Roy Palmer

Seewölfe Paket 19


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und beschloß, ihn einer genauen Untersuchung zu unterziehen. Gab es Höhlen, die von diesem Weg abzweigten? Kleine, versteckte Grotten, in denen zwei Männer sich mühelos verkriechen konnten? War er dem Portugiesen und dem Bretonen vielleicht endlich auf der Spur?

      Die Antwort auf die Fragen, die er sich im stillen stellte, erhielt El Tiburon auf ebenso überraschende wie schmerzhafte Weise. Plötzlich wuchs der Schatten einer Gestalt hinter ihm hoch, als er den Hohlweg etwa zur Hälfte durchquert hatte. Er fuhr noch herum und griff zum Dolch, aber es gelang ihm nicht mehr, die Waffe zu zücken. Ein harter Gegenstand sauste auf seinen Hinterkopf.

      Er krümmte sich und griff mit beiden Händen nach dem Kopf, dann sank er vornüber und blieb reglos liegen. Er sah nicht mehr den Mann, der sich nach ihm bückte, und hörte auch nicht, wie dieser den Stein weglegte, mit dem er ihn niedergeschlagen hatte.

      El Tiburon war zäh und hart im Nehmen. Seine Bewußtlosigkeit hielt nicht lange an. Die rasenden Schmerzen in seinem Hinterkopf drohten ihm wieder die Sinne zu rauben, aber er biß die Zähne zusammen und kämpfte dagegen an. Verkrümmt lag er auf der linken Körperseite und vernahm gedämpfte Stimmen. Er hütete sich, sich auch nur um einen Deut zu regen. Nur vorsichtig öffnete er die Augen und versuchte, blinzelnd etwas zu erspähen.

      Es waren zwei Männer, die sich in dem Dunkel einer Höhle unterhielten. El Tiburon konnte ihre Gestalten erkennen, als sich seine Augen an die Finsternis gewöhnt hatten.

      Kein Zweifel, es handelte sich um Joao Nazario und Gilbert Sarraux. Diego hatte sie beschrieben, und ihm selbst fiel jetzt ein, daß er die Kerle in der „Schildkröte“ kurz gesehen hatte, ohne sich jedoch sonderlich um sie zu kümmern. Sie hatten an einem der Nebentische gesessen, als er Arne, O’Brien, Carlos und Willem kennengelernt und Diego die Geschichte mit Chagall erzählt hatte.

      Joao Nazario mußte es gewesen sein, der ihn in dem Hohlweg niedergeschlagen hatte. El Tiburons Vermutung bestätigte sich – eine Höhle zweigte von dem Weg ab, und hier hinein hatten die Kerle ihn geschleppt.

      Rasende Wut stieg in El Tiburon auf. Er war versucht, aufzuspringen und sich auf sie zu stürzen. Aber er wußte, daß er keine Chance gegen sie hatte. Sie hatten ihm die Waffen abgenommen, und er war noch halb benommen von dem Hieb.

      Wo steckte Pedro? Hatte er nichts gehört? Nein, El Tiburon konnte nicht auf ihn zählen. Er war auf sich allein angewiesen. Was sollte er tun? Hatte es Sinn zu fliehen? Erst jetzt bemerkte er, daß sie ihm die Füße mit einem Strick gefesselt hatten. Er konnte also nicht einmal davonlaufen.

      Zur Hölle, dachte er, ich laufe nicht davon. Bei der ersten Gelegenheit haue ich diese Hundesöhne mit den Köpfen zusammen und töte sie – und wenn ich selbst dabei drauf gehe.

      „Gilbert“, sagte Nazario. „Jetzt hast du den Beweis. Sie suchen nach uns, überall. Sie forschen die Insel ab. Du hättest die Hure vielleicht doch nicht töten sollen.“

      „Sie hätte alles verpfiffen“, sagte der Bretone. „Dieser Diego und die ganze Bande aus der ‚Schildkröte‘ hätten uns am nächsten Baum aufgeknüpft. Sie hätten sich mit Leichtigkeit zusammengereimt, daß die Queen uns geschickt hat und in Punta Gorda auf uns wartet. Das ist mit einem Todesurteil gleichzusetzen, kapierst du das nicht?“

      „Natürlich kapiere ich“, erwiderte der Portugiese. „Aber sie veranstalten auch so eine Jagd auf uns.“

      „Aber wir haben jetzt einen Vorsprung. Sie erwischen uns nicht. Sie geben auf, und dann kehren wir zum Hafen zurück, schnappen uns die Pinasse und hauen ab.“

