die erfüllt sein müssen, damit Menschen sich »gesund« entwickeln können. Er ging dabei von der Ontogenese, d. h. der Entwicklung der einzelnen Menschen aus. Die von ihm unterschiedenen Bedürfnisse hat er hierarchisiert38, da die Bedeutung der einzelnen Bedürfnisse im Zusammenhang mit der Entwicklung der Menschen zu ordnen sind: Für den Säugling ist zunächst die physische Versorgung grundlegend. Diesem physischen Bedarf bleibt z. B. die menschliche Zuwendung, die der Säugling auch von Anfang an benötigt, zunächst untergeordnet. In der Entwicklung der ersten Lebensjahre gewinnen die weiteren »höheren« Bedürfnisse zunehmend an Bedeutung, und zwar jeweils in Abhängigkeit von einer ausreichenden39 Befriedigung der vorherigen (niedrigeren) Bedürfnisse sowie der kognitiven Entwicklung. Das – auf die Entwicklung bezogen letzte – Bedürfnis nach Selbstverwirklichung spielt erst für Erwachsene eine Rolle, die selbstständig sind, Erfahrungen sammeln und sich selbst reflektieren können.
Ausgehend vom Erreichen einer ausreichenden Befriedigung der jeweils »niedrigeren« Bedürfnisse in der individuellen Entwicklung, kann dann für das eigene Leben auch bewusst eine andere Priorisierung der Bedürfnisse entschieden werden.40
Die Befriedigung der Bedürfnisse ist für Maslow die Bedingung für eine »gesunde Entwicklung« und daher auch ein Recht der Menschen (Maslow, 1992, S. 88 f.; 2018, S. 107 ff.; Methfessel, 2020).
Bedürfnisse nach Klaus Grawe
Relativ jung ist die Bedürfnistheorie des klinischen Psychologen Klaus Grawe (2004, S. 183 ff.). Als Therapeut ging er von den Fragen aus, was Menschen suchen und was ihr Handeln bestimmt. Aus therapeutischer Perspektive interessieren ihn nur die psychischen Grundbedürfnisse. Er formuliert folgende vier Grundbedürfnisse:
• Bedürfnis nach Orientierung, Kontrolle und Kohärenz sowie Konsistenzregulation
• Bedürfnis nach Lust und Unlustvermeidung
• Bedürfnis nach Bindung
• Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung (Grawe, 2004, S. 185 f., gestützt auf Epstein).
Im Vergleich der Theorien liegen Grawes Kategorien Orientierung und Kontrolle und Lust/Unlustvermeidung sozusagen quer zur Strukturierung von Deci und Ryan und von Maslow.
Lust und Unlustvermeidung sind neue Kategorien, die auch mit der Befriedigung von Bedürfnissen verbundene Emotionen betreffen und die daher auch Motive bzw. Motivationen beeinflussen.
Grundbedürfnisse und Kinderrechte nach Thomas Berry Brazelton und Stanley I. Greenspan
Die Kinderärzte Brazelton und Greenspan (2002) hatten mit ihrem Buch »Die sieben Grundbedürfnisse von Kindern« nicht das Ziel, einen neuen theoretischen Beitrag zur Strukturierung von Grundbedürfnissen zu liefern. Vielmehr ging es ihnen darum, das Recht der Kinder auf die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse (irreducible needs) ins Bewusstsein zu rufen und damit einen Beitrag zur Verbesserung der Lebenssituation von Kindern zu leisten. Sie wollten Eltern und anderen, die – wie pädagogische Fachkräfte – für die Betreuung, Erziehung und Bildung von Kindern zuständig sind, Orientierungen geben und sie zugleich auf die Verpflichtung zur Befriedigung der Grundbedürfnisse des Kindes hinweisen.
Sie unterscheiden sieben Grundbedürfnisse: Das Bedürfnis nach
• beständigen liebevollen Beziehungen
• körperlicher Unversehrtheit, Sicherheit und Regulation
• Erfahrungen, die auf individuelle Unterschiede zugeschnitten sind
• entwicklungsgerechten Erfahrungen
• Grenzen und Strukturen
• stabilen, unterstützenden Gemeinschaften und kultureller Kontinuität
• einer sicheren Zukunft für die Menschheit.
