Harry Kämmerer

Dunkle Seite - Mangfall ermittelt


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halbe Stunde später wieder in die Halle kommt, ist der Wagen bereits weg. Auf einer Europalette liegt der ausgebaute Motor. Franz bedient gerade die Schrottpresse.

      „Hey!“, ruft Augustin über die mahlenden Geräusche der Presse und reicht Franz ein Kaffeehaferl. Der nickt, nimmt einen tiefen Schluck. Prustet den Kaffee wieder raus. „Scheiße, ist das heiß!“

      Augustin lacht. „Sollte Kaffee sein, du Warmduscher.“

      „Selber Warmduscher.“ Vorsichtig nippt Franz nochmal und nimmt dann einen großen Bissen von seinem Schinkenbrot. „Wow, geil!“, schmatzt er zufrieden.

      Sie warten, bis die Presse ihren Job erledigt hat und vom Toyota nur noch ein Kubikmeter Stahl, Blech und Kunststoff übrig ist. Mit dem Hebekran befördert Franz den Block in einen der vielen Schrottcontainer.

      „Schade eigentlich“, sagt Augustin, „das sind nicht die schlechtesten Kisten, diese Toyotas.“

      „Naja, es bleiben Joghurtbecher.“

      „Ich versteh dich nicht, Franz. Du magst die Kisten nicht, hast aber Probleme damit, das Ding plattzumachen?“

      „Für die Kiste hätten wir lässig noch zwei bis drei Mille bekommen. Und wenn ich die Mühlen dreimal nicht mag. Die haben keine Seele.“

      „Woher willst du das wissen?“

      „Das spürt man doch sofort, wenn man drinnen sitzt. Die ganze Plastikscheiße hat keine Seele. Merkst du das nicht?“

      „Nein. Außerdem kommt es auf den Inhalt an, nicht die Verpackung. Der Fahrer macht den Unterschied. Boh, ich brauch jetzt unbedingt ein Bier. Für meine Seele.“

      20 Meter

      Josef ist unterwegs. Er war noch nicht mal im Büro, als um halb acht morgens der Anruf kam. Ein Kollege von der Verkehrspolizei hat ihn informiert, dass schon wieder jemand überfahren wurde – am selben Ort wie gestern! ‚Das kann kein Zufall sein!‘, denkt Josef auf dem Weg nach Neuperlach. Erst mal allein. Die Kollegen kann er später dazu holen, wenn er sich die Sache angesehen hat.

      Schon bald erreicht er die Wohntürme. Die Quiddestraße ist abgesperrt. Er sieht hinüber zur Nummer 4. Viel näher geht nicht. Was bedeutet das? Hat das was mit ihrem Fall zu tun? Das Unfallopfer liegt gerade mal 20 Meter von der Rampe des Parkdecks entfernt auf der Straße vor Hausnummer 6.

      Josef schlüpft unter den Absperrbändern durch und zeigt seinen Polizeiausweis.

      Der Kollege Herbert Müller von der Verkehrspolizei, der ihn informiert hat, winkt ihn zu sich. „Servus Josef, ich dachte, das hier interessiert dich.“

      „Hubert, danke. Wir hatten gestern einen Toten bei dem Parkdeck da drüben.“

      „Deswegen hab ich dich angerufen. Mal so generell – wegen dem Fall gestern: Seit wann interessiert ihr euch für Unfall mit Fahrerflucht?“

      „Du, das ist noch nicht an die Presse raus, aber es handelt sich bei dem Opfer gestern um den Mann, der mehrere Menschen vor einfahrende U-Bahnen geschubst hat. Und das hier sah nicht wirklich nach einem Unfall aus, eher nach Vorsatz. Da ist jemand die Parkrampe runtergerast, um jemanden umzufahren. Und jetzt passiert das Gleiche ein paar Meter weiter noch einmal.“

      „Wir haben hier keine Bremsspuren.“

      „Wie gestern. Wer ist das Opfer?“

      „Carsten Wiesinger. Laut Ausweis in seiner Tasche.“

      „Wohnt der hier?“

      „Wir haben den Namen gecheckt. Laut Melderegister wohnt er in der Nummer 6.“

      „Schlüssel?“

      „Müssen wir schauen.“

      Sie gehen zu dem abgedeckten Leichnam. Müller schlägt die weiße Plane zur Seite. Josef hält die Luft an. Nicht schön. Und ein bisschen Déjà-vu. Weit aufgerissene Augen, große Platzwunde an der Stirn. Erstaunen im Gesicht. Sonst ein Dutzendgesicht, ebenmäßig, leichter Bartschatten, kurze dunkelbraune Haare. Müller greift in die Taschen der schwarzen Lederjacke. Er findet einen Schlüsselbund und reicht ihn Josef. „Probier dein Glück.“

