Harry Kämmerer

Dunkle Seite - Mangfall ermittelt


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riecht nach frischer Farbe.

      Er macht Licht. Alles weiß. An dem Lichtschalter klebt ein vergessener Streifen Tesa-Krepp. Zwei Zimmer, Küche, Bad. Alles leer, keine persönlichen Gegenstände. Auf dem Klospülkasten steht eine halbe Rolle Klopapier als einziges Lebenszeichen. In den Küchenschränken keine Gläser, kein Geschirr, kein Besteck, keine Lebensmittel, nichts. Spülbecken blitzsauber, unter der Spüle kein Schwamm, keine Putzmittel. Alles clean, übergabefertig. Josef denkt an einen Tatortreiniger. Der hätte jedenfalls einen guten Job gemacht. Aber der Tatort ist da unten auf der Straße.

      Er tritt auf den Balkon raus, sieht auf die Quiddestraße. Dort wird gerade der Leichnam in einen Bestattungswagen geschoben. Unter den Schaulustigen ist auch die Dame mit Hund. ‚Hoffentlich ist die Leiche ordentlich abgedeckt‘, denkt Josef, ‚sonst wundert die sich, was ich hier will.‘ Ihm fällt ein dunkler Mercedes auf dem Parkdeck auf. Das Fenster auf der Beifahrerseite ist offen. Er sieht das Teleobjektiv. Presse? Nein, die hätten keine Hemmungen, den Polizisten auf die Pelle zu rücken. Lichtreflex. Das Objektiv zeigt nach oben, in seine Richtung. Er zuckt zurück. Sehen die zu ihm hoch? Warum? Was ist da los?

      Er späht aus dem Küchenfenster nach unten, greift zum Handy. „Hubert, da steht ein schwarzer Mercedes auf dem Parkdeck. Die machen Fotos. Kannst du das überprüfen? Ob das Leute von der Presse sind?“

      „Okay, ich geh rüber. Bist du in seiner Wohnung?“

      „Ja.“

      „Alles in Ordnung da?“

      „Wie man’s nimmt. Alles leer geräumt. Erzähl ich dir später. Schaust du nach dem Wagen? Ich bleib am Handy, ich hab euch im Blick.“

      Josef sieht, wie sein Kollege zum Parkplatz rübergeht. Das Teleobjektiv verschwindet im Wageninneren, die dunkle Scheibe geht hoch.

      „Der schwarze Mercedes vorne rechts“, sagt Josef ins Handy. Kaum hat er es ausgesprochen, parkt der Mercedes aus.

      „Was soll ich machen, ihn aufhalten?“, fragt Müller.

      Josef zögert. „Nein, merk dir die Nummer.“

      Josef sieht, wie Müller zur Seite tritt und der Mercedes die Rampe hinabgleitet, nach rechts in die Straße einbiegt und verschwindet.

      „Ich komm runter“, sagt Josef ins Handy und verlässt die Wohnung.

      Müller erwartet ihn am Hauseingang.

      „Hast du wen erkannt?“, fragt Josef.

      „Nein. Stark getönte Scheiben. Presse?“

      „Keine Ahnung. Aber offenbar Leute, die das Unfallopfer kannten. Die haben mit dem Tele zu mir hochgeschaut. Also wissen sie, wo das Opfer gewohnt hat.“

      „Bist du dir sicher?“

      „Ja.“

      „Was ist da oben in der Wohnung?“

      „Nichts. Frisch gestrichen. Komplett leer. Der einzige persönliche Gegenstand ist eine angerissene Rolle Klopapier.“

      „Das ist nicht viel. Fast gar nichts.“ Müller lacht.

      Josef zuckt mit den den Achseln.

      „Was hast du jetzt vor?“, fragt Müller.

      „Ich klär das mit den Zuständigkeiten. Aber ich glaub nicht, dass das eine Sache für euch von der Verkehrspolizei ist. Zwei Unfälle mit Fahrerflucht an fast derselben Stelle. Zweimal ohne Bremsspuren. Und dann die Typen mit dem Tele in dem Mercedes. Hast du die Autonummer?“

      „Oh, Scheiße!“

      „Jetzt nicht dein Ernst?!“

      Müller nickt traurig.

