Vorgängen? – statt nur den Blick darauf zu richten, was diese Vorgänge vielleicht über den Nachbarn aussagen. Was sagen sie für mich aus? – Und ich könnte, im Rahmen dieses Beispiels, vielleicht dahin gelangen zu erkennen, dass ich selbst in meinem Wesen dieses ausbreitende und raumgreifende Element habe, das mich hinsichtlich des Gartenzauns an meinem Nachbarn so nervt. In dieser Angelegenheit stoße ich mich also an einem Teil meines Alltags-Ich. Das so herbeigeführt zu haben, dass ich es nun hören kann – darin liegt ein Wirken meines Höheren Ich. Und ich kann nun prüfen, wo ich generell in den Willen anderer Menschen eingreife, und kann lernen, mehr auf die Belange derer zu achten, die mit mir zu tun haben, statt mich nur selbst faszinieren zu lassen von meinem eigenen starken Willensleben.
Aber es geht hier nicht um Zeichendeuterei. Schließlich ist nicht schlechthin alles, was passiert, eine Botschaft an mich. Im beschriebenen Sinne schicksalsverdächtig sind Umstände, die entweder eine entnervende Zähigkeit an den Tag legen – Monate und Jahre verfolgt mich das gleiche Ärgernis – oder sich hartnäckig wiederholen. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass ich die Aufforderung noch nicht verstanden habe. – Im Gartenzaun-Beispiel: Nach Jahren gebe ich auf, verkaufe Haus und Grund und baue woanders eine neue Existenz auf. Mit Sicherheit bricht nach kurzer Frist ein ähnlicher Streit los, diesmal um eine Garagenzufahrt.
»Das Schicksal« ist in solchen Dingen sehr geduldig. Es kann, wenn ich nicht »höre«, auch zehnmal solche Situationen herbeiführen – bis ich verstanden habe.
Insgesamt also führt das Höhere Ich Begegnungen herbei, Gelegenheiten, Umstände, innere und äußere Krisen. Natürlich sind diese Impulse auch verwoben mit den Bestrebungen der Höheren Iche anderer Menschen und eingebettet in übergeordnete Bestrebungen und Vorgänge. In Kapitel 7 soll dieser Aspekt ausführlicher dargestellt werden.
3. Das Höhere Ich spricht bereits zu dem gerade entstehenden, noch ungeborenen menschlichen Wesen. Es ist ein schönes Bild, dass die Haltung des Embryos im Mutterleib die Form eines Ohrs annimmt. Der werdende Mensch »hört« auf sein Höheres Ich, das dadurch an seiner Leiblichkeit mitbildet – längst bevor es auf die Seele, das Denken und Wollen des Betreffenden einwirken kann. Durch diesen Vorgang wird die physische Individualisierung erst möglich, denn die leibliche Grundausstattung ergibt sich ja aus dem Erbstrom. Am deutlichsten wird dies am Gesicht. Es ist der individuellste Teil der Leiblichkeit. Dass man ein Gesicht unter tausenden von Gesichtern wiedererkennt, obwohl es andererseits den Eltern und Geschwistern des Betreffenden ähnlich sein mag, ist Ausdruck dessen, dass das Gesicht ein absoluter Abdruck der Individualität ist.
Es ist anzunehmen, dass sich in weiterer Zukunft auch die übrigen Teile des Leibes immer stärker individualisieren werden. Je kräftiger das hereinstrahlende Ich ist, um so individueller kann die Leiblichkeit werden.3
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob jemand dick oder dünn, groß oder klein ist; wie er in seinem Leib steckt, wie er sich des Leibes bedient, wie er sich mit ihm bewegt – darin liegt etwas von seinem Urbild. Es gibt deshalb auch das Erkennen der Individualität eines Menschen an seinem Leib. Im besonderen ist es – bei einem primär auf den Partner gerichteten Interesse – der Sexualität gegeben, in ihr ein Urbilderlebnis vom anderen haben zu können.
In dieser besonderen Nähe des Höheren Ich zur Leiblichkeit, zu ihrer Gestalt und ihren physiologischen Vorgängen, liegt auch die intime Verbindung mit ihrer Gesundheit und Krankheit. Tagsüber ist das Verhältnis zur Leiblichkeit stark vom Alltags-Ich, von der seelischen Befindlichkeit geprägt. Schon das kann sich, über die Brücke der Psychosomatik, körperlich auswirken. Aber nachts, im Schlaf, ist das Alltags-Ich abwesend, und dann kann das Höhere Ich den Leibesvorgängen Impulse geben, die über aktuelle Gestimmtheiten hinaus grundsätzliche Individualisierungsmöglichkeiten vermitteln.4 So sind zum Beispiel chronische Krankheiten oder langfristig sich anbahnende Krankheiten, aber auch Beeinträchtigungen durch Unfälle oder Überbelastung darauf zu befragen, ob sie Individualisierungsaufforderungen enthalten, die offenbar anders nicht gegeben werden konnten.