      „Mach ich. Vielen Dank.“

      Josef geht zu Haus Nummer 6. Der Wohnblock sieht haargenau so aus wie der, in dem ihr U-Bahn-Attentäter gewohnt hat. Ein komischer Gedanke geht ihm durch den Kopf. Liegt hier eine Verwechslung vor? Naja, die Ähnlichkeit zwischen den beiden ist nicht allzu groß. Aber in tiefer Nacht? War das der zweite Anlauf nach einem ersten missglückten Versuch? Josef studiert das umfangreiche Klingelboard und sucht Wiesinger. Findet den Namen nicht. Mehrere Klingeln haben kein Namensschild. Na super.

      Gerade kommt eine ältere Dame mit ihrem Pinscher aus dem Haus.

      „Entschuldigung, darf ich Sie etwas fragen?“, wendet sich Josef an die Frau.

      „Ich bitte um unsittliche Angebote.“

      „Wie bitte?“

      „Junger Mann, wie kann ich Ihnen helfen?“

      „Es geht um einen Ihrer Nachbarn. Carsten Wiesinger. Kennen Sie den?“

      „Mei, der Herr Wiesinger, so ein netter Mann. Ein wunderbarer Nachbar, so ruhig und hilfsbereit. Der hat mir mal geholfen, als der Abfluss in der Küche verstopft war. Mir ist der Beutel mit dem Gries aufgeplatzt und ich dachte, ich kann das einfach runterspülen. Aber das Zeug quillt ja so stark auf. Ich dachte schon, dass das Rohr platzt, aber der Herr Wiesinger hat das super hingekriegt. Also, wie der den Syphon ausgebaut hat, was da alles in dem kleinen Stück Rohr drin war! Das glauben Sie ja nicht! War mir schon ein bisschen peinlich.“

      „Aha“, sagt Josef und räuspert sich.

      Doch die Dame lässt sich nicht beirren: „So geschickt, der Herr Wiesinger. Sind die jungen Leute ja heute oft nicht mehr. Der Herr Wiesinger hat so einen Drahtbügel von der Reinigung aufgebogen und ist damit in das Rohr rein. Also, wie gesagt, was da alles drin war! Das Zeug wird ja so richtig fest, wenn es jahrelang in dem Rohr ist. Vor allem Fett. Und die Farbe! Gruselig! Also, jedenfalls war da nicht nur der Gries drin …“ – „Äh ja, sehr interessant, wo wohnt denn der Herr Wiesinger?“

      „Ganz oben, ich wohn genau unter ihm. Was wollen Sie denn von dem Herrn Wiesinger?“

      „Ich hab Probleme mit dem Syphon.“

      „Junger Mann!“

      „Entschuldigung. Ich war, äh … ich bin mit Herrn Wiesinger verabredet, aber er macht nicht auf. Ich häng ihm einen Zettel an die Tür.“

      „Hängen?“

      „Naja, kleben. Äh, mit Tesafilm.“

      „Mit Tesafilm ist nicht erlaubt.“

      „Äh …?“

      „Das steht in der Hausordnung. Also, dass keine Plakate oder Notizen an Wände oder Türen geklebt werden dürfen.“

      „Sehr schön. Ich hab auch keinen Tesafilm dabei. Ich leg den Zettel auf die Matte.“

      „Haben Sie denn kein Handy?“

      „Nein, ich mag die Dinger nicht.“

      „Sollten Sie aber. Die Dinger sind so praktisch. Aber fühlen Sie sich frei, junger Mann. Und sagen Sie, ist da vorn etwas passiert?“

      „Ich glaube, ein Unfall.“

      „Hoffentlich nichts Schlimmes.“

      „Bestimmt nur Blechschaden.“

      „Na hoffentlich.“

      Josef atmet tief durch, als die Tür hinter ihm ins Schloss fällt. Er ist leicht verwirrt. Warum diskutiert er eigentlich lang und breit mit der Frau, wenn er doch selbst einen Haustürschlüssel hat? Ganz einfach – weil er sonst alle Wohnungen ohne Klingelschild abklappern müsste.

      Er fährt