so über unser Fach zu sprechen, dass wir Menschen inspirieren. Sie mitnehmen auf die Reise in die Zukunftsmedizin.
Wir müssen lernen Geschichten zu erzählen, die inspirieren und neugierig machen, die noch nicht dagewesene neue Möglichkeiten aufzeigen. Dabei ist es wichtig, immer so konkret wie möglich zu sein. Welchen Nutzen haben Patienten konkret, wenn Sie medizinische Apps verwenden? Warum bedeutet Künstliche Intelligenz im Altenheim nicht, dass dort Roboter Pflegende ersetzen, sondern dass die Pflegerin endlich wieder Zeit für einen Spaziergang mit den Bewohnern hat? Wir brauchen Fortbildungen für Ärzte, damit sie wissen, wie sie digitale Medizin für sich nutzen können und die Vorteile ihren Patienten vermitteln. Zu unseren „New Skills“ muss es gehören, in verständlicher Sprache darüber zu sprechen, wie Patienten und Ärzte profitieren, wenn sie mit uns einen Schritt in die Zukunft gehen.
Literatur
European Center for Digital Competitiveness (Hrsg.) (2020) Digital Riser Report 2020. ESPC Business School Berlin
Institut für Demoskopie Allensbach (2019) „KI und Popkultur“
Körbel A (2020) Mehr Zeit für Menschlichkeit, Brand Eins, 07/20, S. 60f.
Krüger-Brand HE (2019) Digitale Medizin: Antworten auf Zukunftsfragen finden. Deutsches Ärzteblatt 116(43)
Spahn J, Müschenich M, Debatin JF (2016) App vom Arzt. Bessere Gesundheit durch digitale Medizin. Herder Freiburg
Steingarts Morning Briefing, 8. September 2020
Dr. Gerd Wirtz
Gerd Wirtz hat sich mit Leib und Seele der Vermittlung von medizinischem Wissen verschrieben. Der promovierte Neurophysiologe steht seit mehr als 20 Jahren immer dann auf der Bühne, wenn anspruchsvolle Inhalte anschaulich und verständlich verpackt werden sollen. Er wirkt als Moderator und Keynote Speaker auf wissenschaftlichen Kongressen und Fachtagungen. Seine besondere Leidenschaft ist die Digitale Medizin. In seinen Vorträgen und Veröffentlichungen bringt er den Menschen die Chancen der Zukunftsmedizin näher.
8Intuition Peter Simon Fenkart
Die Universalgelehrte Hildegard von Bingen lebte im zwölften Jahrhundert. Mit dem Werk „Causae et curae“ (Ursachen und Behandlungen) (1957), das ihr zugeschrieben wird, setzte sie wissenschaftliche Zeichen. Sie trug das damalige Wissen der Heilkunde zusammen und interpretierte es in einer Weise, die Zeitgenossen als stimmig, nachvollziehbar und praktikabel erschien. Etwas, was gute Wissenschaft auch heute noch leistet, dort, wo sie sich als nutzbar erweisen möchte. Hildegard von Bingen ist bis in die heutige Zeit bekannt, in unserem digitalen Zeitalter. Vielleicht auch deshalb, weil ihre Lehre Elemente enthält, mit denen sich unsere moderne Heilkunde schwertut. Im vorliegenden Beitrag geht es um eine Komponente, die sich gerade in der Zeit der Digital Skills als entscheidend erweisen könnte. Aber kann es wirklich sein, dass unser modernes Gesundheitswesen von Ansichten profitieren kann, die vielfach als längst überholt gelten?
Hildegard von Bingens Werk trug mit dazu bei, dass beispielsweise die Kräuterheilkunde große Anwendung und Verbreitung fand, lange bevor die chemische Analyse von Pflanzenwirkstoffen zur heutigen Pharmazie beitrug. Soweit unbestritten. Interessant im vorliegenden Zusammenhang ist die Methode, mit der damals Erkenntnisse zu Wirksamkeit und Anwendung gewonnen wurden. Klinische Tests mit tausenden Probanden? Doppelblindstudien und Metaanalysen? Keinesfalls – „Überlieferung“, so lautet ein Erklärungsversuch. Doch das ist keine zulässige Methode um Erkenntnisse zu gewinnen, denn irgendwie musste das Wissen ursprünglich geerntet werden.
Versuch und Irrtum, so wird vielfach angenommen, soll dazu geführt haben. Wie sollten wir uns das vorstellen? Eine Person hatte ein Leiden und jemand, der dadurch heilkundig werden sollte, hat einfach gedacht: „Jetzt probiere ich mal Brennnessel aus. Und wenn das nicht wirkt, dann eben alle anderen Kräuter, die es gibt“. Das erscheint nicht wirklich praktikabel. Es muss noch einen anderen Faktor gegeben haben.
