zu »konzentrieren« und Energie für die Verdauung zu »sparen«. Auch bei Krankheiten (und zwar schon vor ihrem Ausbruch) oder beim »Zahnen« reduzieren Kinder die Menge ihres Essens und verändern auch ihre Geschmackspräferenzen (
2.1.3 Abschließende Bemerkungen
Die hier komprimiert dargestellten physiologischen Voraussetzungen für die allgemeine Entwicklung und speziell die Nahrungsaufnahme des Kindes sind universell gültig, also kulturübergreifend. Kulturdifferent sind die Vorstellungen darüber, wie und mit welchem Ziel die Entwicklung des Kindes gefördert werden kann und sollte. Die jeweiligen Lebensbedingungen bieten zudem unterschiedliche Anforderungen und Möglichkeiten zur Förderung. Beim Eintritt in die KiTa können Kinder unterschiedliche Fertigkeiten und Fähigkeiten entwickelt haben (Borke & Keller, 2021; Tesch-Römer & Albert, 2018).
Nicht bei allen Kindern ist die in Tabelle 5.2 zusammenfassend beschriebene Entwicklung gleich: So können Kinder in ihrer Entwicklung gestört oder retardiert sein, die Entwicklungsverläufe dieser Kinder weichen dann mehr oder weniger von der beschriebenen unauffälligen (»normalen«) Entwicklung ab. Solche abweichenden Verläufe benötigen spezifische Förderungen oder Therapien und bezogen auf die Essentwicklung oft auch eine spezifische Versorgung (Groschwald & Rosenkötter, 2015).
2.2 Emotionen – ihr Einfluss auf Essen und Ernährung
Manchmal wenn ich Ruhe brauche, setze ich mich in meine Bonbonniere und ein Gummibärchen hält mir die Hand.
(Graffiti, zitiert nach Grunert, 1993, S. 2)
Wenn Säuglinge und Kleinkinder essen lernen, wird nicht nur ihr »physischer Hunger« gestillt. Sie erfahren die Befreiung vom Schmerz, den der Hunger ausgelöst hat, und erleben beim Essen Nähe, Zuwendung und Geborgenheit sowie Sicherheit. Zudem werden durch die Nahrungsaufnahme auch Transmitter und Hormone reguliert, die positive Stimmungen fördern. Neben dem physischen wird daher auch ein psychischer und sozialer »Hunger« gestillt. Essen ist mit Emotionen verbunden, wie auch das Zitat zu Beginn deutlich macht (vgl. auch Grunert, 1993; Klotter, 2007, 2015; Meyerhof, 2013; Methfessel, 2020; Pudel & Westenhöfer, 2003).
Essverhalten zur Selbstregulierung von Emotionen ist ein alltägliches, jederzeit beobachtbares Phänomen. Es ist eine Reaktion auf Emotionen, um diese zu modifizieren, aufrechtzuerhalten oder zu verstärken. Emotionsbedingtes Essen dient der Ablenkung oder Verarbeitung von unangenehmen Erlebnissen, der Linderung oder Beseitigung von Frustrationen und der Belohnung nach Erfolg oder nach überstandenen Schwierigkeiten. (Grunert, 1993, S. 1)30
Die enge Verknüpfung von Essen und Emotionen besteht von Anfang bis Ende eines Lebens. Wie sich diese Verbindung entwickelt und welche Bedeutung sie für das Essverhalten hat, wird gelernt. Das Kind muss lernen, seine Emotionen zu regulieren, und erwirbt damit implizit die Fähigkeit zur Differenzierung von Emotionen und zur Entwicklung und Nutzung von Alternativen der Regulierung (vgl. Grunert, 1993; Holodynski & Oerter, 2018).
Stillen als Bezeichnung für das Füttern des Säuglings beruht darauf, dass mit dem Nachlassen des Hungers auch das mit diesem verbundene Unwohlsein und die Unruhe nachlassen und das Kind ruhig und still wird. Essen dient seit jeher dazu, das Kind zu beruhigen, zu trösten, zu belohnen, zu bestrafen usf. Pudel und Westenhöfer (2003, S. 39) sprechen in diesen Fällen vom »Abspeisen« der Kinder. Rützler berichtet, dass viele Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren beginnen, »das Wort ›Hunger‹ für Langeweile, Einsamkeit, Traurigkeit und andere Gefühle zu verwenden« (2007, S. 49).
