Roman Sandgruber

Traumzeit für Millionäre


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den von ihm zusammen mit Conrad Freytag erworbenen Patenten für Eiseneinlagen in Zement als der bedeutendste Pionier des deutschen und österreichischen Stahlbetonbaus. 1903 übersiedelte Wayss von Berlin nach Wien, wo er die Firma G. A. Wayss & Cie. gründete und zum k. k. Baurat ernannt wurde. Besonders eng verbunden war er mit Waidhofen an der Ybbs, das er zu seinem Sommersitz wählte.

      Für Baumeister waren Netzwerke und familiäre Kontinuitäten wichtig. Im Jahre 1902 gründete der junge Baumeister Felix Sauer seine eigene Baufirma. Er stammte aus einer alten Baumeisterfamilie und errichtete bis zum 1. Weltkrieg eine umfangreiche Zahl von größeren privaten und öffentlichen Gebäuden. Sein Onkel Alois Schu(h)macher war einer der bedeutendsten Baumeister der Ringstraßenära, der vor allem für den kommunalen und infrastrukturellen Bereich arbeitete. Baurat Ferdinand Dehm war Architekt, Hofbaumeister und liberaler Politiker. Die Firma war mit der Errichtung zahlreicher öffentlicher und privater Gebäude und im Geschäft mit Grundstücken sehr erfolgreich. Beide Söhne des Baumeisters Franz Glaser sen. übernahmen das Gewerbe ihres Vaters. Nach dem Tod des Vaters gründeten die Brüder die gemeinsame Baufirma „Heinrich und Franz Glaser“. Heinrich scheint der dynamischere und kaufmännisch präsentere der beiden Brüder gewesen zu sein. Er ist es, der in den verschiedenen Standesvertretungen aufscheint, ebenso engagierte er sich – wie der Vater – in der Gemeinde Dornbach. Die guten Kontakte, die schon seit Franz Glaser sen. zu der Familie Rothschild bestanden, konnten von den Söhnen noch vertieft werden. Neben verschiedenen Adaptionen und Umbauten in Wien waren sie vor allem mit der Bauausführung des Rothschild-Schlosses Reichenau an der Rax betraut. Wie die Brüder Glaser setzte auch Julius Goldschläger ganz auf einen konservativen, dem Historismus verbundenen Architekturstil, unbeirrt von neueren Strömungen, etwa um Otto Wagner und den Jugendstil. Auch Karl Hofmeier entsprach dem Repräsentationsanspruch des Großbürgertums und verstand es, diesen mittels des alle Möglichkeiten des Späthistorismus nutzenden bauplastischen „Gesamtkunstwerks“ wirkungsvoll in Szene zu setzen. Eduard Frauenfeld, der 1897 die Firma Frauenfeld & Berghof gegründet hatte, errichtete vor allem Gebäude, die von anderen Architekten geplant wurden.

      Der Stadtbaumeister Wenzel König erbaute für die Gemeinde Wien und den Staat Kasernen, Schulen, Krankenhäuser und Ähnliches; nach 1900 galt er als einer der größten Baumeister Wiens. König trat auch selbst als Bauherr auf und schuf sich einen ansehnlichen Immobilienbesitz, dessen Administration er selbst übernahm. Auch Anton von Krones, Edler von Lichtenhausen, aus ärmlichen Verhältnissen stammend, arbeitete sich vom Maurergehilfen zum Polier hoch und erwarb Baugründe, zum Beispiel 350 Parzellen nördlich der Schmelz, mit der Absicht, ein neues Stadtviertel zu errichten. Kajetan Miserowsky, der das gemeinsame Bauunternehmen Luckeneder & Miserowsky zu einem der florierendsten Betriebe in der Baubranche machte und es nach dem Tod Oswald Luckeneders im Jahr 1900 unter seinem Namen alleine weiterführte, war so bekannt, dass er immer wieder zu literarischen Ehren kam, etwa in Heimito v. Doderers Strudlhofstiege.

      Besondere Erwähnung verdienen Karl König und Wilhelm Stiassny. Karl König, aus armen Verhältnissen in Pressburg stammend, 1878 aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten und konfessionslos, war Professor der Baukunst des klassischen Altertums und der Renaissance an der Technischen Hochschule Wien. Sein vielleicht bekanntestes Bauwerk ist das Haus der Industrie, das 1906 bis 1910 nach seinen Plänen errichtet und am 5. März 1911 durch Kaiser Franz Joseph feierlich eröffnet wurde. Ende 1905, als man erste Kostenschätzungen vornahm, ging man von 900.000 Kronen aus, dann von 2,2 Millionen, am Ende waren es knapp drei Millionen. König sollte als Honorar 4,5 Prozent der Baukosten erhalten. Aufgrund der gewaltigen Baukostenüberschreitungen hätte sich sein Honorar entsprechend erhöht. Man einigte sich schließlich bei der Endabrechnung auf ein Honorar von 94.299,14 Kronen.189 Nicht in die nähere Auswahl für das Industriehaus und auch nicht unter die Millionäre gelangte der Architekt des gegenüberliegenden, ebenfalls neobarocken Hauses der Kaufmannschaft, Ernst von Gotthilf. Er war der Architekt zahlreicher Bankgebäude, etwa des Bankvereins in der Schottengasse, der Länderbank am Hof und der Creditanstalt auf der Freyung.

