Kariane Höhn

Essen und Ernährungsbildung in der KiTa


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z. B. nach dem Essen, bei positiven Geschmackserfahrungen oder als Reaktion auf die soziale Interaktion beim Füttern.

      • Interesse: Visuelle Aufmerksamkeit mit leicht geöffnetem Mund signalisiert Interesse bei externen stimulierenden Reizen, z. B. die Wahrnehmung von Signalen für den Beginn einer Mahlzeit oder das Wahrnehmen des Geruchs der Mutter.

      • Ekel: Naserümpfen mit Vorstrecken der Zunge (Zungenstreckreflex, image Kap. 2.1) zum Ausspucken bei ungenießbarem und als unangenehm empfundenem Geschmack (image Kap. 3.2).

      • Erschrecken: Aufgerissene Augen und Körperspannung signalisieren Schrecken und eine als bedrohlich und überfordernd empfundene Situation. Dies spielt für Essen meist nur eine indirekte Rolle, wenn z. B. die Essumgebung oder die Esssituation als bedrohlich wahrgenommen werden.

      Schon der Säugling beobachtet andere Menschen und nimmt deren Mimik wahr, er fühlt sich z. B. angenommen, bestätigt oder bedroht. In diesen Interaktionen lernt er ebenfalls, den anderen zu imitieren. Er interagiert mit seinen emotionalen Ausdrücken und reagiert auf die »mimischen Antworten«, die er erhält. Er lernt, den ihm übermittelten Ausdruck zu interpretieren (»Gedankenlesen«) sowie Gefühle nachzuahmen und zu übernehmen (»Gefühlsansteckung«; Holodynski & Oerter, 2018, S. 522).

      In diesem Alter beginnt das »Imitationslernen«. Es wird in der Essentwicklung wichtig, da Kinder durch das Nachahmen der Eltern bzw. KiTa-Bezugspersonen neue Wege des Essens (z. B. mit dem Löffel) oder neue Lebensmittel bzw. Speisen kennenlernen und akzeptieren können. Wenn die fütternde Person vormacht, wie man einen Löffel in den Mund steckt, und damit zeigt, dass das angebotene Essen gegessen werden kann, gibt dies dem Kind Orientierung und Sicherheit.

      Im Laufe des zweiten Lebensjahres lernt das Kind, nicht nur wahrgenommene Emotionen widerzuspiegeln, sondern auch zu reagieren und Empathie zu entwickeln, z. B. zu trösten (Holodynski & Oerter, 2018, S. 504 ff.). Mit zunehmendem Alter entwickeln Kinder weitere Emotionen wie Freude, Ärger, Stolz, Enttäuschung oder Scham. Sie lernen, diese Emotionen inter- und intrapersonal zu regulieren. Eltern oder pädagogische Bezugspersonen werden dann von dem zu imitierenden Vorbild zur »Bewertungsinstanz«, die durch ihren Umgang mit Essen Sicherheit bieten.

      Essen ist eine regelmäßig stattfindende Tätigkeit, die stark mit Emotionen sowie zentralen Bedürfnissen bzw. Motiven und Motivationen verbunden ist. Essen zu lernen ist ebenfalls von Emotionen, Stimmungen und »gegenständlichen Gefühlen« begleitet. Spätestens ab dem Alter von 1 ½ Jahren werden über das Essen auch Konflikte ausgetragen, deren Ursachen in anderen Situationen oder Beziehungen liegen, wie z. B. Sympathie und Antipathie gegenüber Personen oder Dominanz- und Widerstandsversuche.

      Da all diese Emotionen das Essen begleiten, ist es notwendig, sie zu (er)kennen und in professionell responsiver Weise zu agieren (Gutknecht, 2015a, 2015b; Gutknecht & Höhn, 2017, S. 12 ff.; image Kasten 2.1), um das Kind bei der Emotions- und Tätigkeitsregulierung zu unterstützen.

      Professionelle Responsivität (feinfühlige Beantwortung) ist das auf das Kind abgestimmte Antwortverhalten der pädagogischen Fachkraft. Das setzt ein gut ausdifferenziertes »Antwortregister« voraus, um in vielen Situationen, auch bei großer Anspannung, ein adäquates Antwortverhalten zeigen zu können (Gutknecht, 2015a). Nach Gutknecht sind die »zentralen Aspekte Professioneller Responsivität [PP]« (2015a, S. 22 ff.):

      Fokus (PP in Abhängigkeit von den Interaktionspartnern, wie Kind, Eltern, Kollegen)Stile (PP in Abhängigkeit von den Arten der Interaktionen, z. B. Aufgabe der Ko-Regulation)Fähigkeit zur Wahrnehmung von Verhaltenssignalen (Voraussetzung)Intensives emotionales Ausdrucksverhalten (Voraussetzung)Antwortprozesse auf sprachlicher und nichtsprachlicher Ebene (Voraussetzung)Perspektiven (PP in Abhängigkeit von und in Abstimmung auf Merkmale der Interaktionspartner wie sozio-kultureller Hintergrund, Geschlecht, Behinderung)Wissenschafts- und Demokratiebasierung (Voraussetzung für PP).

