Roy Palmer

Seewölfe Paket 19


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auf dem Felsen versammelt hatte. Drohend waren die Waffen auf sie gerichtet.

      „Wagt nicht, zu den Waffen zu greifen“, sagte Carlos. „Es wäre euer Tod.“

      „Was wollt ihr von uns?“ fragte Sarraux mit scheinheiliger Miene. „Wir sehen uns hier nur die Gegend an. Ist das verboten?“

      „Gib dir keine Mühe“, sagte Pedro. „Wir wissen alles. Ihr habt Esther umgebracht. Wo ist El Tiburon?“

      „Wer ist denn das?“ fragte Nazario.

      „Abführen, die Kerle“, sagte Carlos. „Wir unterhalten uns in der ‚Schildkröte‘ ausführlich mit ihnen.“

      Die Gruppe setzte sich in Bewegung, Sarraux und der Portugiese wurden in die Mitte genommen. Pedro und zwei andere Männer suchten die Umgebung nach Joaquin Solimonte ab, aber sie konnten ihn nirgends finden. Am Ende fügten sie sich der erschütternden Einsicht: Nazario und Sarraux hatten El Tiburon über die Totenrutsche ins Jenseits befördert. Er hatte es nicht überlebt, wie es schon anderen vor ihm ergangen war.

      Alle waren auf den Beinen, alles traf sich in der „Schildkröte“. Auch Arne von Manteuffel war jetzt zugegen. Die Ankerwache an Bord der „Wappen von Kolberg“ hatte gemeldet, daß im Hafen etwas nicht in Ordnung wäre. Daraufhin hatte sich Arne mit dem Beiboot übersetzen lassen und wohnte jetzt der Szene bei, die sich im zunehmenden Licht des Tages abspielte.

      Anklagend deutete Diego auf Nazario und Sarraux. „Sie sind die Mörder! Wir werden Gericht über sie halten und sie aburteilen!“

      „Ich stelle den Antrag, Arne von Manteuffel als Beisitzer für die Verhandlung zu wählen“, sagte Willem Tomdijk.

      Die Männer und die Mädchen redeten aufgeregt durcheinander. Es gab niemanden, der einen Einwand hatte.

      Arne von Manteuffel trat in die Mitte des Kreises, der sich gebildet hatte und fragte: „Wie lautet die Anklage?“

      „Doppelter Mord“, erwiderte Carlos Rivero. „Diese Männer, Gilbert Sarraux und Joao Nazario, haben Esther getötet. Und sie haben auch El Tiburon auf dem Gewissen. Sie haben ihn von der Totenrutsche in die See gestoßen.“

      „Lüge!“ schrie Nazario. „Ihr braucht wohl einen Sündenbock, was? Wir haben damit nichts zu tun!“

      „Wir sind unschuldig!“ rief auch Sarraux. „Da kann nur eine Verwechslung vorliegen!“

      Aber die Angst hatte sie beide gepackt; Sie wußten, daß die Fakten gegen sie sprachen. Die Verhandlung begann, und man würde sie beider Morde überführen und für schuldig erklären. Jetzt mußten sie doch sterben, denn nur so konnte das Urteil lauten. Sie begriffen, daß sie den Gegner gründlich unterschätzt hatten, aber die Einsicht erfolgte zu spät. Sie saßen in der Falle, es gab kein Entweichen mehr.

      El Tiburon ahnte unterdessen nichts von der Entwicklung der Dinge. Nach wie vor hockte er unter dem Felsenüberhang und wartete auf die Gelegenheit, nach oben aufsteigen zu können.

      Was würde die nahe Zukunft bringen? Er wußte es. Er würde nicht ruhen, bis er die Black Queen gefunden und sich an ihr gerächt hatte. Denn sie war an allem schuld. Man mußte die Wurzel des Übels vernichten. Er, El Tiburon, schwor sich, die Black Queen zu töten …

      ENDE

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       Roy Palmer

Rivalen auf Leben und Tod

       1.

      Joaquin Solimonte, genannt „El Tiburon“, war mit knapper Not dem drohenden Tod entronnen. Es war nicht das erste Mal in seinem bewegten Leben, daß er gegen die freßgierigen Mörder kämpfte. Doch wieder – wie damals vor zwei Jahren auf Hispaniola – hatte ihn das Ereignis arg mitgenommen. Schwer atmend kauerte er unter dem Felsenüberhang, unter den er sich gerettet hatte, und blickte wie in Trance auf die Wasserfläche unterhalb der Totenrutsche von Tortuga.

      Drei Haie – wie damals in der kleinen Bucht westlich von Cabo Samaná! Die toten Tiere waren verschwunden, ihre Artgenossen hatten sie im Blutrausch angefallen und verschlungen. Wie sich die Dinge im Leben gleichen, dachte El Tiburon.

