Roy Palmer

Seewölfe Paket 19


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auftauchen. Er brauchte sie nur zusammenzuschießen, dann war der Fall für ihn erledigt.

      Sarraux’ Handstricke lösten sich. Ein Ruck noch, und seine Finger waren frei. Er griff zu dem Messer, das der Kumpan ihm hingehalten hatte, und säbelte an dessen Fesseln herum. Sie sprangen auf. Hastig zerschnitten sie auch ihre Fuß stricke, rissen die Waffen des Engländers an sich und stürzten zum Ausgang.

      Der Spanier kehrte leise vor sich hinpfeifend zur Höhle zurück.

      „He, Engländer“, brummte er. „Du solltest doch auf mich warten.“

      „Ja“, sagte Nazario und bemühte sich, die Stimme des Engländers so täuschend wie möglich nachzuahmen. Er kauerte an der linken Seite des Höhlenausgangs, Sarraux hatte sich an der rechten Seite postiert.

      Der Spanier war heran und wollte einen Blick ins Innere der Grotte werfen, doch in diesem Moment traf ihn der Kolben der Muskete, die Nazario von dem Engländer erbeutet hatte. Der Schlag war entschlossen, hart und sicher geführt. Der Kolben knallte gegen den Kopf des Spaniers, und dieser sackte mit einem Ächzer, in dem sich Entsetzen und Verblüffung vereinten, zu Boden.

      „Der schläft für eine Weile“, zischte Sarraux. „Los jetzt, nichts wie weg.“ Er kroch auf den Spanier zu, sah sich nach allen Seiten um und hob das Messer. Er hatte wirklich vor, auf ihn einzustechen, doch Nazario hielt ihn davon ab.

      „Vorwärts“, raunte er ihm zu. „Wir dürfen keine Zeit verlieren. Bis die Hunde wieder bei Bewußtsein sind, haben wir uns längst verdrückt.“ Sie liefen geduckt zu den Büschen und waren im nächsten Augenblick darin untergetaucht.

      Carlos Rivero konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß es noch mehr aus den auskunftsbereiten Gefangenen herauszuholen gab. Diese Vermutung ließ ihm keine Ruhe – und auch Willem Tomdijk erging es nicht anders. Früher als ursprünglich beabsichtigt, verließen sie die „Schildkröte“ und stiegen zu der Höhle hinauf, die als Verlies eingerichtet worden war.

      „Fragen wir sie vor allen Dingen, was die Black Queen eigentlich in Punta Gorda sucht“, sagte Carlos. „Will sie Proviant und Munition? Ich nehme es mit Sicherheit an. Aber vielleicht versucht sie auch schon wieder, neue Männer für ihr Schiff zu rekrutieren.“

      „Wenn ihre Crew wächst, wird sie wieder zu einer Gefahr für uns“, sagte der Dicke, der einige Schwierigkeiten hatte, mit dem Spanier Schritt zu halten. „Es wäre besser gewesen, wenn der Seewolf sie verfolgt und auf See gestellt hätte.“

      „Das entspricht aber nicht den Prinzipien des Seewolfs“, sagte Carlos. „Einem Gegner, der ohnehin kapituliert und das Weite sucht, versetzt er nicht noch den Todesstoß.“

      „Ein sehr guter und vor allem humaner Grundsatz“, sagte Willem keuchend. „Aber im Fall der Black Queen ist er nicht angebracht. Sie kämpft ja selbst auch nicht fair.“

      „Das spielt keine Rolle, jedenfalls nicht in den Augen des Seewolfs. Ich war lange genug mit Ribault und Siri-Tong zusammen, sie haben mir seine Ansichten genau auseinandergesetzt.“

      „Schön und gut“, sagte Willem. „Dennoch wäre ich froh, wenn die ‚Wappen von Kolberg‘ bald zurückkehrte. Arne von Manteuffel überbringt uns sicher die Order des Seewolfs. Ich bin erst beruhigt, wenn ich die beiden Mörder baumeln sehe.“ Abrupt blieb er stehen. „Überhaupt – wäre es nicht besser gewesen, wenn wir sie uns hätten vorführen lassen? Dieser verdammte Marsch. Ich bin nicht gut zu Fuß, das weißt du doch.“

      Ein Nörgler war er schon immer gewesen, und am schlimmsten wurde sein Gejammer, wenn er sich auf den eigenen Füßen durch die Gegend bewegen mußte. Er hatte darüber nicht richtig nachgedacht, als sie aufgebrochen waren, und bereute jetzt, nach nicht mehr als dreihundert Schritten, bereits seinen Entschluß.

      Carlos mußte grinsen. „Stell dich nicht so an“, sagte er. „In El Triunfo bist du auch nicht so zimperlich gewesen und konntest ganz hübsch rennen, als die Spanier die Siedlung zusammenschossen. Also los – nur Mut.“ Er ging einfach weiter, um den Dicken durch sein Beispiel anzuspornen.

