Roy Palmer

Seewölfe Paket 19


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      Sarraux und Nazario waren die Hände auf den Rücken gebunden, und auch ihre Fußknöchel wurden durch Stricke zusammengehalten. Vor dem Eingang der Höhle standen immer zwei Posten. Die beiden Gefangenen hatten nicht die geringste Chance, sich aus eigener Kraft zu befreien und zu fliehen.

      Die ersten Stunden verbrachten sie in dumpfem Schweigen. Wut und Panik lösten sich in Nazarios Geist ab. Zunächst gab er seinem Kumpan die Schuld an dem Mißlingen der Mission, die ihnen zwanzig Piaster eingebracht hätte.

      Sarraux indes brütete in dumpfer Niedergeschlagenheit und Verzweiflung vor sich hin. Er wußte keinen Rat mehr. Was sollten sie unternehmen? Es gab nichts zu tun, sie konnten nur abwarten, was weiter mit ihnen geschah.

      Wieder fand eine Wachablösung statt, und erneut trat Carlos Rivero zu ihnen in die Höhle, um die Fesseln zu überprüfen. Er hatte kein Mitleid mit den Kerlen, denn er mußte immer wieder an das Mädchen Esther und an El Tiburon denken, der in seinen Augen ein aufrichtiger und mutiger Mann gewesen war und einen solchen Tod nicht verdient hatte.

      Geld erzeugte Gier, sorgte für Blindheit und säte Haß, aber Sarraux und Nazario hätten sich von der Black Queen nicht derart verblenden lassen dürfen. Nur ein ausgesprochener Galgenstrick wurde für Gold und Silber zum Meuchelmörder.

      Carlos Rivero verließ die Höhle, ohne ein Wort zu sprechen. Wieder verstrich die Zeit quälend langsam. Bald hielt Nazario es nicht länger aus. Er beugte sich zu dem Bretonen hinüber und zischte: „Wo bleibt deine Gerissenheit? Du hast doch sonst immer so gute Einfälle. Hol uns aus dem Schlamassel raus. Es ist deine Schuld, daß wir erwischt worden sind.“

      „Nein. Du hast dich von dem Weibsbild Esther überlisten lassen. Vergiß das nicht.“

      „Du hättest sie niederschlagen können.“

      „Sie wäre zu sich gekommen und hätte geschrien.“

      „Wir hätten sie verschleppen können.“

      „Um was mit ihr anzufangen?“ raunte Sarraux. „Um sie nach Hispaniola zu bringen und dann doch zu töten? Tut mir leid, den Ballast wollte ich nicht am Bein haben. Im übrigen hat es keinen Sinn, daß wir uns gegenseitig Dreck an den Kopf werfen.“

      Nazario sann eine Weile darüber nach, dann sagte er kaum vernehmbar: „Du hast recht. Aber ich will nicht sterben. Wir müssen hier raus, bevor der Seewolf eintrifft, bevor wir noch mal vernommen werden oder irgend jemand auf den Gedanken verfällt, uns kurzerhand am nächsten Baum aufzuknüpfen.“

      „Vielleicht hat die Höhle einen zweiten Ausgang?“

      „Damit ist nicht zu rechnen“, zischte Nazario. „Wir haben nur eine Chance: Flucht nach vorn.“

      „Und die Fesseln?“

      „Von denen müssen wir uns natürlich befreien. Eine Glasscherbe würde mir genügen.“

      „Ich habe mit den Fingern alles abgesucht“, wisperte Sarraux. „Aber es gibt nicht mal einen spitzen Stein. Und die Posten? An die gelangen wir nicht auf einen Schritt heran, ohne daß sie’s merken.“

      „Warten wir den nächsten Wachwechsel ab.“

      „Und dann?“

      „Sie müssen uns was zu essen und zu trinken bringen“, raunte der Portugiese. „Ich habe gehört, wie sie vorhin darüber geredet haben. Das nutzen wir aus. Wenn sie hier aufkreuzen und uns den Fraß vorsetzen, werfen wir uns auf sie.“

      „Sie haben nicht nur Säbel, sie haben auch Pistolen und Musketen“, gab der Bretone zu bedenken.

      „Warte ab“, flüsterte Nazario. „Es muß sich eine Gelegenheit ergeben. Wichtig ist, daß wir bereit sind, wenn es soweit ist.“

      Einer der Posten vor dem Eingang der Höhle drehte sich zu ihnen um. „Ihr beiden – was habt ihr zu tuscheln?“

      „Wir sprechen unsere letzte Beichte“, erwiderte Nazario höhnisch. „Habt ihr keinen Kaplan? Den könnten wir jetzt brauchen.“

      „Ihr seid schon wieder ganz schön frech“, sagte der zweite Bewacher. „Wenn ihr nicht das Maul haltet, legen wir euch in Ketten, verstanden?“

      „Verstanden“, brummte Nazario und bedeutete seinem Spießgesellen durch eine Kopfbewegung, daß es wirklich besser war, nicht mehr miteinander zu flüstern.