Welche seltsame Methode ersetzte damals unzählige Versuchsreihen, automatische Testverfahren und umfangreiche Wirkungsstudien?
Es muss eine Art Spürsinn sein, der beim Untersuchen – hier von Pflanzen – beim Probieren, Schmecken, dem Austesten der Wirkung, genau herausfindet, was sich dabei tut, wie der eigene Körper auf die Probe reagiert. Und der es ermöglicht, anschließend Schlüsse zu ziehen, wie die erlebte Wirkung beim Patienten anzuwenden ist. Eine Vorgehensweise, die in der digitalen Transformation nicht mehr praktikabel ist. Doch es gibt andere Aspekte dieses Sinnes, die sich auch heute noch als unverzichtbar erweisen.
Dieser Sinn muss ganz offensichtlich nach innen gerichtet sein, ins eigene Empfinden. Eine Fähigkeit, die es gerade in der heutigen Zeit schwer hätte, angesichts der gewaltigen Überflutung mit Außenreizen.
Beispielsweise können Patienten vielfach nicht angeben, wo genau ihnen etwas wehtut und wie es sich beschreiben lässt. Bauchweh kann damit so ziemlich jedes Organ zwischen Zwerchfell und Harnleiter betreffen. Angesichts der unzuverlässigen Mitwirkung von Patienten wäre anzuzweifeln, ob sich Diagnosen durch die digitale Transformation generell verbessern lassen, wenn nicht ein massiver apparativer Overkill erfolgt. MRT, CRT und ähnliches bei jedem Wehwehchen?
Es stellt sich die Frage: Ist die medizinische Diagnostik lediglich die Anwendung von erlerntem oder erfahrenen Wissen, also etwas, was sich irgendwann komplett automatisieren und digitalisieren ließe? Oder ist für gute Diagnostik noch weit mehr erforderlich? Was ist mit dem menschlichen Faktor? Ist er nur begrenzend, oder kann er auch Ergebnisse verbessern? Wenn ja, würde dies bedeuten, es gäbe einen Mehrwert, der nur von Menschen erbracht werden kann, nicht von Maschinen. Es lohnt sich, hier genauer hinzusehen.
In der TV-Serie Dr. House ist die namensgebende Person ein Arzt, wie ihn sich viele Fernsehzuschauer wünschen, denn er stellt aus kleinsten, scheinbaren Nebensächlichkeiten treffsicher die abenteuerlichsten Diagnosen. Dr. Jürgen Schäfer an der Uniklinik Marburg ging bereits vor über einem Jahrzehnt in einem Seminar den Fällen der fiktiven Gestalt nach, was von seinen Studenten begeistert angenommen wurde. Heute ist er Leiter des Zentrums für unerkannte und seltene Erkrankungen.
„Für diese Art der Diagnostik muss man sehr sensibel sein“, ist Schäfer überzeugt. „Man muss wahrnehmen, spüren, gut zuhören und auch scheinbar unwichtige Aspekte mit ins Kalkül ziehen.“ (Kleine 2019)
Da haben wir es wieder, schamvoll in der Aufzählung versteckt: „spüren“. Wohl auch deshalb, weil „Spüren“ als Begriff so schlecht fassbar zu sein scheint. Dabei ist es die natürlichste Sache der Welt. Ohne unseren Spürsinn, die Intuition, wären wir verloren in dieser Welt, würden wir nicht verstehen, was wirklich wichtig ist. Bevor Ihr Widerspruchsgeist hier aufsteigt: Ich werde versuchen, diese These im Folgenden zu belegen.
Intuition gilt als zufällig und unzuverlässig, und wird gerade von rationalen Menschen eher abgelehnt. Erst wenn man sich näher mit dieser Gabe beschäftigt, die uns Menschen angeboren ist, beginnt man die Nützlichkeit zu erkennen.
Ein Beispiel: Viele Menschen haben „Einfälle“. Das geht von einer Idee, die plötzlich im Bewusstsein auftaucht, bis hin zum Geistesblitz, begleitet von der Empfindung, dass einem etwas Großartiges „eingefallen“ ist. Normalerweise ist der Verstand, das Bewusstsein, eine Fertigungsstätte, in der Gedanken auf der Werkbank liegen, untersucht und mit anderen Gedanken zusammenmontiert werden. Man nennt das assoziieren und kombinieren. Im Gegensatz dazu taucht ein Einfall einfach so auf, ohne bewusstes Tun. Man kennt das alle aus eigenem Erleben. Interessant ist die Antwort auf eine Frage, die sich kaum einer stellt, der dergestalt beschenkt wurde: Wer oder was hat diesen Einfall ins Bewusstsein geworfen?
Es war die Intuition, unsere Fähigkeit, Informationen aus