Kariane Höhn

Essen und Ernährungsbildung in der KiTa


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Beispiel: Die Akzeptanz bestimmter Speisen und ihrer Reihenfolge an den Mahlzeiten. Im Umgang mit Kindern ist daher darauf zu achten, welche Handlungsmuster und -alternativen ihnen vermittelt werden (vgl. auch Grunert, 1993).31

      • reflexiv: Reflexion ist notwendig, wenn (1) widerstreitende Emotionen und Handlungsbereitschaften vorliegen, (2) ein Widerspruch zwischen Volition und Emotion besteht, (3) kein klares Ziel definiert ist, sodass Emotionen, Motive und Handlungen reflektiert werden müssen. Dies erfordert auch eine volitionale Emotionsregulierung, u. a. zur Überwindung negativer oder zur Aktivierung positiver Emotionen.

      • Beispiel: Einem Kind mit einer Allergie oder einer Stoffwechselkrankheit fällt häufig der Verzicht auf Lebensmittel und Speisen schwer. Es kann aber lernen, das längerfristige Wohlbefinden kurzzeitigen Wünschen vorzuziehen.

      Diese vier Formen der Handlungsregulation werden in der KiTa-Zeit – ob intendiert oder nicht – unterschiedlich stark entwickelt, gefördert und eingeübt. Die individuellen Möglichkeiten zur Emotionsregulierung sind für die Entwicklung des Essverhaltens zentral und benötigen eine professionelle Anleitung (Gutknecht & Höhn, 2017). Eine allein physische Steuerung des Essverhaltens ist in vielen Situationen nicht oder nur erschwert möglich. Nach dem »Grenzmodell der Nahrungsregulation« liegt zwischen den physiologisch (relativ) kontrollierbaren Bereichen von Hunger und Sättigung eine (unterschiedlich breite) »Zone der biologischen Indifferenz«, in der das Essverhalten psychisch, d. h. emotional und/oder kognitiv gesteuert werden muss (Grunert, 1987, 1993; Herman & Polivy, 1984, zitiert in Pudel & Westenhöfer, 2003, S. 184; image Abb. 2.1). Ob dies gelingt, hängt sowohl davon ab, wie die inneren Signale von Hunger und Sättigung wahrgenommen und beachtet werden, als auch davon, wie Menschen gelernt haben, ihre Gefühle zu erkennen, zu differenzieren und auf sie zu reagieren (Methfessel et al., 2020). Je weniger dies gelernt wurde, desto stärker sind Menschen von externen Reizen und von ihren Emotionen gelenkt.

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      Da durch Hunger bei vielen Menschen Adrenalin ausgeschüttet wird, wodurch bei vielen Kindern und Erwachsenen die Aggressivität steigt (MacCormack & Lindquist, 2018), ist der Zusammenhang von Essen und Emotionen vor dem Essen erst einmal zu analysieren und ggf. anders zu bewerten als nach dem Essen. Hier ist es durchaus sinnvoll, eine Orientierung auf die Freude, die ein gutes Essen und das Stillen von Hunger bieten können, zu nutzen.

      Für die Differenzierung von Emotionen und den Umgang mit ihnen haben pädagogische Fachkräfte daher eine wichtige Funktion. Durch ihre professionelle Responsivität (Gutknecht, 2015b; image Kasten 2.1) unterstützen und fördern sie die Kinder. Dazu gehört, die emotionsregulierende Funktion des Essens reflektiert zu gestalten, damit das Kind lernt, Freude am Essen zu entwickeln, mit Lust zu essen und damit die Emotionen gezielt zu steuern, ohne ein problematisches Essverhalten zu entwickeln (Kluß, 2018, 2020; Methfessel, 2020).

      Menschliches Tun lässt sich als fortlaufende Folge von kulturell gefärbten Tätigkeiten beschreiben, in denen eine Person ihre Motive zu befriedigen trachtet. Emotionen stellen eine wesentliche Komponente dieser Tätigkeiten dar, indem sie Geschehnisse und Handlungsresultate bezüglich ihrer Bedeutung für die Motivbefriedigung einschätzen und nachfolgende Handlungen in motivdienlicher Weise ausrichten. Emotionen regulieren damit die Tätigkeiten einer Person. (Holodynski & Oerter, 2018, S. 516)

      2.3 Essen und die Befriedigung von Grundbedürfnissen

      Ohne Essen kann der Mensch nicht überleben. Essen ist grundlegend, und Hunger und Durst sind Basis- bzw. Grundbedürfnisse, welche zum Überleben befriedigt werden müssen. Vermutlich bringt aber nicht (nur) dieses Wissen Menschen dazu, Zeit, Geld und andere Ressourcen für die Nahrungsbeschaffung und -bearbeitung zu investieren, sondern die durch Essen gewonnenen (hormonell gesteuerten) Lustempfindungen (Meyerhof, 2013). Die Steuerung des Essens ist zudem durch zahlreiche weitere psychische und soziale Faktoren beeinflusst: So füllen z. B. Lieblingsgerichte die »innere Leere«, reduziert genüssliches Essen Spannungen, gibt die gemeinsame Mahlzeit Geborgenheit oder soziale Anerkennung. Damit betrifft Essen mehr als die physiologischen Bedürfnisse (Kluß, 2018; Meyerhof, 2013; Methfessel et al., 2020).

      Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung sind häufig genutzte Begriffe bei der Beschreibung der kindlichen Entwicklung. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Natur bzw. Art und Definition von Bedürfnissen sowie darauf basierende Bedürfnistheorien haben bereits eine lange Tradition (Grunert, 1993, S. 31 ff.). Allerdings werden die beiden Begriffe nicht einheitlich definiert, interdisziplinär bestehen teilweise große Differenzen (s. Heft 1 »Bedürfnis und Konsum« von Haushalt in Bildung & Forschung, 2020). Auch im pädagogischen Kontext wird schnell von Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung gesprochen, ohne genau zu differenzieren, was gemeint ist. Daher sollen sie im Folgenden definiert und erläutert werden, um zu einem einheitlichen Verständnis beizutragen.

      Bedürfnisse drücken einen Mangel aus, der zu dem Bestreben führt, diesen zu beseitigen. Sie sind daher grundlegende Antriebskräfte für menschliches Handeln. Ihre Kenntnis ist elementar, um das Verhalten und Handeln beim Essen zu verstehen.