John Farndon

Big Ideas. Das Wirtschafts-Buch


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Die natürliche Ordnung

      Durch Quesnays Engagement für die Landwirtschaft entstand die französische Schule der Physiokraten. Sie glaubten an eine »natürliche Ordnung« in der Wirtschaft. Viele Ökonomen, darunter Theodore Schultz, betrachten die landwirtschaftliche Entwicklung als Grundlage für den Fortschritt in armen Ländern. 2008 berichtete die Weltbank, Wachstum im Agrarsektor trage am meisten zur Verringerung der Armut bei. Aber es ist auch bekannt, dass für eine langfristige Entwicklung die Diversifikation in Industrie und Dienstleistungen entscheidend ist. image

      »Würden wir die Ökonomie der Landwirtschaft kennen, wüssten wir schon viel über die Ökonomie der Armut.«

       Theodore Schultz

       US-Ökonom (1902–1998)

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      GÜTER UND GELD ZIRKULIEREN ZWISCHEN HERSTELLERN UND VERBRAUCHERN

      DER WIRTSCHAFTSKREISLAUF

       IM KONTEXT

      SCHWERPUNKT

       Makroökonomie

      VORDENKER

      François Quesnay (1694–1774)

      FRÜHER

      1664–1676 Der englische Ökonom William Petty führt die Begriffe des Staatseinkommens und der Staatsausgaben ein.

      1755 Der irische Kaufmann Richard Cantillon diskutiert in seinem in Frankreich erschienenen Essay den Fluss des Geldes von der Stadt aufs Land.

      SPÄTER

      1885 Karl Marx beschreibt in Das Kapital die Zirkulation des Kapitals anhand eines Modells, das von Quesnay angeregt ist.

      1930er-Jahre Der russischstämmige US-Ökonom Simon Kuznets entwickelt eine moderne volkswirtschaftliche Gesamtrechnung.

      In wirtschaftlichen Dingen kann man im Kleinen denken – also mikroökonomisch – oder im Zusammenhang des gesamten Systems: Das ist die Domäne der Makroökonomie. Im 18. Jahrhundert versuchte die Gruppe der Physiokraten in Frankreich, die gesamte Wirtschaft zu verstehen und als System zu erklären. Ihre Vorstellungen bilden die Grundlage der modernen Makroökonomie.

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       Die Physiokraten

      Physiokratie bedeutet »Macht über die Natur«. Die Physiokraten glaubten, die Nationen gewännen ihren wirtschaftlichen Reichtum aus der Natur, durch den landwirtschaftlichen Sektor. Ihr Vordenker, François Quesnay, war Chirurg und Arzt von Madame de Pompadour, der Mätresse König Ludwigs XV.

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      Madame de Pompadour holte Quesnay als Arzt an den Hof in Versailles. Für ihn muss ihr Lebensstil der Inbegriff des verschwenderischen Reichtums der Landbesitzer gewesen sein.

      Der merkantilistische Ansatz beherrschte das ökonomische Denken der Zeit. Die Merkantilisten waren der Auffassung, der Staat solle sich wie ein Kaufmann verhalten, Geschäftsbeziehungen pflegen, Gold erwerben und aktiv in die Wirtschaft eingreifen – durch Steuern, Subventionen, Kontrollen und Monopolvergaben. Die Physiokraten dachten genau umgekehrt: Sie glaubten, die Wirtschaft reguliere sich selbst und müsse lediglich vor schlechten Einflüssen geschützt werden. Sie waren für Freihandel, niedrige Steuern, sichere Eigentumsrechte und niedrige Staatsschulden. Während die Merkantilisten im Wohlstand eine Anhäufung von Werten sahen, glaubten Quesnay und seine Anhänger, er sei in der sogenannten Realwirtschaft verwurzelt. Die Landwirtschaft hielten sie für den produktivsten Wirtschaftssektor.

      Die Physiokraten waren beeinflusst vom Denken Pierre de Boisguilberts. Er vertrat die Ansicht, die Landwirtschaft sei der Herstellung überlegen und Konsumgüter seien wertvoller als Gold. Je mehr Güter konsumiert würden, desto mehr Geld fließe durch das System, daher sei Konsum die treibende Kraft der Wirtschaft. Ein wenig Geld bewirke in den Händen der Armen mehr als in den Händen der Reichen, weil die Armen es ausgeben, während die Reichen es nur horten. Der Kreislauf des Geldes sei von herausragender Wichtigkeit.