      Die Gelegenheit, auf die Nazario und Sarraux warteten, bot sich tatsächlich beim nächsten Wachwechsel. Zwei Männer stiegen durch das Gebüsch zum Eingang der Höhle auf, einer von ihnen trug einen kleinen Essenkübel und einen Krug Wasser. Er war der grauhaarige Seemann aus Northumbria, der sich schon an der Suche nach den beiden Spionen beteiligt hatte und nun zu den Freiwilligen gehörte, die Carlos Rivero ihre Dienste angeboten hatten.

      Der andere Mann war ein untersetzter, rotgesichtiger Spanier, der ständig Durst hatte. Allerdings trank er erstaunlicherweise nur ganz wenig Wein oder mit Wasser vermischten Wein. Meistens löschte er seinen Durst mit reinem Quellwasser, das auf Tortuga ausreichend vorhanden war. Er pflegte Gallonen davon die Kehle hinunterzustürzen, wie viele am Tag, wußte er selbst nicht.

      Die beiden lösten die Wachtposten ab, die ihrerseits froh waren, nach vier Stunden Dienst in die „Schildkröte“ zurückzukehren und einen Umtrunk zu halten. Sie murmelten ein paar Grußworte und verschwanden im Dickicht.

      „Also dann“, sagte der grauhaarige Engländer. „Ich bringe den Kerlen das Essen und Trinken rein.“

      „Ich muß mal in die Büsche“, sagte der Spanier. „Warte solange.“

      „Gut, aber beeil dich. Carlos und Willem Tomdijk wollen nachher erscheinen und die Kerle noch einmal verhören. Es wäre mir unangenehm, wenn sie in einem Moment auftauchen, in dem du gerade nicht auf deinem Posten bist.“ Der Engländer nahm seine Aufgabe sehr ernst.

      Grinsend verschwand der Spanier. „Es dauert wirklich nicht lange“, sagte er noch, dann hörte der Engländer ihn nur noch im Gebüsch rascheln.

      Es war Sarraux’ und Nazarios Chance, daß der Engländer hin und wieder einen Anflug von Zerstreutheit hatte. Einige Augenblicke verstrichen, dann betrat er mit dem Essenkübel, in dem eine Suppe schwappte, und dem Wasserkrug die Höhle – ohne die Rückkehr des Spaniers abzuwarten.

       4.

      Sarraux und Nazario hatten jedes Wort verstanden, das vor der Höhle gesprochen worden war. Es bedurfte nur noch eines einzigen Blickes. Sie tauschten ihn und waren sich einig: Jetzt oder nie! Versagten sie, war es aus und vorbei. Gelang ihnen die Überrumpelung des Engländers, zogen sie ihren Kopf aus der Schlinge, die sich bereits um ihre Kehlen zusammenzog.

      Der Engländer trat auf sie zu, bückte sich und wollte ihre Näpfe mit der Suppe füllen. Er sprach kein Wort, sah die Gefangenen nur finster an. Mörder, dachte er, was seid ihr nur für Menschen, euch an einem wehrlosen Mädchen zu vergreifen?

      Sarraux und Nazario hatten ihn fast genau zwischen sich – und das war der entscheidende Moment. Sarraux riß die Beine hoch, seine Füße trafen die Hände des Engländers. Die Kelle und ein Napf flogen hoch, und die Suppe klatschte dem Engländer ins Gesicht. Sie war nicht mehr sehr heiß, sein Schreck war größer als der Schmerz, den er verspürte. Er fuhr zusammen und griff zur Pistole.

      Auch Nazario wurde aktiv, seine beiden Füße hieben gegen den Rücken des Mannes. Der Engländer stürzte vornüber und wurde dabei von dem Kübel und dem Krug behindert. Der Krug zerbrach, das Wasser floß über den Höhlenboden. Eine Scherbe bohrte sich in den Arm des Mannes, er stöhnte auf. Der Kübel wackelte, kippte aber nicht um.

      Jetzt war es der Bretone, der wieder mit den Beinen und Füßen zuschlug. Der Engländer schlug mit der Stirn auf einen flachen Stein. Er gab keinen Laut mehr von sich, als er schlaff zusammensank und reglos liegenblieb.

      Nazario war über ihm und drehte sich so, daß er ihm mit den Fingern das Messer