      „So einfach, wie du dir das vorstellst, ist das nicht.“

      „Wir wissen alles, was wichtig ist, und den Rest quetschen wir aus diesem Hurensohn heraus. Er ist doch der große Haitöter, nicht wahr? Ich glaube, er hat vor einem Messer mehr Respekt als vor einem Hai.“ Sarraux lachte leise. „Hölle und Teufel, Joao, stell dir mal vor, wie das wird, wenn wir wieder in Punta Gorda sind und den ‚Escarabajo‘ betreten. Wir kriegen zwanzig Piaster, und die Black Queen und Caligula werden mit ihrem Lob nicht sparen. Wir kaufen uns einen Kahn mit zwei Masten, rüsten ihn aus und segeln auf eigene Faust durch die Karibik. Dann sind wir unsere eigenen Herren, und keiner kann uns was anhaben. Wir beide zusammen sind das richtige Duo. Uns kriegt keiner klein, und wir legen jeden Narren rein, der uns in die Quere gerät.“

      Nazario grinste jetzt. „Du hast recht. Wir erledigen unseren Auftrag und sind fein raus. Ich habe mir eben zu viele Sorgen bereitet. Aber die Sache mit dem verdammten Weib ist mir an die Nieren gegangen.“

      Sie erhoben sich und traten auf Joaquin Solimonte zu. Jetzt begann die Fragerei, und sie würden nicht zimperlich mit ihm umgehen. El Tiburon bereitete sich innerlich auf alle Arten der Folter vor, die es gab. Er konnte viel ertragen. Er schwor vor sich selbst, ihnen keine einzige Antwort zu geben.

       10.

      Nazario gab dem vermeintlich noch Bewußtlosen eine Ohrfeige, dann packte er ihn am Hemd und zog ihn ein Stück zu sich hoch. „Bist du wach, El Tiburon? Oder muß ich deinen verfluchten Schädel noch ein bißchen behandeln?“

      „Ich bin wach“, erwiderte El Tiburon. „Und ich empfehle dir, mich loszubinden, du Drecksack. Ihr habt keine Chance. Ganz Tortuga wimmelt von euren Gegnern. Ihr habt einen schweren Fehler begangen, hierherzusegeln. Was seid ihr bloß für Narren!“

      Nazario warf ihn zu Boden. El Tiburon verzog das Gesicht vor Schmerzen, aber er stöhnte nicht. Seine Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepreßt.

      „Hör gut zu“, sagte Gilbert Sarraux. „Wir brauchen gar nicht groß herumzudiskutieren. Wir haben ein paar Fragen, und du wirst sie uns beantworten. Dann lassen wir dich laufen. Du hast mein Wort darauf.“

      El Tiburon spuckte vor ihm aus. „Auf dein Wort pfeife ich. Ihr habt Esther umgebracht.“

      Nazario trat ihm in die Seite, und plötzlich fühlte sich El Tiburon an damals erinnert, als er auf dem Deck der Piratengaleone Chagalls gelegen hatte.

      „Hast du sie gefunden?“ fragte der Portugiese. „Bist du vielleicht ihr fester Freier?“

      „Ich bin ein Mann, der zu kämpfen versteht“, erwiderte El Tiburon mit erzwungener Ruhe. „Binde mich los, und ich beweise es dir. Hast du Angst vor mir? Gib mir ein Messer, und schlage dich auf ehrliche Weise mit mir – Meuchelmörder!“

      Wieder trat Nazario mit haßverzerrtem Gesicht zu, aber Sarraux glitt neben ihn und hielt ihn am Arm zurück. Sarraux ging in die Hocke und blickte El Tiburon an. „Ich habe das Mädchen getötet, damit du es weißt, und ich bereue es nicht. Du lebst auf Hispaniola, El Tiburon, und scheinst ein Bukanier von echtem Schrot und Korn zu sein. Warum begreifst du also nicht? Wir arbeiten im Auftrag eines zahlungskräftigen Kapitäns, der uns mit Gold entlohnen wird. Der Zweck heiligt die Mittel. Hättest du dich anders verhalten?“

      „Ich bin für Intrigen nicht zu haben“, sagte El Tiburon verächtlich. „Wer ist euer Kapitän?“

      „Das können wir dir leider nicht verraten“, erwiderte der Bretone. „Aber es tut auch nichts zur Sache. Sei vernünftig, Mann. Du kannst dir viel Ärger ersparen. Verrate, was du weißt. Keiner wird es erfahren, daß du gesungen hast.“

      El Tiburon hütete sich, preiszugeben, daß er wußte, wer die Auftraggeberin der beiden war. Die Black Queen sandte ihre Spione nach Tortuga – dieses Geheimnis würde er vorerst für sich behalten. Vielleicht konnte er es später verwerten. Wenn die Queen nicht erfuhr, daß sie entlarvt war, konnte man sie in Punta Gorda überraschen.

      „Was wollt ihr wissen?“ fragte El Tiburon.

      „Siehst du, Joao“, sagte der Bretone. „Er wird vernünftig. Es sind nicht immer die rüden Methoden, die zum Erfolg führen.“ Er richtete seinen Blick wieder auf El Tiburon. „Wie viele Schiffe sind zur Schlangen-Insel zurückgesegelt?“

      „Von welchen Schiffen sprichst du? Und was ist das – die Schlangen-Insel?“

      „Du