Roy Palmer

Seewölfe Paket 19


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unter dichtem überhängendem Gestrüpp.

      Sorgfältig vertäute er das Fischerboot am Stamm einer Mangrove, brach ein paar Zweige ab und tarnte es. Er nahm seine wenigen Sachen an sich: das Messer, mit dem er gegen die Haie gekämpft hatte, einen alten Säbel, den er in der Hecklast gefunden hatte, sowie den Kieker. Er stieg an Land und bahnte sich mit dem Säbel einen Weg durch das Dickicht.

      Mühsam war diese Art, sich voranzubewegen. Das Unterholz wurde immer verfilzter und schien sich gegen den Eindringling zu wehren. Aber El Tiburon ließ sich nicht beeindrucken. Er war im Urwald zu Hause. Nichts konnte ihn hier aufhalten. Er arbeitete schnell und mit kräftigen Schlägen, verausgabte sich aber nicht zu sehr.

      Nach etwa hundert Yards blieb er stehen. Der Dschungel atmete Feuchtigkeit, die Nässe schien durch alle Poren der Haut zu dringen. Die Selva dünstete einen morastigen Geruch aus, aber das Faszinierendste war im Dunkelwerden die eigentümliche Musik, die den einsamen Mann umgab. Papageien und andere Vögel kreischten, Affen keckerten, Zikaden zirpten, und aus den Niederungen ertönte das Quaken der Frösche.

      Etwas bewegte sich träge vor El Tiburons Füßen – eine Schlange. Giftig oder harmlos? Der Kenner stellte sich die Frage nicht, er verhielt sich ruhig und ließ das Tier ziehen. Schlangen waren im Prinzip scheu und suchten lieber das Weite. Sie griffen nur an, wenn sie selbst sich in die Enge getrieben fühlten.

      Ein Laut schwang in dem abendlichen Konzert mit, den El Tiburon nicht einzuordnen wußte. Die Nachahmung des Schreis einer Uferschnepfe – unwillkürlich mußte er grinsen. Jetzt wußte er, daß er am Ziel war.

      „Keine Angst“, sagte er halblaut. „Ich bin ein Freund, kein Feind. Ich suche Rosario. Ich bin Joaquin Solimonte.“

      „El Tiburon!“ Der Mann, der den Namen aussprach, trat aus dem Unterholz, keine drei Yards von El Tiburon entfernt. Er war mittelgroß und fiel durch sein entstelltes Gesicht auf. Er hatte eine Hasenscharte, konnte aber deutlich und verständlich sprechen. „Es ist gut, daß du deinen Namen genannt hast“, sagte er. „Ich habe unseren Leuten eben schon ein Alarmsignal gegeben.“

      „Das habe ich gehört. Wer bist du?“

      „Fango. Rosario hat uns viel über dich erzählt.“ Fango ließ einen Pfiff ertönen, der sofort erwidert wurde.

      El Tiburon grinste immer noch. „Entwarnung. Wie viele seid ihr?“

      „Zehn Mann. Wir hätten dich glatt erschossen, wenn du einfach so in unser Lager geplatzt wärst.“ Fango musterte El Tiburon im Büchsenlicht. „Du siehst genauso aus, wie Rosario dich beschrieben hat. Komm!“

      Er führte El Tiburon, und sie gelangten durch das Dickicht auf einen schmalen Pfad, der sich wie eine große Schlange durch den Urwald wand. Alle drei, vier Tage mußte der Pfad vom wuchernden Gestrüpp befreit werden, das wußte El Tiburon. Der Dschungel verschlang alles, was der Mensch schuf, alles mußte ihm mühsam abgerungen werden.

      Auf einer kreisförmigen Lichtung endete der kurze Marsch. Neun Männer richteten ihren Blick auf El Tiburon und Fango. Einige von ihnen hatten gesessen, die anderen gelegen. Rosario erhob sich aus einer Hängematte, und auch seine Kameraden waren plötzlich auf den Beinen.

      „El Tiburon!“ rief Rosario. Ein breites Lächeln glitt über seine markanten Züge. „Das ist eine gelungene Überraschung! Ich habe dich seit einer Ewigkeit nicht gesehen! Was führt dich zu mir?“

      „Der Durst“, erwiderte El Tiburon und lachte. „Habt ihr Wein? Oder wenigstens ein bißchen Wasser?“

      „Wasser und Rum“, erwiderte Fango und gab einem der Männer einen Wink. Eine Flasche wurde hervorgezaubert und weitergereicht, schweigend nahm El Tiburon einen Begrüßungsschluck zu sich. Dann schüttelte er allen nacheinander die Hand.

      „Bist du der Anführer?“ fragte er seinen Freund Rosario.