       Das Tableau économique

      Das physiokratische System des wirtschaftlichen Kreislaufs ist in Quesnays Tableau économique dargestellt, das zwischen 1758 und 1767 mehrmals veröffentlicht und überarbeitet wurde. Dieses Diagramm illustriert den Fluss von Geld und Gütern zwischen drei Gesellschaftsgruppen: Landeigentümern, Bauern und Handwerkern. Die Güter sind Agrar- und Produktionsgüter, hergestellt von Bauern und Handwerkern. Quesnay nahm Getreide als Beispiel für ein landwirtschaftliches Produkt.

      Am besten lässt sich Quesnays Modell an einem Beispiel verdeutlichen. Man stelle sich vor, jede der drei Gruppen besitzt anfangs 2 Mio. Euro. Die Landbesitzer produzieren nichts. Sie geben ihre 2 Mio. Euro aus, und zwar zu gleichen Teilen für landwirtschaftliche und handwerkliche Produkte, die sie vollständig verbrauchen. Sie erhalten 2 Mio. Euro an Pacht- und Mieteinnahmen von den Bauern, was die Bauern sich gerade eben leisten können, weil sie die einzige Gruppe sind, die einen Nettogewinn erzielt – die Landbesitzer stehen also am Ende wieder da wie zuvor. Die Bauern sind die produktive Gruppe. Mit einem Ausgangskapital von 2 Mio. Euro produzieren sie landwirtschaftliche Erzeugnisse im Wert von 5 Mio. Euro über den Eigenbedarf hinaus. Davon verkaufen sie Waren im Wert von 1 Mio. Euro an die Landbesitzer zu deren Verbrauch. Waren im Wert von 2 Mio. Euro verkaufen sie an die Handwerker, zur Hälfte zum Verbrauch und zur Hälfte als Rohmaterial. Bleiben 2 Mio. Euro für die nächste Wachstumsperiode übrig. Was die Produktion angeht, stehen sie wieder genauso da wie am Anfang. Aber sie besitzen zusätzlich 3 Mio. Euro aus Verkäufen, von denen sie 2 Mio. Euro an Pacht ausgeben und 1 Mio. Euro für handwerkliche Produkte (wie Werkzeug und Geräte).

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      Quesnays Tableau économique zeigt den Zickzackfluss des Wohlstands zwischen Bauern, Landeigentümern und Handwerkern. Es war der erste Versuch, das Funktionieren einer Volkswirtschaft zu erklären.

      Quesnay bezeichnete alle Gruppen außer den Bauern und Landeigentümern als »steril«, er glaubte, sie könnten keinen Gewinn erzielen. Die Handwerker im Beispiel setzen ihr Startkapital von 2 Mio. Euro ein und produzieren 2 Mio. Euro an Gütern über den Eigenbedarf hinaus, die sie zu gleichen Teilen an Landeigentümer und Bauern verkaufen. Aber sie geben ihre gesamten Einnahmen für landwirtschaftliche Produkte aus: 1 Mio. Euro für den Eigenbedarf und 1 Mio. Euro für Rohmaterial. Damit konsumieren sie alles, was sie besitzen.

      Quesnays Modell stellt nicht nur eine Art Jahresbilanz dar – es zeigt auch, wie Güter und Geld das ganze Jahr hindurch zirkulieren und warum das so wichtig ist. Der Verkauf von Produkten zwischen den verschiedenen Gruppen erzeugt Einnahmen, die eingesetzt werden, um weitere Produkte zu kaufen, die noch mehr Gewinn bringen. Ein »Multiplikatoreffekt« tritt ein, ähnlich dem, den John Maynard Keynes in den 1930er-Jahren vorstellt.

      »Die Gesamtsumme des Einkommens trete in die jährliche Zirkulation ein und durchlaufe sie in ihrer ganzen Ausdehnung.«

       François Quesnay

       Die Wirtschaft analysieren

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