besinnungslos am Boden lag! Ich …“
„Ich räche dich, Esther!“ schrie Manon. Sie hatte ein Messer an sich gerissen und wollte sich damit auf den Bretonen stürzen, doch wieder waren es die Männer, die geistesgegenwärtig genug waren und sie zurückhielten.
„Weiter, Angeklagter“, sagte Willem.
Wieder breitete sich Schweigen aus, in das die helle, gehetzt klingende Stimme des Bretonen fiel.
„Ich wußte nicht, was ich tat“, sagte er. „Ich dachte, Joao sei tot. Er ist mein bester Freund, mein Bruder. Das müßt ihr verstehen. Ich wollte von dem Mädchen wissen, was los wäre, aber sie schrie nur und riß vor mir aus. Da habe ich das Messer nach ihr geschleudert. Aber – ich wollte sie nur verletzen.“
„Mit Sicherheit“, sagte Carlos. „Soviel Menschlichkeit würde ich einem Galgenvogel wie dir jederzeit zutrauen. Es war also ein Unfall, daß das arme Ding gestorben ist.“
„Sozusagen, ja“, erwiderte der Bretone.
„Gilbert wollte sie nicht töten“, fügte Nazario sofort hinzu. „Er hatte ja kein Interesse daran. Und ich – ich mochte diese Esther, wirklich. Wäre ich bei Bewußtsein gewesen, dann, äh – wäre sie noch am Leben, denn ich hätte verhindert, was Gilbert getan hat.“
„Genug“, sagte Diego. „Das reicht. Mir wird gleich schlecht.“
„Wirklich geschmacklos und abstoßend zugleich“, sagte Willem. „Weiter jetzt. Wo habt ihr El Tiburon gefaßt, als ihr auf der Flucht wart?“
„In dem Hohlweg“, entgegnete Sarraux und beschrieb die Lage der Höhle, in der sie sich versteckt hatten. „Wir hörten ihn, und da hat Joao auf ihn gelauert und ihm eins mit einem Stein übergezogen. Es ist die volle Wahrheit, ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist.“
„Euch Kerlen ist nichts heilig“, sagte Carlos.
„Weiter, weiter“, drängte Willem. „El Tiburon kam euch gerade recht. Ihr brauchtet ja jemanden, den ihr aushorchen konntet. Habt ihr ihn gefoltert? Hat er gesprochen? Was wolltet ihr von ihm wissen? Wer ist überhaupt euer Auftraggeber?“
„Er hat nichts ausgespuckt“, erwiderte Nazario. „Er ist ein ganz hartgesottener Kerl, das muß man ihm lassen. Wir wollten alles von ihm wissen – alles über Tortuga, und wo die Schiffe des Seewolfs abgeblieben sind.“
„Die Black Queen schickt uns“, sagte Sarraux mit jammernder, weinerlicher Stimme. „Warum sollen wir das noch länger verheimlichen? Sie hat sich nach der Schlacht, die hier stattgefunden hat, nach Hispaniola verholt, zur Nordküste. Sie liegt in Punta Gorda, dort haben wir sie in der Hafenkneipe ‚El Escarabajo‘ getroffen.“
„Sie hat uns angesprochen“, sagte Nazario in freizügiger Veränderung des wahren Sachverhalts. „Wir wollten erst gar nichts von ihr wissen, aber sie hat uns mit diesem Auftrag geködert und uns zwanzig Piaster versprochen für den Fall, daß wir Neuigkeiten über den Seewolf und Tortuga herauskriegen.“
„Die Münzen haben euch natürlich nicht verlockt“, sagte Diego voll Hohn und Verachtung. „Nur zögernd habt ihr euch auf das Unternehmen eingelassen, nicht wahr? Und natürlich bereut ihr jetzt, eure Einwilligung gegeben zu haben.“
„Ja, so ist es“, erwiderte der Bretone. „Wenn ich könnte, würde ich alles wieder rückgängig machen.“
Arne von Manteuffel hatte aufgehorcht. Er ließ sich alles ganz genau schildern: die Ankunft der Queen in Punta Gorda, ihr Eintreffen im Hafen, ihr Verhalten. Sarraux und Nazario waren die ersten gewesen, die den Zweidecker gesichtet hatten, sie wußten über jede Einzelheit Bescheid und hatten ja auch das Schiff bespitzelt, als es in der Nebenbucht vor Anker gegangen war.
Gemeinsam redeten sie sich von der Seele, was sie jetzt plagte und ihren Untergang bedeutete. Sie konnten nur noch darauf hoffen, durch ihr umfassendes Geständnis die Gemüter zu besänftigen.
