Tür müssen Sie schon selbst aufmachen.«
Er klopfte sich den Schmutz so gut es ging von der Kleidung und schwang sich wortlos auf den Beifahrersitz. Thea setzte ihre Sonnenbrille auf, fuhr den Wagen zurück auf die Straße und mit einem kleinen Hüpfer brauste der Käfer davon. Der Mann saß tief in die Polster gedrückt und Thea betrachtete ihn aus den Augenwinkeln.
»Wie heißen Sie eigentlich?«, fragte sie dann so unvermittelt, dass er zusammenschrak. Er war scheinbar eingenickt.
»Roland, Roland Winters!«, antwortete er und versuchte ein Lächeln.
Thea konzentrierte sich auf die Straße, denn es kam ihr gerade ein Lastwagen entgegen, dann meinte sie:
»Freut mich, ich bin Thea Mehrwald.«
Jetzt erst schaute der Mann sie richtig an. Er sah ihr halblanges Haar im Wind flattern und bemerkte die Tränenspuren auf ihrem Gesicht.
»Haben Sie geweint?«, fragte er ohne Umschweife.
Sie sah ihn entsetzt an und murrte, den Blick zurück auf die Straße gerichtet:
»Das geht Sie nichts an!« Eine Zeit lang fuhr sie schweigend, dann lächelte sie und lenkte ein: »Wo soll ich Sie hinbringen?«
Ihr Begleiter hatte mithilfe des Seitenspiegels versucht sein Aussehen etwas zu verbessern, allerdings ohne sichtbaren Erfolg.
»Ich weiß es nicht«, gestand er und blickte Thea unsicher an.
Ohne den Blick von der Straße zu lassen, schnaubte sie: »Was heißt, Sie wissen es nicht? Haben Sie kein Zuhause?«
Herr Winters hob resignierend die Hände. »Ich kenne mich nicht aus, ich bin hier absolut fremd und weiß überhaupt nicht, wie ich in diese Gegend gekommen bin.«
Mit quietschenden Reifen und einem kräftigen Ruck brachte sie den Käfer abrupt zum Stehen.
»Was wissen Sie nicht?«
Sie hatte ihre Sonnenbrille abgenommen und funkelte ihn zornig an. Er war bei ihrem heftigen Bremsmanöver mit dem Kopf gegen die Frontscheibe gestoßen, fasste an seine schmerzende Stirn und stöhnte:
»Oh, Mann! Sind Sie verrückt!«
»Wer hier verrückt ist, das wird sich gleich rausstellen«, fauchte sie, griff über ihn hinweg und öffnete die Tür.
»Verschwinden Sie aus meinem Wagen, aber dalli! Für Landstreicher habe ich nichts übrig!«
Roland Winters sah sie entsetzt an und hob abwehrend die Hände:
»Bitte, lassen Sie mich weiter mitfahren. Ich erkläre es Ihnen. Ich war mit Freunden Kegeln, anschließend sind wir noch in einer Bar gelandet, da hat es mir absolut nicht gefallen, und so habe ich mich in eine andere Bar bringen lassen. Irgendwann bin ich komischerweise in einem Auto wach geworden. Als ich gefragt habe, was los ist, habe ich einen Schlag auf den Kopf gekriegt. Am Straßenrand bin ich schließlich zu mir gekommen. Mein Geld, meine Scheckkarte, meine ganzen Papiere waren weg. Mir war schrecklich schlecht, und so habe ich mich zunächst unter dem Strauch zusammengerollt. Dann sind Sie gekommen. Bitte nehmen Sie mich weiter mit. Ich muss dringend zu Hause anrufen!«
Skeptisch blickte Thea ihn an.
»Das Telefongeld wollen Sie sicher von mir haben?! Wo wohnen Sie denn?«
»In der Nähe von Hannover.«
»Na, ja. Dann ist es ja kein Auslandsgespräch«, meinte Thea lakonisch und startete ihren Wagen erneut.
Von nun an herrschte Schweigen. Thea verfluchte insgeheim ihre soziale Ader. Nun hatte sie diesen Kerl am Hals. Kurzerhand entschloss sie sich, ihn einfach mit zum Wochenendhaus zu nehmen. Dort würde man weiter sehen. Roland Winters drückte sich tief in den Sitz und beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Sie gefiel ihm. Wenn ihm bloß nicht so schlecht wäre.