Die unterschiedlichen Gefühle des Kindes mit nur einem Angebot, nämlich Nahrung bzw. Essen, regulieren zu wollen, kann zwei wichtige Entwicklungen behindern: (1) zu lernen, die eigenen Emotionen zu differenzieren und zu regulieren, (2) ein Essverhalten zu entwickeln, das der physischen, psychischen und sozialen Gesundheit dient. Dafür ist auch wesentlich, dass die Füttersituation nicht die einzige Situation bleibt, in der ein Kind eine intensive Zuwendung erfährt.
Essen beeinflusst Emotionen auch auf weitere Weise: Essenssituationen in fremden (d. h. nicht familialen) Umgebungen sind in KiTas ein wichtiger Stressfaktor, der bei der Organisation bedacht werden muss (Gutknecht & Höhn, 2017, S. 14 ff.;
2.2.1 Emotionen
»Die Anfänge des Bewusstseins sind qualitativ zunächst Emotionen.« Mit dieser Aussage betonen Holodynski und Oerter (2018, S. 514) die besondere Bedeutung der Emotionen für die menschliche Entwicklung und führen weiter aus:
Emotionen der Lust, des Schmerzes, der Wut und der Furcht stehen am Anfang der phylogenetischen wie der ontogenetischen Bewusstseinsentwicklung und haben sich als Vorteil im Kampf ums Dasein erwiesen.
Emotionen bestimmen zeitlebens das menschliche Handeln. Sie sind Auslöser für Motivation, die ihrerseits das Handeln in Gang setzt, und wirken auch bei kognitiven Entscheidungsprozessen maßgeblich mit. Seit emotionale Bewusstseinserlebnisse in der Phylogenese auftreten, geht es darum, sich angenehme Emotionen zu verschaffen und unangenehme zu vermeiden oder, wenn vorhanden, zu reduzieren. Unter dieser Perspektive sind sowohl Mensch als auch Tier emotional regulierte Wesen. Beim Menschen gipfelt die emotionale Entwicklung in existentiellen Erfahrungen des Selbst sich seines Daseins bewusst zu sein und dies positiv oder negativ zu erleben. (Holodynski & Oerter, 2018, S. 514)
Alle im Zitat angesprochenen Emotionen sind direkt und indirekt mit Essen verbunden, ebenso wie die Basisemotionen Freude, Trauer, Ekel, Wut, Furcht, Trennungsangst, Überraschung bzw. Interesse oder Neugier, Fürsorge und (sexuelle) Lust (Holodynski, 2014; Holodynski & Oerter, 2018, S. 514). Diese Basisemotionen sind zentrale Einflussfaktoren auf menschliches Handeln und damit auch auf sein Essverhalten.
2.2.2 Ausdrucksformen der Emotionen
Von Geburt an verfügt der Säugling über Emotionen als Reaktion in bestimmten Situationen und differenziert diese Emotionen aus. Dazu gehören Ekel und damit verbundene Reaktionen (u. a. Ausspucken), die aus phylogenetischer Perspektive der Sicherheit vor giftigen Stoffen dienten (
Ein Säugling drückt die jeweilige Emotion mimisch aus. Die Mimik spiegelt wider, wie er die Situation erlebt. Dies geschieht zunächst mit angeborenen Ausdrucksformen, die universell und kulturübergreifend sind. Hingegen ist die mit etwa einem halben Jahr beginnende Emotionsregulierung bereits als Ergebnis von Interaktionen kulturell beeinflusst.
Angeborene Ausdrucksformen für Emotionen sind Distress, Wohlbehagen, Interesse, Erschrecken und Ekel (Holodynski & Oerter, 2018). Vor allem in der frühesten Kindheit sind sie eng mit Essen und Ernährung verbunden:
• Distress: Schreien signalisiert einen dringenden Bedarf, z. B. nach Nahrung, oder auch Schmerz und Unwohlsein, bei Hunger oder Blähungen.
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