Ulrich Hefner

Kalteiche


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angefordert, die sind bereits auf dem Weg. Ich hoffe, es bleibt trocken.«

      Eine Windböe fegte um das Haus. Trevisan nickte. »Wenn der Wind pfeift, dann treibt er den Regen ins Festland. Wir haben gute Chancen, dass es trocken bleibt.«

      Er kehrte zu Monika Sander zurück, die neben dem Dienstwagen stand und sich locker dagegen lehnte. »Abgrundtiefer Hass«, sagte er, als er an ihre Seite trat und ihr ein Lutschbonbon reichte.

      »Hass auf die ganze Familie?«

      »Möglich. Unbändiger Vernichtungswille, meint der junge Kollege von der Spusi.«

      *

      Johannes Leußner schaute auf seine Uhr. Es war kurz nach vier. In wenigen Minuten hatte er Feierabend. Er rangierte den LKW in die Parklücke und schaltete den Motor ab. Morgen in aller Frühe würde er mit Maschinenteilen an Bord in den Süden nach Turin fahren. Eine Tour, die inzwischen zweimal im Monat anstand. Seit drei Jahren arbeitete er bereits für die Spedition Vader in der Stellmacherstraße, dem Industriegebiet von Norden, das vor der Stadt direkt an der B 72 lag. Eigentlich war LKW-Fahrer immer sein Traumjob gewesen. Schon als Kind hatte er davon geträumt, wenn die großen Laster wie der G5 oder Jahre später der W50 voll beladen mit Getreide über den Hof donnerten und er das Zittern der Erde spürte. Dann wollte er hinter dem Steuer eines dieser Riesen sitzen und damit in die weite Welt und über alle Grenzen hinweg fahren. Und nun fuhr er so ein Gefährt, viel größer noch als damals, einen Actros Mega­liner mit vierzig Tonnen. Manchmal hinauf bis in den hohen Norden, nach Stockholm oder Kristiansand oder hinunter in den Süden, nach Turin, Rom oder Rijeka. Sogar in Warschau und in Kauna war er schon gewesen.

      Doch inzwischen war nicht mehr viel von der Fernfahrerromantik geblieben. Die Elektronik beherrschte das Fahrzeug und der Disponent beherrschte den Fahrer. Zeit war der Faktor, der am meisten störte und inzwischen zum Feind aller Fernfahrer geworden war. Die Räder mussten rollen. Stillstand bedeutete Schmälerung des Gewinns. Außerdem hatte der Verkehr auf den Straßen in einer Intensität zugenommen, dass kilometerlange Staus zur täglichen Realität geworden waren. Der Stress, dem die Fahrer Tag für Tag ausgesetzt waren, brachte viele dazu, vorzeitig den Job zu schmeißen und für weitaus weniger Einkommen als Lagerist, Mechaniker oder in einer Fabrik am Band die Brötchen zu verdienen.

      Johannes Leußner war sechsundfünfzig Jahre alt, fühlte sich aber immer noch fit und der Aufgabe gewachsen. In der Firma hielt man große Stücke auf ihn, denn die Fahrer von heute waren oft unzuverlässig und warfen bei den geringsten Schwierigkeiten die Flinte ins Korn. So kam es auch, dass er trotz seiner relativ kurzen Zeit in der Firma bereits einen Schlüssel zum Lager besaß, so dass er selbstständig und nach seinem eigenen Zeitplan den Lastwagen für die Abfahrt vorbereiten konnte.

      »Wann fährst du los?«, fragte der Disponent, als Johannes das kleine Büro betrat, um seinen Fahrzeugschlüssel in dem dafür vorgesehenen Fach zu deponieren.

      »Ich starte um vier, alles beladen und vollgetankt.«

      »Vergiss meine Zigaretten nicht.«

      »Ich weiß, MS Rosso, wie immer.«

      »Ja, und denk daran, nach der Tour muss der Service gemacht werden, du musst dann auf den MAN umsteigen.«

      »Der MAN ist eine alte Klapperkiste.«

      »Für Rotterdam wird er reichen.«

      »Okay, dann bis nächste Woche.«

      Der Disponent nickte. »Gute Fahrt und hetze ihn nicht wieder.«

      Johannes Leußner verkniff sich eine Antwort. Der junge Mann hinter dem Schreibtisch, ein Neffe des Juniorchefs, hatte sowieso keine Ahnung. Schließlich gab es inzwischen Regler und Begrenzer in den Fahrzeugen, außerdem lauerte beinahe an jedem Autobahnkreuz der Straßenzoll oder die Polizei. Er verließ das Büro und stieg in seinen Opel. Er musste dringend Farbe kaufen, Jenny wartete auf ihn.