      Sein Mund verzog sich zu einem harten Grinsen. Selbstironie: Der Beiname schien ihm wie ein Fluch anzuhaften. Die Haie verfolgten ihn im Traum. Aber es gab einen noch gefährlicheren Gegner, der jetzt zu seinem Todfeind geworden war – die Black Queen.

      Ihr hatte er dies alles zu verdanken. Er würde sie suchen und finden – und sich an ihr rächen, denn sie hatte die Spione Gilbert Sarraux und Joao Nazario nach Tortuga geschickt.

      Diese beiden waren es gewesen, die ihn festgenommen und brutal verhört hatten. Er wünschte ihnen die Pest an den Hals, aber er wußte, daß er das Übel an seiner Wurzel packen mußte.

      Sarraux und Nazario würden von den Männern von Tortuga gestellt werden, sie konnten nicht mehr fliehen. Er aber, Joaquin, mußte die Black Queen finden und stellen, bevor sie über die Vorfälle auf Tortuga unterrichtet wurde. Dieses Vorhaben erschien ihm vordringlich, und daher faßte er einen impulsiven, zornigen Entschluß.

      Er hatte Stimmen über sich an der Totenrutsche vernommen, jetzt aber waren sie verstummt. Der Bretone und der Portugiese hatten noch eine Weile nach ihm Ausschau gehalten, vielleicht hatten sich auch noch Helfershelfer zu ihnen gesellt. Inzwischen aber waren sie wohl davon überzeugt, daß ihr Opfer des ihm zugedachten grausamen Todes gestorben war, und sie hatten sich zurückgezogen.

      Welchen Sinn hatte es, in den Felsen aufzusteigen und nach ihnen zu suchen? El Tiburon überließ die Kerle dem Haß der Männer: Diego, Carlos Rivero, Pedro, Willem Tomdijk und alle anderen würden nicht eher ruhen, bis sie die beiden Spione gefangengenommen hatten. Für Sarraux und Nazario gab es kein Entweichen mehr: Ihre Pinasse war requiriert, jeder Fluchtweg abgeschnitten. Sie waren den Suchtrupps, die überall auf der Insel nach ihnen forschten, ausgeliefert.

      El Tiburon verließ sein Versteck und schlich zu einer abseits gelegenen Bucht. Wert auf menschliche Gesellschaft legte er jetzt nicht. Gewiß, er hätte Diego, Rivero, von Manteuffel, O’Brien, dem kleinen Pedro und all den anderen wohl erklären müssen, was vorgefallen war. Sie sorgten sich um ihn und wußten nicht einmal, ob er noch lebte. Aber er verlor damit nur Zeit. Er mußte die Black Queen erwischen, bevor sie etwas von der Entlarvung des Bretonen und des Portugiesen ahnte und möglicherweise von Hispaniola floh.

      Punta Gorda – dort wartete sie auf Sarraux und Nazario. El Tiburon hatte es erlauscht, als die beiden Kerle angenommen hatten, er wäre noch bewußtlos. Die Zeit war sein Trumpf. Er mußte Hispaniola so schnell wie möglich erreichen.

      El Tiburon hatte kein eigenes Schiff oder Boot. Er war mit einem Fischer nach Tortuga gesegelt. Ursprünglich hatte er vorgehabt, hier einige Wochen zu verbringen, weil es für ihn Verschiedenes zu erledigen gab. Jetzt aber drängte es ihn zurück zu der großen Insel, die seine Heimat geworden war. Sein Revier: Die Black Queen würde noch bereuen, dort gelandet zu sein.

      Er wollte sie töten. Aber es waren nicht nur die persönlichen Rachegedanken, die ihn dazu trieben. Es steckte mehr dahinter. Die Queen wollte die Macht in der Karibik an sich reißen. Aber Männer wie Joaquin Solimonte duldeten sie nicht, sie akzeptierten nur einen Philip Hasard Killigrew, Jean Ribault, Siri-Tong, Thorfin Njal, Arne von Manteuffel oder Jerry Reeves – Kapitäne eben, die keine Herrschaftsansprüche stellten.

      El Tiburon war ein freier Siedler, ein Bukanier. Er wollte keine Diktatur und sich keinem Gesetz beugen. Dafür lebte und kämpfte er. Wenn eine skrupellose und gnadenlose Frau wie die Black Queen Tortuga und Hispaniola eroberte, war es aus mit dem sorglosen Dasein.

      Diese Überlegungen bestimmten die Entschlossenheit seines Handelns. Er langte an der abgelegenen Bucht an und fand hier keinen Menschen vor. Er wußte jedoch, daß unter den Mangroven