Mit einem Male stöhnte er: »Anhalten, bitte.«
Bremsen kreischten und der Käfer kam gerade noch rechtzeitig zum Stehen. Winters sprang mit einem Satz heraus und übergab sich im Graben. Missbilligend schaute Thea ihm zu, wartete, bis er zitternd wieder einstieg und fuhr kommentarlos weiter. Sie erreichten eine malerische, an den Berg geduckte Siedlung aus kleinen, hübschen Häuschen. Thea fuhr langsam eine kurvenreiche Straße hoch, bog rechts in einen Hof ein und parkte den Wagen unter einem Abdach.
»Wir sind da!«, sagte sie überflüssigerweise.
Sie wuchtete einen großen Frühstückskorb vom Rücksitz und ging einen schmalen, mit Rosen gesäumten Weg zum Haus. Winters folgte ihr zögernd.
»Na, kommen Sie endlich«, spornte sie ihn ungeduldig an, und als sie im Hausflur standen, wies sie auf eine Treppe:
»Die Treppe rauf, gleich die erste Tür rechts ist das Bad, ich schau mal, ob ich etwas zum Anziehen für Sie finde.«
Er war so verdutzt, dass er ihr noch nachschaute, als sie schon mit dem Korb verschwunden war. Sie steckte den Kopf durch die Tür und fuhr ihn an:
»Nun machen Sie schon, oder meinen Sie, ich serviere Ihnen in dem Aufzug Ihr Frühstück?«
Er beeilte sich und kam aus dem Staunen nicht heraus, als er das Bad betrat. Es war raumhoch gekachelt, modern eingerichtet und verfügte über Dusche und Badewanne. Auf der Konsole fand er alles, was er brauchte, Rasierzeug eingeschlossen. Gerade als er in der gläsernen Kabine den Schmutz von seinem Körper schrubbte, öffnete sich die Tür einen Spaltbreit, ein schlanker Arm legte ein Häufchen Stoff auf den Hocker und Theas Stimme erklang:
»Ein paar Sachen für Sie. Beeilen Sie sich, das Frühstück ist fertig.«
Wie spät war es eigentlich? Ein Blick zu seinem Arm zeigte nur zu deutlich, dass man ihm auch die Uhr gestohlen hatte. Nach dem Duschen rasierte er sich und hoffte, nicht plötzlich mit einem grimmigen Ehemann konfrontiert zu werden. Eigentlich war sie dafür zu jung. Sicher war sie nicht älter als zwanzig. Die Sachen, die sie hingelegt hatten, passten leidlich. Wer der Mann auch war, er war kleiner und dicker. Er kämmte sein dunkles Haar ordentlich und wurde sich schmerzhaft der Beule auf seinem Kopf bewusst, wenigstens blutete die Wunde nicht mehr. Es ging ihm zum Glück nicht mehr schlecht. Im Gegenteil, er freute sich auf das Frühstück. Selbst ohne Uhr wusste er jetzt, dass es bald Mittag sein musste. Langsam ging er die Treppe hinunter. Unten stand eine Tür offen und Theas Stimme erscholl aus einem Raum, wahrscheinlich war das die Küche:
»Mein Gott, Sie brauchen aber lange.«
Entschlossen ging er hinein. Es war wirklich die Küche, modern mit allem Schnick- Schnack ausgestattet. In einem hübschen Erker aus Glas, der aussah wie ein kleiner Wintergarten mit Blick auf einen grünen Hang, stand ein runder, reich gedeckter Holztisch mit bequemen Stühlen. Thea hatte gerade Kaffee eingeschenkt. Roland Winters blieb stehen.
»Wunderschön haben Sie es hier!«, meinte er anerkennend.
Thea wies auf einen Stuhl, auf dem er Platz nehmen sollte.
»Schön, dass es Ihnen gefällt. Möchten Sie Orangensaft?«
Winters setzte sich und nickte. »Ja, danke. Sie haben ein tolles Frühstück zusammengestellt. Machen Sie das immer so.«
Thea lachte. »Klar doch! Immer wenn ich jemanden auf der Straße auflese!«
Sie frühstückten schweigend. Winters stellte fest, dass seine Retterin sich umgezogen hatte, und ihr Haar war ordentlich gekämmt. Es war fast schulterlang, glatt und hatte die Farbe von frischreifen Nüssen. Ihr Gesicht war schmal, und Augen hatte sie, von einem ganz hellen Blau mit einem dunklen Rand um die Iris, aber irgendetwas machte ihren Blick dunkel und traurig. Das Lächeln erreichte ihre Augen nicht.
Thea hatte festgestellt, dass ihre Zufallsbekanntschaft jetzt nach der Dusche recht sympathisch aussah, und war erfreut, mit welch großem Appetit er zugriff.
Irgendwann erdrückte sie das Schweigen.
»Wenn Sie telefonieren möchten, das Telefon steht in der Diele neben der Eingangstür.«
Er