      Jenny war keine Frau, keine Freundin oder Lebensgefährtin, sondern ein schlankes, gut motorisiertes Boot, das in einem Bootshaus an der Leybucht auf ihn wartete und das er vorgestern mühsam von der alten Farbe befreit hatte, um ihm für den Frühling einen neuen Anstrich zu gönnen. Johannes Leußner lebte alleine, eine Frau gab es in seinem Leben nicht. Zweimal hatte er kurz davor gestanden, doch beide Male hatte er einen Rückzieher gemacht und nun fühlte er sich zu alt für eine feste Beziehung. Er hatte sein Leben eingerichtet und so sollte es auch bleiben. Auch wenn ihm Helga aus dem Lager immer wieder schöne Augen machte.

      Als er in die Wurzeldeicher Straße einbog, hätte er vor lauter Gedanken beinahe einen Radfahrer überfahren, doch er sah ihn noch rechtzeitig und bremste. »Blöder Hund!« Der Radfahrer überquerte unmittelbar vor ihm die Fahrbahn und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Aus dem Radio dudelte leise Shanty-Musik. Johannes Leußner schüttelte den Kopf und legte den ersten Gang ein. Er hatte heute noch viel zu tun.

      4

      »Ich denke, einen Raub können wir ausschließen«, konstatierte Krog.

      Die Spurensicherung im Gebäude war weitgehend abgeschlossen. Krog begleitete Trevisan und Monika Sander bei der Tatortbegehung. Inzwischen war auch Thorke Oselich am Tatort eingetroffen. Die Leichen waren mit Tüchern abgedeckt und die Bestatter warteten geduldig auf dem Hof darauf, dass die Kriminalpolizei den Abtransport in die Gerichtsmedizin nach Oldenburg freigab.

      Blut auf dem Boden, Blut an den Wänden, auf den Möbeln, sogar bis an die Decke war das Blut der Opfer gespritzt. »Absoluter Zerstörungswille«, murmelte Trevisan. »Zielstrebig und brutal.«

      »Ein gnadenloser Overkill, ein klassischer Fall der Über­tötung«, bestätigte Krog. »Er hat sich nicht lange aufgehalten. Vier Menschen und dennoch hatten sie keine Chance. So wie es aussieht, hat er einfach nur zugeschlagen, mehrfach, ohne sich mit langen Reden aufzuhalten. Dieses Gemetzel dauerte kaum mehr als ein paar Minuten.«

      Thorke Oselich schluckte. »Herr Trevisan, jetzt sind Sie kaum hier angekommen und schon passiert so etwas. Sagen Sie mir nur, was Sie brauchen – Material, Leute, ganz egal, diese Sache hat absolute Priorität, wir müssen diesen Irren dingfest machen.«

      »Sexuelle Motive vielleicht?«, fragte Monika Sander.

      Krog schüttelte den Kopf. »Zwar saß die Kleidung der jungen Frau im Bad nicht mehr ordentlich, sie trug ein Nachthemd und einen Slip, aber das liegt wohl eher an der Auseinandersetzung. Die Frau versuchte, durch das Badezimmerfenster zu entkommen, und der Täter zog sie an ihren Beinen zurück, ehe er sie erschlug. Deswegen würde ich dies eher verneinen.«

      »Hass, grenzenloser Hass«, antwortete Trevisan. »Hass führt oft zur Übertötung.«

      »Wir richten eine Sonderkommission ein und …«

      »Ich denke, zunächst ist es wichtig, möglichst viel über die Toten herauszufinden«, fiel Trevisan seiner Chefin ins Wort. »Wie sie lebten, was sie taten, wem sie dermaßen auf die Füße getreten sind, dass sich der aufgestaute Hass in dieser Grausamkeit entlud. Meist stammen die Täter aus dem Umfeld.«

      »Gibt es irgendwelche verwertbaren Spuren?«, fragte Thorke Oselich.

      Krog schüttelte den Kopf. »Abdrücke von grobstolligem Profil, ich gehe von Gummistiefeln aus. Größe 44, würde ich sagen. Außerdem haben wir einen Plastikfetzen gefunden, deswegen nehmen wir an, dass der Täter ein Regencape trug. Weitere Spuren haben wir nicht, auch die Tatwaffen, ein Beil und ein Messer, fehlen noch, aber wir suchen derzeit die Umgebung mit Hunden ab.«

      »Eike und Lisa befragen die Nachbarschaft, vielleicht hat jemand Beobachtungen gemacht«, erklärte Monika Sander.

      »Die Ringfahndung steht«, fügte Trevisan hinzu. »Nur ist es schwer, gezielt nach jemandem zu suchen, wenn man so gut wie nichts über die Opfer weiß.«

      »Sollte ein Profiler …«

      Trevisan winkte ab und blickte auf seine Armbanduhr. »Wir besprechen uns in einer Stunde auf der Dienststelle und legen unser Vorgehen fest.«

      »Gut, Kollege Trevisan«,