      „Oh, Mann!“

      Müller grinst. „M BB 1218.“

      „Danke, du Spaßvogel.“

      „Gibst du mir Bescheid, wenn ihr was rauskriegt über das Opfer?“

      „Logisch, Hubert.“

      Josef notiert sich die Autonummer und fährt ins Präsidium.

      Dort hat er keine Gelegenheit, das Kennzeichen zu überprüfen, denn in seinem Büro wartet bereits Dr. Aschenbrenner. „Ich hab’s mir schon mal gemütlich gemacht“, begrüßt er Josef.

      „Kaffeechen?“

      „Danke, nein. Wo kommen Sie jetzt her?“

      „Aus der Quiddestraße.“

      „Seit wann sind wir für Unfall mit Fahrerflucht zuständig?“

      „Seit gestern. Das war kein Unfall, das war Vorsatz. Der Typ wurde vorsätzlich umgefahren.“

      „Ich rede von heute.“

      „Ein ganz ähnlicher Fall. 20 Meter vom gestrigen Tatort weg. Wieder keine Bremsspuren. Das ist kein Zufall.“

      „Hirmer, die Wohnungsschlüssel bitte.“

      „Bitte?“

      „Die Wohnungsschlüssel von diesem Wiesinger.“

      „Die hab ich wieder …“, – er greift in die Jackentasche – „oh, die hab ich doch tatsächlich mitgenommen.“

      „Hirmer, ich hab bereits mit Müller telefoniert. Ich hab auch versucht, Sie zu erreichen. Warum gehen Sie nicht ans Handy?“

      „Lautlos gestellt.“

      „Lautlos. Gutes Stichwort. Wir ziehen uns lautlos aus der Nummer raus.“

      „Warum?“

      „Da spielen die großen Jungs.“

      „Was soll das heißen?“

      „Dass der Staatsschutz übernimmt.“

      „Was will denn der Staatsschutz bei der Sache? Haben wir es hier mit politisch motivierter Kriminalität zu tun?“

      „Die werden ihre Gründe haben und sie uns nicht unbedingt erläutern wollen. Hirmer, Sie kümmern sich bitte ausschließlich um den U-Bahnschubser.“

      „Aber es gibt doch Parallelen zwischen den zwei Fällen!“

      „Ach, kommen Sie! Zufällig derselbe Ort, dieselbe Todesart. Ich sag’s Ihnen, dieser U-Bahnschubser war ein Einzelgänger.“

      „Und dieser Wiesinger?“

      „Hirmer, nochmal: Finger weg! Müller hat von seinem Chef die gleiche Ansage bekommen. Wir sind weisungsgebunden. Kümmern Sie sich um den U-Bahn-Heini, den anderen übernehmen die Kollegen vom Staatsschutz. Und falls die unsere Unterstützung brauchen, werden sie auf uns zukommen.“

      „Ich freu mich schon.“

      Als Aschenbrenner sein Büro verlassen hat, sinkt Josef in seinen Bürostuhl. So ein Mist! Werden sie einfach aufs Abstellgleis geschoben, vom Ermitteln abgehalten. Lässt er sich das gefallen? Er denkt nach. Staatsschutz? Was ist dieser Wiesinger für ein Typ, was hat er gemacht? Und warum interessiert sich jemand außer ihnen noch für einen ‚Unfall mit Fahrerflucht‘? Das stinkt doch zum Himmel!

      Das Wort ‚lautlos‘ arbeitet in seinem Kopf. Nein, er wird sich nicht aus dem Fall zurückziehen, sondern geräuschlos daran weiterarbeiten. Mit den Kollegen. Es kann doch nicht sein, dass Asche es ernst meint damit, dass die Übereinstimmungen bei den beiden Fällen nicht zu beachten sind. Das ist eins der Kernprinzipien ihrer täglichen Arbeit: auf Strukturen achten, Parallelen, Widersprüche. Es liegt doch auf der Hand: Die beiden Personen sind nach demselben Muster, wahrscheinlich von demselben Auto mit demselben Fahrer überfahren worden. Aus welchen Gründen auch immer. Vielleicht war es im ersten Fall ein Irrtum, eine Verwechslung. Aber warum? Über den U-Bahnschubser wissen sie schon ein paar Details. Über das neue Opfer noch gar nichts. Er tippt die Autonummer des schwarzen Mercedes in die Suchmaske. Kein Treffer. Alles klar. Oder eben nicht. Presse war das jedenfalls nicht. Staatsschutz?