      Willem dachte aber nicht daran, weiterzumarschieren. Er stand nur da, schwitzte und schnappte japsend nach Luft. Sein Herz schlug wie verrückt. Eine halbe Meile Flachland hätte er noch akzeptiert, aber diese Steigung raubte ihm seine letzten Kräfte.

      Was weder Willem noch Carlos bemerkten: Manon war ihnen heimlich gefolgt. In der „Schildkröte“ hatte sie vernommen, was sie besprochen hatten. Sie wollte dabeisein, wenn die Gefangenen noch einmal vernommen wurden. Auch sie mußte jede Einzelheit erfahren, die zu Esthers Tod geführt hatte, das war sie nicht nur Esther, sondern auch ihren Freundinnen schuldig.

      Sie hörte den dicken Mann vor sich im Gestrüpp schnaufen und keuchen, aber sie sah nicht, daß Carlos sich von ihm abgesondert hatte und immer mehr Vorsprung gewann. Sie orientierte sich an Willems Lauten und steuerte auf ihn zu.

      Carlos hatte die Höhle inzwischen fast erreicht, blieb aber plötzlich stehen, weil er ein verdächtiges Geräusch gehört zu haben glaubte. Er griff zur Pistole. Mißtrauisch blickte er nach links und nach rechts. Aus welcher Richtung war der Laut gedrungen? Es hatte sich angehört, als sei ein Mensch auf einen trockenen Zweig getreten.

      Dicht vor ihm raschelte es – und Carlos zückte die Pistole und schritt auf das Geräusch zu. Aber er ahnte nicht, daß es eine Falle war. Sarraux und Nazario hatten rechtzeitig das Nahen des Gegners bemerkt. Sie waren ja auch durch das, was sie von dem Engländer und dem Spanier erlauscht hatten, gewarnt und wußten, daß Rivero und Tomdijk früher oder später erscheinen mußten.

      Sarraux täuschte Carlos also durch das Rascheln, und Nazario befand sich dicht hinter dem Rücken des Spaniers. Carlos hatte den Bretonen fast erreicht, da riß Nazario hinter ihm die Muskete hoch und ließ den Kolben auf seinen Hinterkopf niedersausen. Carlos registrierte die Bewegung und wollte herumfahren. Aber er hatte keine Chance mehr. Der Schlag traf ihn, er brach zusammen und rührte sich nicht mehr.

      Sarraux ging zu Nazario und stieß einen grimmigen Laut der Genugtuung aus, als er Carlos daliegen sah. „Recht so. Immer kräftig drauf. Aber es darf kein Schuß fallen, Joao, sonst haben wir gleich wieder das ganze Pack auf dem Hals.“

      „Klar.“ Nazario grinste und eilte weiter.

      Sein Kumpan folgte ihm. Sie huschten durch das Dickicht den Hang hinunter, begingen jetzt aber doch einen Denkfehler: Sie rechneten nicht mit Willem. Vielmehr nahmen sie an, daß Carlos entgegen der Annahme der beiden Wachtposten allein erschienen wäre, um sie noch einmal zu verhören. So geschah das Unvermeidliche: Nazario prallte unversehens mit dem Dicken zusammen. Wie aus heiterem Himmel erfolgte der Zusammenstoß, und sie waren beide so überrascht und schockiert, daß sie nur ein dumpfes „Ach“ und „Oh“ von sich gaben.

      Willem krachte schwer zu Boden, Nazario indes blieb auf den Füßen. Willem geriet ins Rollen und walzte mit seinem Gewicht die Büsche platt. Seine Bewegung gewann immer mehr an Geschwindigkeit, und es hatte den Anschein, als würde er bis vor die „Schildkröte“ rollen.

      Manon hörte das seltsame Rumpeln, mit dem sich der Holländer ihr näherte. Es knackte und prasselte, dann kugelte der Dicke auf sie zu. Sie stieß einen Schrei aus, hatte aber die Geistesgegenwart, sich durch einen Sprung in Sicherheit zu bringen. Willem kullerte an ihr vorbei, ein japsender und schimpfender Berg von Mensch, dessen Hände hierhin und dorthin griffen, aber keinen Halt fanden.

      Manon streckte noch die Hand nach ihm aus, aber es war zu spät, er war vorbei. Sie hätte ihn auch nicht festhalten und bremsen können. Er hätte sie nur mitgerissen.

      Nazario und Sarraux hatten den Schrei gehört und eilten auf das Mädchen zu. Sie ahnte mehr etwas von den beiden, als daß sie sie wirklich herannahen hörte, und ergriff die Flucht. Willems Sturz konnte nur einen Grund haben: Die Gefangenen waren ausgebrochen und hatten ihn überwältigt. Aber wo war Carlos?

      Manon wollte nach ihm rufen, doch jetzt schossen Nazario und Sarraux aus dem Dickicht hervor und packten sie an beiden Armen. Sie stöhnte auf vor Entsetzen, ging in die Knie und riß den Mund weit auf.

      Bevor