Das Höhere Ich steckt also voller Impulse, ist selbst Impuls. Seine Substanz ist Aufbruch. Andererseits ist deutlich, dass wir nur das wenigste davon verwirklichen. Auch daraus ergibt sich die These von den wiederholten Erdenleben: Die diesmal nicht verwirklichten Impulse und Entwicklungsmöglichkeiten bringt man das nächste Mal wieder mit, wahrscheinlich in etwas veränderter Form. So hat man die Entwicklungschancen auch über dieses Erdenleben hinaus. Welche Geduld des Schicksals!
Das Wesentliche unserer irdischen Existenz scheint sich aus dem ständigen Aufgespanntsein zwischen Geistnähe und Geistferne zu ergeben, zwischen Höherem Ich und Alltags-Ich. Liebe und Freiheit können sich wohl nur von da entfalten. Es wäre deshalb unangebracht, das Alltags-Ich etwa geringer zu achten als das Höhere Ich. Beide sind gleich notwendig.
3
Entwicklungsgesetze und ihre Bedeutung
Das Höhere Ich als Gestalter der Biographie bedient sich bestimmter Entwicklungs- und Ereigniskonstellationen, die in diesem und den folgenden Kapiteln dargestellt werden sollen. Was die Entwicklungsgesetze betrifft, so ist zwischen ihrer allgemeinen Gültigkeit einerseits und ihrer individuellen Ausprägung andererseits zu unterscheiden. Sie erscheinen zumeist als zeitliche Strukturen, als Gliederungsverhältnisse oder »Rhythmen«. Dass sich eine Biographie auch nach solchen Entwicklungsgesetzen gestaltet, drückt sich in ihrer Einbindung in kosmische Gesetzmäßigkeiten, Abläufe und Rhythmen aus, deren irdische Seite zeitliche Gliederungsverhältnisse sind.
Am bekanntesten in diesem Zusammenhang ist wohl die Gliederung in Jahrsiebte. Ihre Bedeutung wird im übernächsten Kapitel gesondert behandelt.
Die Mondknoten
In den meisten Biographien zeigen sich die Mondknoten und halben Mondknoten als sehr markante Wendepunkte. Alle achtzehn Jahre, sieben Monate und zwei Wochen wiederholt sich die Konstellation zwischen Mondbahn, Erdumlaufbahn und Sonne. Wenn wir »Erde« als das Hier und Jetzt auffassen, den Mond – spirituellen Traditionen folgend – als Signum des Vergangenen und die Sonne als Impulsator des Zukünftigen, dann bedeutet der Mondknoten ein bestimmtes Zusammentreffen von Vergangenheit und Zukunft im Jetzt. Bezogen auf den Lebensgang ergibt sich daraus, dass sich alle achtzehn Jahre, sieben Monate und zwei Wochen die Geburtsimpulse wieder bemerkbar machen. Einerseits kommen wir bewusstlos auf der Erde an, andererseits trägt unser Höheres Ich ein Wissen mit sich um unsere Ziele, die wir uns für diesen Erdengang gestellt haben. Es müssen keine sensationellen Aufgaben sein. Das sind zunächst und in erster Linie die eigene Individualität betreffende Entwicklungsnotwendigkeiten, Bedürfnisse nach Vervollständigung und Ausgleich einseitiger Erfahrungen. Weiterhin können wir annehmen, dass diese Ziele auch in übergeordnete Ziele und Strömungen eingebettet sind. Da der Mondknoten-Rhythmus vor allem ein kosmischer Rhythmus ist (im Gegensatz zum Siebener-Rhythmus, der zunächst ein biologischer ist – siehe Kapitel 5), ist er auch besonders geeignet, allgemeine kosmische Ziele in unser Willensleben einzuprägen. An die so aufzufassenden Geburtsimpulse also »erinnert« der Mondknoten.
Phänomenologisch stellen sich die Mondknoten als schicksalsmäßig von außen kommende Abbrüche, als Verlustereignisse, als Auslaufen oder Leerlaufen bisher gültiger Beziehungen und Verhältnisse dar. Es handelt sich dabei um eine Art Reinigung: Die Lebenssituation wird an diesem Wendepunkt gereinigt von dem, was nicht oder nicht mehr zu den Geburtsimpulsen gehört oder passt. Der Mondknoten wird deshalb meist krisenhaft erlebt, und zunächst steht ganz das Verlusterlebnis im Vordergrund. Freundschaften gehen auf einmal zu Ende, ein Projekt, für das man sich lange engagiert hatte, scheitert plötzlich; aber auch persönliche Interessen entleeren sich auf einen Schlag, und man weiß dann kaum mehr, warum man eigentlich so lange diesem oder jenem Hobby nachgegangen ist.
Das ist aber nur die eine Seite des Mondknotens, und sie trifft auch nur insofern zu, als es in der Lebenssituation Tätigkeiten, Beziehungen und Aufmerksamkeitsfelder gibt, die für den weiteren Verfolg des roten Fadens nicht oder nicht mehr sinnvoll sind. Die andere Seite besteht darin, dass – wiederum durch Ereignisse, die von außen eintreten