkröte“, wurden die Suchtrupps eingeteilt. Inzwischen trafen auch einige der Siedler von El Triunfo ein und schlossen sich Diego, Carlos und Willem an. Rasch war alles Erforderliche besprochen und geklärt, die Gruppen trennten sich und brachen auf.

      Willem blieb mit sechs Männern am Hafen zurück. Er hatte sich vergewissert, daß während der letzten Stunden kein Boot und kein Einmaster die Bucht verlassen hatten. Das würde auch in den nun folgenden Stunden nicht der Fall sein, schwor er sich. Wer Tortuga den Rücken kehren wollte, der würde kurzerhand festgenommen werden. Die einmastige Pinasse, die nach Aussage von Diego nur dem Portugiesen und dem Bretonen gehören konnte, wurde von nun an schwer bewacht.

      Fünf Trupps von jeweils acht Mann stiegen in den Felsen auf und untersuchten zuerst Esthers Hütte. Carlos und Diego bestätigten, was Manon bereits festgestellt hatte: Esther war durch einen tiefen Messerstich getötet worden. Nach der Art der Wunde zu urteilen, konnte der Mörder das Messer auch geschleudert haben.

      „Von hinten hat er sie umgebracht“, sagte Diego. Sein Gesicht war jetzt weiß vor Wut. „Meuchlings. Dieser dreckige Hund. Feiges Schwein. Gemeine Ratte. Sie hat nicht mal die Chance gehabt, sich zu verteidigen.“

      „Wir bestatten das Mädchen später“, sagte Carlos. „Laßt uns jetzt weitersuchen. Je mehr Zeit vergeht, desto größer ist die Chance der beiden Kerle, sich irgendwo zu verstecken.“

      Es war nach wie vor nicht bewiesen, daß Nazario und Sarraux für den Tod des Mädchens verantwortlich waren. Aber die Wahrscheinlichkeit nahm immer mehr zu. Warum waren sie verschwunden? Warum war Joao Nazario nach dem Treffen mit Esther nicht in die „Schildkröte“ zurückgekehrt? Die Pinasse der beiden lag nach wie vor im Hafen, aber sie hielten sich versteckt und waren nicht aufzufinden.

      Es gab demnach genügend Verdachtsmomente, und alles konzentrierte sich darauf, die beiden Männer zu finden. Willem Tomdijk stand unterdessen an der Hafenbucht von Tortuga und überlegte, ob er auch Arne von Manteuffel an Bord der „Wappen von Kolberg“ über das Geschehen unterrichten sollte.

      Er verzichtete aber darauf. Die Männer der Galeone sollten ihre Ruhe haben. Die Ankerwache schien nichts bemerkt zu haben, und das war auch gut so, befand Willem. Die Sache mit dem Mord an Esther war sozusagen eine „interne“ Angelegenheit, die Freunde von der „Wappen von Kolberg“ brauchten damit nicht belästigt zu werden.

      Nach zwei Stunden trafen sich die Trupps wie vereinbart vor Diegos Kneipe wieder.

      „Nichts“, sagte Carlos. „Keine Spur von den Kerlen.“

      „Aber irgendwo müssen sie sein“, sagte Diego. „Sie können die Insel nicht schwimmend verlassen haben. Nein, das würden sie ganz bestimmt nicht riskieren, vor allem wegen der Haie nicht.“

      „Ich habe einen Vorschlag“, sagte El Tiburon. „Wir sollten uns in Zweiergruppen aufteilen. Auf diese Weise können wir ein größeres Gebiet in kürzerer Zeit absuchen.“

      „Einverstanden“, sagte Carlos. „Eine gute Idee, El Tiburon.“

      „Die Suche geht also weiter?“ fragte einer der Siedler von El Triunfo.

      „Jetzt erst recht“, erwiderte Diego grimmig. „Wir kämmen die ganze Insel ab. Systematisch. Jeder kriegt seinen Abschnitt zugeteilt, den er bis zum Morgengrauen abgeforscht haben muß. Und auf diese Weise kriegen wir die Hunde, das schwöre ich euch!“

      Wenig später waren die Zwei-Mann-Abteilungen eingeteilt. Unverzüglich brachen sie auf, um die Insel Quadratyard für Quadratyard abzusuchen.

      Manon, Cécile, Julie und ein paar andere Mädchen bargen derweil die tote Esther aus der roten Hütte und trugen sie zum Hafen hinunter. Hier wurde sie in Diegos Kneipe aufgebahrt. Im Morgengrauen sollte sie bestattet werden.

      El Tiburon hatte wieder den kleinen Pedro zur Seite, der sich schon bei der ersten Suchaktion als fleißiger Helfer erwiesen hatte. Joaquin hatte den Mann erst an diesem Abend in der „Schildkröte“ kennengelernt, und sie waren miteinander ins Gespräch geraten, Pedro stammte aus derselben Gegend wie El Tiburon. Sie verstanden sich auf Anhieb gut und hatten ihre Erfahrungen und Erlebnisse ausgetauscht.

      Der Weg der beiden führte an der roten