Kariane Höhn

Essen und Ernährungsbildung in der KiTa


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target="_blank" rel="nofollow" href="#fb3_img_img_52b45a4e-b59e-5eb5-8b0f-1358f645602b.jpg" alt="image"/> Kap. 3.2). Für die ersten Fütterinteraktionen sind taktile körperliche Wahrnehmung (Wahrnehmung der Brustwarze an der Wange, s. u.) sowie Hören und Riechen (Stimme und Geruch der Mutter und/oder des Vaters) ebenso wichtig. Ab dem zweiten Monat kann der Säugling gezielt hinhören und hinsehen und sich so den fütternden Personen zuwenden (Draganski & Thelen, 2018, S. 130 ff.; Elsner & Pauen, 2018, S. 171 ff.).

      Beim Füttern und Essen ermöglicht der Gleichgewichtssinn zunehmend eine stabile Haltung (Gutknecht, 2015a, S. 100 ff.; vgl. auch Draganski & Thelen, 2018; Krombholz, 1999).

      Sinneswahrnehmungen sind nicht nur wichtig bezogen auf die Speisen, sondern auch bezogen auf die Situation und die Umgebung, in der die Fütter- bzw. Essinteraktionen stattfinden. Gutknecht (2015a, S. 100 ff.) fordert daher eine sorgfältige Gestaltung der sensorischen Lernumgebung beim Essen und Trinken:

      • Vestibuläre Wahrnehmung: durch Organisation einer geeigneten Sitz- und Essmöglichkeit

      • Propriozeptive Wahrnehmung: Berücksichtigung der »Tiefensensibilität« zur Sicherung einer entwicklungsangepassten stabilen Körperhaltung durch Sitzsituation, Gewicht der Ess- und Trinkwerkzeuge etc.

      • Taktile Wahrnehmung: Von der Textur über die Temperatur der Speisen bis hin zur Kleidung sollten positive Wahrnehmungsmöglichkeiten gegeben sein

      • Gustatorische Wahrnehmung: positive Geschmackseindrücke unter Berücksichtigung der höheren Geschmackssensibilität und der noch auszubildenden Geschmacksakzeptanz

      • Olfaktorische Wahrnehmung: Geruchseindrücke durch Umgebung, Speisen und eigene Kleidung (Windel)

      • Visuelle und auditive Wahrnehmung: Die Aufmerksamkeit des Kindes sollte vor allem der Speise und der fütternden Person bzw. am gemeinsamen Tisch der Mahlzeit gelten, und das Kind sollte nicht unnötig abgelenkt werden (vgl. Gutknecht, 2015a, S. 144 ff.; Gutknecht & Höhn, 2017; image Kap. 7).

      Die weitere Entwicklung der Sinne und die Fähigkeit, sie zu nutzen, muss gelernt werden. Zwischen Sinnesempfindungen und Wahrnehmungen sollte daher unterschieden werden.

      Die Sinnesempfindung (»sensation«) ist der elementare Prozess der Reizaufnahme und -registrierung, z. B. das Sehen der Farbe Orange. Die Wahrnehmung (»perception«) ist demgegenüber der höhere Prozess der Organisation und Interpretation der Reizinformationen, z. B. das Sehen einer Orange als Objekt, vielleicht sogar als eines essbaren und werfbaren Objektes. (Krist et al., 2018, S. 375)

      Am Ende des ersten Lebensjahres unterscheidet sich die Wahrnehmungskompetenz des Kindes nicht mehr wesentlich von der eines Erwachsenen (Krist et al., 2018, S. 393).

      Um essen zu lernen, müssen Kinder ihre Nachahmungsfähigkeit, durch die »das Gesehene in Muskelbewegungen ›übersetzt‹ werden kann« (Draganski & Thelen, 2018, S. 133) nutzen und entwickeln. Dies gilt nicht nur für Bewegungen, sondern auch für Emotionen, wenn diese z. B. mimisch ausgedrückt werden (image Kap. 2.2).

      Für die weitere Essentwicklung sind alle Sinne gefordert und zu fördern: Das Kind lernt

      • visuell und haptisch, die Konsistenz(en) der Speisen wahrzunehmen,

      • Farben und Formen einzelnen Lebensmitteln und Speisen zuzuordnen,

      • Temperaturen abzuschätzen und mit Gerichten und Geschmack zu verbinden u. v. a. m.