      „Ja“, erwiderte dieser. „Willkommen in dieser Runde von Glücksrittern und Teufelskerlen. Fango hast du schon kennengelernt, die anderen stelle ich dir noch mit ihren Namen vor. Gibt es Schwierigkeiten? Du kannst offen sprechen, du bist hier unter Freunden. Ich lege für jeden meine Hand ins Feuer.“

      Erst jetzt bemerkte El Tiburon die Baumhütte hoch über seinem Kopf. Eine Strickleiter führte hinauf. Die Plattform, auf der man das Haus aus Schilf und Matten errichtet hatte, war zwischen den Blättern der Urwaldsträucher fast völlig versteckt.

      „Ich störe euch nicht gern in eurem Domizil“, sagte El Tiburon. „Vielleicht habt ihr auch Wichtigeres zu tun, als euch meine Probleme anzuhören. Aber ich brauche tatsächlich eure Hilfe.“

      Ein Lagerfeuer wurde entfacht, die Männer ließen sich nieder und tranken wieder aus der Flasche.

      „Keine langen Vorreden“, sagte Rosario. „Welches Schiff gilt es zu überfallen? Wir haben eine Pinasse, El Tiburon, ein prächtiges Schiffchen, mit dem ich mich an jeden dicken Don herantraue.“

      „Meine Gegner sind diesmal nicht unsere lieben Landsleute“, sagte El Tiburon. „Die verhalten sich ruhig und scheinen zur Zeit fest und tief zu schlafen. Nein, die Gefahr droht aus einer anderen Ecke. Habt ihr schon einmal etwas von der Black Queen gehört?“

      „Ich schon“, entgegnete ein Ire namens O’Toole. „Sie soll vor kurzem in El Triunfo an der Küste von Honduras gewesen sein. Es heißt, sie sei auf der Suche nach Verbündeten. Aber der Henker soll mich holen – ich habe keine Ahnung über ihre Machenschaften. Sie ist überall und nirgends, taucht mal hier und mal dort auf. Ein schwarzer Bulle steht ihr zur Seite. Er heißt Caligula.“

      „Zur Zeit befinden sich die Black Queen und Caligula in Punta Gorda“, erklärte El Tiburon.

      Dann erzählte er alles, was er wußte und was sich auf Tortuga zugetragen hatte. Rosario, Fango, O’Toole und die anderen lauschten interessiert. Hin und wieder trank jeder einen Schluck Rum aus der Flasche und am Ende des Berichts wurde kräftig geflucht.

      „Ein Teufelsweib, diese Queen“, sagte Rosario. „Was hat sie vor? Ist sie verrückt?“

      „Eher größenwahnsinnig“, erwiderte El Tiburon. „Man muß ihr das Handwerk legen, bevor es zu spät ist. Sonst heißt es eines Tages: Auf Hispaniola regiert jetzt die Schwarze Königin, und jeder hat sich ihr zu unterwerfen. Jeder muß von dem, was er sich als Eigentum erworben hat, die Hälfte an die Queen abgeben. Jeder hört auf die Befehle der Queen.“

      „Niemals!“ stieß Fango zornig hervor. „Ich unterwerfe mich keinem, den ich nicht selbst auswähle! Ich lasse mich nicht herumkommandieren, schon gar nicht von dieser schwarzen Hure!“

      „Verjagen wir sie von Hispaniola!“ rief O’Toole. „Dies ist unser Revier!“

      „Also auf nach Punta Gorda“, sagte Rosario entschlossen. „Sehen wir uns diese Queen mal aus der Nähe an. Los, holt die Waffen! Löscht das Feuer, nehmt genügend Proviant, Rum, Wasser und Munition mit!“

      Im Handumdrehen waren alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen. Der Trupp von elf Männern bewaffnete sich und brach zu dem Platz auf, an dem die Pinasse vertäut lag.

      El Tiburon atmete auf. Rosario hatte seine Erwartungen nicht enttäuscht, und er schien sich auf seine kleine Gruppe voll und ganz verlassen zu können. Diese Männer redeten nicht viel herum, wenn es zu handeln galt. Sie waren gewohnt, jederzeit sprungbereit zu sein und ihr Versteck im Dschungel mit den Posten an Bord der Pinasse zu vertauschen.

      El Tiburons Worte hatten sie sofort überzeugt. Sie zweifelten nicht an der Richtigkeit seiner Darstellungen. Die Freundschaft zwischen Joaquin und Rosario war die Garantie dafür, daß alles stimmte und seine Richtigkeit hatte.

      Binnen kurzer Zeit hatten sie die Entfernung zu dem versteckten Liegeplatz der Pinasse überbrückt und kletterten an Bord. Die Leinen wurden losgeworfen. El Tiburon registrierte, daß es sich bei der Pinasse um einen schlanken, überaus schnellen und wendigen Einmaster handelte. Als er jetzt aus dem Versteck glitt und Kurs auf die offene See nahm, schien das Wasser unter ihm dahinzufliegen.

      Solche