Auch diese Differenzierung von Grundbedürfnissen widerspricht inhaltlich den anderen genannten Theorien nicht. Mit der Aufzählung von Brazelton und Greenspan werden eher Elemente der Grundbedürfnisse herausgehoben und Akzente zum Umgang mit Kindern gesetzt. Die Autoren reagierten damit auf die fehlende Beachtung dieser Bedürfnisse in der gesellschaftlichen Entwicklung.
2.3.2 Unterschiedliche Perspektiven – unterschiedliche Strukturierungen
Die verschiedenen Ansätze zu komprimiert darzustellen und zu vergleichen ist wissenschaftlich prekär. Hier soll jedoch verdeutlicht werden, dass (a) andere Perspektiven zu anderen Strukturierungen führen und (b) vergleichbare oder sich überlappende Bedürfnisse unterschiedlich benannt werden.
Der Fokus von Deci und Ryan bietet Hilfestellung für die Förderung der psychosozialen und kognitiven Entwicklung in der KiTa. Sie verdeutlichen, dass Entwicklung und Bildung, auch das Essenlernen, »Anleitung und Unterstützung zum Selbstständigwerden« benötigen.
Inhaltlich müssen sich die Bedürfnisse nicht widersprechen, denn Maslows Bedürfnisse lassen sich denen nach Deci und Ryan zuordnen bzw. darin integrieren. Im Vergleich zu Maslows entwicklungsbezogener Hierarchisierung stehen bei Deci und Ryan die Grundbedürfnisse gleichwertig nebeneinander. Während Maslow betonen will, dass Entwicklung durch unerfüllte Bedürfnisse behindert werden kann, verweisen Deci und Ryan auf die Gleichwertigkeit der Bedürfnisse – und damit darauf, dass alle zugleich beachtet werden müssen.
Beide Positionen sind bedeutsam: Maslow könnte erklären, warum ein Kind in seiner Entwicklung behindert wird. Deci und Ryan verdeutlichen, dass für die Entwicklung alle Bedürfnisse beachtet werden sollten.
Auch die Bedürfnisstrukturierung von Grawe widerspricht nicht denen der anderen Autoren. Orientierung und Kontrolle geben Sicherheit sowie Kompetenz-, Autonomie- und Selbstwirksamkeitserfahrung. Bindung und Selbstwerterhöhung entsprechen weitgehend dem Bedürfnis nach Achtung, sozialer Eingebundenheit und Zugehörigkeit. Die Bedürfnisse nach Lust und nach Unlustvermeidung bieten einen neuen Fokus auf die Frage: Wie sind Motiv und Motivation mit Emotionen verbunden? Diese Frage bestimmt im Alltag viele Reaktionen und Handlungen, wie Holodynski und Oerter festhalten:
Seit emotionale Bewusstseinserlebnisse in der Phylogenese auftreten, geht es darum, sich angenehme Emotionen zu verschaffen und unangenehme zu vermeiden oder, wenn vorhanden, zu reduzieren. (Holodynski & Oerter, 2018, S. 514)
Eine wichtige Aufgabe ist daher die Emotionsregulierung durch die Volition, d. h. die Kontrolle der Emotionen durch den Willen.
Sie sorgt dafür, dass die Entscheidung für die Befriedigung eines ausgewählten Motivs auch gegen emotionale Widerstände und konkurrierende Motive durchgehalten werden kann. (Holodynski & Oerter, 2018, S. 158)
Die Entwicklung der Volition ist für das Lernen generell sowie speziell für das Essenlernen besonders interessant. Sie wird durch die angeborenen Stoffwechselprozesse beeinflusst: Durch Essen werden Hormone und andere Botenstoffe produziert, die im Allgemeinen positive Gefühle auslösen, u. a. durch eine Dopamin-Ausschüttung (vgl. Meyerhof, 2013,
2.3.3