      Diese Differenzierungen, Gemeinsamkeiten und Verbindungen, diese Fähigkeiten und Fertigkeiten lernt ein Kind umso schneller, wenn es darin angeleitet und gefördert wird. Für die Essentwicklung ist besonders wichtig, dem Kind im Übergang von der ausschließlichen Milchnahrung zur Beikost und in den weiteren Lebensjahren einen neuen Geschmack mehrfach und regelmäßig anzubieten, damit es sich an diesen gewöhnen kann und möglichst positive Emotionen damit verknüpft (image Kap. 3.2).

      Motorische Entwicklung

      Die (mund-)motorische Entwicklung ist eine wichtige Voraussetzung für das Essenlernen, d. h. gefüttert zu werden und allmählich selbstständig essen zu können (Gutknecht, 2015a; Gutknecht & Höhn, 2017). Dabei müssen die damit verbundenen (mund-)motorischen Prozesse nach und nach gelernt bzw. weiterentwickelt werden.

      Vom Saugen zum Essen

      Schon pränatal kann der Fötus saugen und schlucken. Stillen bzw. Füttern mit einer Flasche sind daher sofort nach der Geburt möglich. Die Sensibilität des Mundes ist noch einige Monate nach der Geburt weiterentwickelt als die der Hand. In den ersten Lebensmonaten nimmt der Säugling ausschließlich flüssige Nahrung zu sich. Die Nahrungsaufnahme wird zunächst durch angeborene Reflexe bestimmt.

      Bis zum dritten Monat funktioniert der Suchreflex: Wird die Wange des Säuglings berührt (z. B. von der mütterlichen Brustwarze), wendet er seinen Kopf in die Richtung mit entsprechender Saugbewegung des Mundes. Später kann der Säugling die Nahrungsquelle (Mutterbrust bzw. Flasche) auch anders wahrnehmen und suchen (riechen, sehen; Elsner & Pauen, 2018, S. 170 ff.; vgl. Krist et al., 2018).

      Der Saugreflex bedeutet, dass der Säugling die Nahrungsquelle bei Berührung mit dem Mund aufnimmt, daran saugt und mithilfe des Schluckreflexes schluckt, weshalb sein Name in dieser Phase auch Säugling ist. Der Säugling erforscht gerne alles mit dem Mund (»mundeln«), zunächst saugend und lutschend.

      Der Zungenstreck- und Zungenstoßreflex dient dazu, dass er zunächst unbekannte Stoffe ausspuckt, indem er die Zunge herausstreckt bzw. diese Stoffe mit der Zunge aus dem Mund schiebt. Dieser Reflex öffnet gleichzeitig den Mund für die Mutterbrust.

      Im Übergang zur Beikost behindern diese Reflexe zunächst das Füttern. Um die neue Nahrung schlucken zu können, muss der angeborene Zungenstreck- und Zungenstoßreflex durch neue motorische (Re-)Aktionen ersetzt werden. Beim Füttern der Breinahrung mit dem Löffel schiebt die Zunge dazu das Mus in die hintere Mundhöhle. Durch die Berührung der Nahrung mit dem weichen Gaumen wird der Schluckreflex ausgelöst, und die Nahrung wird abgeschluckt (reflektorisches Abschlucken). Für ein Füttern mit dem Löffel müssen so neue Mund- und Zungenbewegungen gelernt werden, damit das Kind die Nahrung nicht mehr ausspuckt und sie im Mund so bewegt, dass der Schluckreflex ausgelöst wird (Elsner & Pauen, 2018; Gutknecht, 2015a; Gutknecht & Höhn, 2017; Krombholz, 1999). Mit der Zeit wird so der Zungenstreckreflex überlagert.

      Auch für das Trinken aus dem Becher muss der angeborene Reflex überwunden werden (Elsner & Pauen, 2018; Gutknecht, 2015a; Gutknecht & Höhn, 2017). Die motorische Entwicklung vom Saugen zum (in den Mund) Aufnehmen, Kauen und Schlucken