      2.2.3 Emotions- und Tätigkeitsregulierung

      Soziale Gemeinschaften können ein unbegrenztes Ausleben aller Emotionen nicht erlauben. Dies würde auch die Entwicklung von Kindern nicht positiv fördern. Gesellschaften entwickeln daher unterschiedliche Normen und Wege, Emotionen zu regulieren. Kinder lernen diese Regulierung vor allem in der Interaktion, zunächst – wie beschrieben – dadurch, dass Empfindungen mimisch zwischen Kind und Bezugsperson ausgetauscht werden. Eine positiv auffordernde Mimik kann z. B. helfen, von Angst oder Ablehnung zur Neugier zu wechseln. Je älter die Kinder werden, desto besser können sie ihre Gefühle ausdrücken und differenzieren und desto besser können sie die Reaktionen wahrnehmen und zur Wertung des Gefühls bzw. des Erlebten und dem Umgang damit nutzen. So lernen sie zunehmend, ihre Gefühle besser zu regulieren.

      Diese Emotionsregulierung muss pädagogisch unterstützt werden. Geschmack wird von Beginn an mit Emotionen assoziiert gespeichert (image Kap. 3.2). Dies erleichtert, emotionales Unbehagen über Essen auszugleichen. Allerdings lernen Kinder dadurch nicht, ihre Emotionen zu unterscheiden und angemessen zu regulieren. Damit sollten pädagogische Fachkräfte umgehen können, da sie auch Kinder zu betreuen haben, die gewohnt sind, ihre Spannungen mit Essen zu regulieren, und die lernen müssen, andere Wege zu finden.

      Zur Emotionsregulierung gehört auch, eine Bedürfnisbefriedigung verschieben zu können, z. B. wenn Hunger ertragen werden muss, weil der gemeinsame Anfang einer Mahlzeit noch abzuwarten ist oder weil erst noch der Tisch zu decken ist. Beim Aufschieben einer Bedürfnisbefriedigung sollte zum einen dem Kind signalisiert werden, dass man sein Bedürfnis ernst nimmt, zum anderen sind Alternativen wichtig, die eine Aufschiebung erleichtern, wie z. B. die Ablenkung des Kindes durch andere Kinder oder durch interessante Tätigkeiten wie helfen oder spielen. Emotionen und ihre Regulation sind daher immer im Handlungskontext und vor dem Hintergrund der jeweiligen Motive und Volitionen zu analysieren (Holodynski & Oerter, 2018; vgl. auch Gutknecht & Höhn, 2017; Grunert, 1993; Juul, 2002).

      2.2.4 Formen der Tätigkeitsregulation

      Eine Handlungsregulation kann durch mindestens vier Formen erfolgen (Holodynski & Oerter, 2018, S. 516 ff.):

      • emotional: Situationen wie die fehlende Befriedigung eines Bedürfnisses lösen Emotionen aus. Die Bewertung der Emotionen (wichtig vs. unwichtig) steuert die Handlungsbereitschaft und ggf. das Bewältigungshandeln, d. h. die Suche nach anderen Wegen.

      • Beispiel: Lebensmittel und (Lieblings-)Speisen können als Emotionsgeber (»emotionaler Symbolgehalt« nach Grunert, 1993, S. 3, S. 34 ff.) genutzt werden – sollten dies aber nur, wenn das Kind Hunger hat, oder in einem »Notfall«, wenn es mangels Alternativen wichtig ist, um ein Gefühl von Geborgenheit zu vermitteln (vgl. das Beispiel der »Ankerlebensmittel«, image Kap. 7.2).

      • volitional: Beim Fehlen von emotionalen Handlungsimpulsen kann sich eine Person für Handlungen entscheiden, die sie ihren Zielen näherbringen.

      • Beispiel: Ein Kind, das keine Lust auf bestimmte Speisen hat oder darauf, sich sein Brot selbst zu schmieren, kann sich auf die jeweilige Situation und Handlung einlassen, weil es sonst hungrig bliebe oder weil es Konflikte mit den Bezugspersonen vermeiden möchte.

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