Als sie geendet hatten, sagte Arne von Manteuffel: „Das ist ja hochinteressant. Ich stelle hiermit den Antrag, die Gefangenen einzusperren und es dem Seewolf zu überlassen, den letzten Urteilsspruch über sie zu fällen. Ich breche sofort auf und verständige ihn. Ihr anderen wartet hier auf mich.“
Es entstand eine tumultähnliche Situation – Manon und die Mädchen forderten Vergeltung, und auch die Siedler und Inselbewohner wollten den Bretonen und den Portugiesen auf der Totenrutsche sehen.
Willem Tomdijk hatte dieses Mal Mühe, den Aufruhr zu schlichten. Er nahm einen Humpen zur Hand und hieb damit mehrmals auf den Tisch, so hart, daß der Humpen in zwei Stücke zerbrach.
„Ruhe!“ schrie er. „Arne von Manteuffel hat recht! Der Seewolf muß sofort unterrichtet werden! Er hat die Queen besiegt, es steht ihm zu, auch über ihre Schergen das Urteil zu verhängen!“
Nach einigem Hin und Her wurde die Diskussion abgeschlossen und der Beschluß gefaßt: Carlos Rivero sollte die Agenten Sarraux und Nazario solange streng bewachen, bis er neue Anweisungen erhielt. Die Gerichtsverhandlung war somit beendet, die Gefangenen wurden abgeführt und die Versammlung aufgelöst.
Arne von Manteuffel kehrte schleunigst an Bord seines Schiffes zurück. Er gab seine Befehle, und O’Brien ließ ankerauf und in See gehen. Die „Wappen von Kolberg“ verließ die Hafenbucht von Tortuga – ihr Ziel war die Schlangen-Insel.
Der Spionageauftrag der Black Queen und die Kenntnis ihres derzeitigen Aufenthaltsortes waren zwei Faktoren, die für den Seewolf von größter Wichtigkeit waren. Allein wollte Arne über die Konsequenzen und Schritte, die sich daraus ergaben, nicht entscheiden.
2.
El Tiburon wußte genau, wohin er sich zu wenden hatte. Während der Überfahrt von Tortuga nach Hispaniola war er zu der Überzeugung gelangt, daß es doch besser war, den Kampf gegen die Black Queen nicht als Einzelgänger aufzunehmen. Immerhin waren da noch Caligula und die Crew der „Caribian Queen“, die er nicht vergessen durfte. Wie sollte er mit der Horde von wilden Schlagetots fertig werden, wenn etwas von seinem Plan mißglückte?
Hispaniola erhob sich in den Schleiern und Schatten der Abenddämmerung aus der See – der Rücken eines schwimmenden Giganten. Bald konnte El Tiburon mit bloßem Auge die Wipfel der uralten Mangroven und Sumpfzypressen, der Palmen und Eukalypten erkennen. Die gewaltige Manzanillo-Bucht dehnte sich vor ihm aus. El Tiburon steuerte ihren östlichen Bereich an, dort wollte er vertäuen und an Land gehen.
El Tiburons gewöhnlicher Aufenthaltsort befand sich an der Westseite von Hispaniola. Dort hatte er in einer einsamen Küstenregion eine Hütte gebaut, einige hundert Yards vom Ufer entfernt im Inneren des undurchdringlichen Busches. Ungestört wollte er sein, er führte das Dasein eines Eremiten, seit er damals, vor zwei Jahren, gegen den französischen Freibeuter Chagall hatte kämpfen müssen.
Die alte Siedlung von Cabo Samaná war wenige Wochen nach dem Überfall der Franzosen aufgelöst worden. Die Bukanier hatten sich in alle Winde zerstreut. El Tiburon wußte aber nach wie vor, wo Rosario, einer der früheren Kameraden, zu finden war. Es gab eine Übereinkunft zwischen ihnen: Wenn der eine den anderen brauchte, dann begab er sich zu ihm. Auch Rosario wußte, wo El Tiburon gewöhnlich hauste, aber außer ihm war das nur wenigen Männern bekannt.
Natürlich hatte sich El Tiburon noch einmal die Frage gestellt, ob es nicht doch ratsamer gewesen wäre, Verstärkung aus dem Hafen von Tortuga mitzunehmen. Aber auch diesmal hatte er die Möglichkeit verworfen. Vielleicht war es sogar gut, wenn man ihn – vorläufig zumindest – auf Tortuga für tot hielt. Denn Arne von Manteuffel, Diego und die anderen hätten sicherlich nichts unversucht gelassen, um ihn von seinem Vorhaben abzuhalten.
War es letztlich nicht wirklich Wahnsinn, was er plante? Bevor er landete, stellte er sich erneut die Frage. Aber er wußte, was er tat. Er hatte ein impulsives, schnell aufbrausendes Temperament und war ein typischer Südländer. Doch er konnte auch gründlich Denken und wußte, seine Unternehmungen genau abzuwägen.