      Baurat Wilhelm Stiassny war der Architekt des jüdischen Wien: Er war einer der meistbeschäftigten und am besten vernetzten Architekten Wiens und fungierte 1878 – 1900 auch als Vertreter der jüdischen Interessen im Wiener Gemeinderat. Er zeichnete neben zahlreichen Profanbauwerken auch für eine Reihe jüdischer Kultbauten im Raum der gesamten Habsburgermonarchie verantwortlich. So errichtete er die Synagoge von Časlav (1899), die Synagogen in der Prager Vinohrady (Weinberge) und Jerusalemstraße, in Gablonz (Jablonec nad Nisou) sowie Malacky und lieferte auch die Entwürfe für die Synagoge von Teplitz-Schönau, damals die größte in Europa.190 In Wien selbst waren es weniger Synagogen als zahlreiche Wohlfahrtsinstitutionen: Dem liberalen Wiener Judentum erschien sein maurisch-orientalischer Synagogenstil wahrscheinlich zu fremdartig. Nur die Polnische Synagoge („Polnische Schul“) in der Wiener Leopoldgasse (1892/​93) und die Zeremonienhalle für die Israelitische Abteilung beim ersten Tor des Wiener Zentralfriedhofs konnte er hier realisieren. Vor allem arbeitete er für Rothschild und Königswarter, in deren Auftrag er zahlreiche Spitäler, Blindeninstitute, Altersheime und Waisenhäuser in und außerhalb Wiens errichtete. Der renommierte Zionist engagierte sich auch als Begründer des jüdischen Museums in Wien und entwarf 1909, ohne je in Palästina gewesen zu sein, einen schließlich doch nicht verwirklichten Bebauungsplan für Tel Aviv.191 Stiassny war mit Julia Taussig verheiratet, einer Tochter des mächtigen Bankmanagers Theodor Taussig. Das mag nicht nur für sein Einkommen, sondern auch für seine Beziehungen von Vorteil gewesen sein, was Karl Kraus zu der boshaften Bemerkung veranlasste, dass er fast jeden Tag mit Genugtuung aus der Neuen Freien Presse erfahren könne, „dass er hier und dort zugegen war“.192

      In einer speziellen Nische arbeitete Wilhelm Beetz. Er war mit öffentlichen Bedürfnisanstalten reich geworden. Aus einer Familie von preußischen Landwirten und Mühlenbesitzern stammend, begann er 1883 mit der Errichtung öffentlicher Bedürfnisanstalten auf Basis seines patentierten Ölsystems Beetz. Die Aufstellung und der Betrieb erfolgten auf Grund eines zwischen ihm und der Gemeinde Wien 1883 auf zehn Jahre abgeschlossenen und dann verlängerten Vertrages. Seine Öl-Pissoire waren winterfest und wassersparend. Im Jahre 1906 schloss er mit der Stadt Budapest einen ähnlichen Vertrag ab. Die Beetz‘schen Toiletteanlagen wurden bald auch in Baden, Fiume, Triest, aber auch im Ausland (bis nach Johannesburg) errichtet. 1904 erbaute er auf dem Graben die erste unterirdische Bedürfnisanstalt in Wien. Wegen des notwendigen Erdaushubs und der besonders aufwendigen Innenausstattung mit feinen Hölzern, geschliffenen Gläsern, Dekor-Waschtischen und speziellen Armaturen betrugen die Baukosten die horrende Summe von 74.000 Kronen, wovon die Stadt Wien 32.000 Kronen zuschoss.193 Dafür ist sie auch denkmalwürdig geworden.

      „Raum für alle hat die Halle“, sagt der Hotelportier Rosenstock in Schnitzlers Weitem Land. In den Hallen der Grandhotels gab es zwar keine Unterschiede nach Rang, Stand oder Religion. Aber viel Geld musste man haben. Das Fin de Siècle war die Zeit der teuren Grandhotels, in den großen Städten und in den Kurorten und Zentren der Sommerfrische: am Semmering, im Salzkammergut, am Wörthersee, im böhmischen Bäderdreieck und an der Adria. Ihre Namen sind bis heute in der österreichischen Kultur- und Gesellschaft präsent: das Imperial, das Sacher, das Bristol, das Ambassador, das wiedererstandene Grandhotel am Ring, das Pupp in Karlsbad, das Südbahnhotel und das Panhans am Semmering, die Hotels in Gastein, am Wörthersee oder in Abbazia, auf der Insel Brioni und in den Dolomiten, und eben auch das fiktive Hotel des Dr. von Aigner am Völser Weiher. Es waren die Orte der Reichen. Sie sollten sich im Palasthotel wie im eigenen Palais zuhause fühlen, mit geräumigen Suiten, repräsentativen Speise- und Tanzsälen, mit Bibliothek und Spielzimmer, mit Spiegeln und Marmor, Tennisplatz und Park, livrierten Dienern und adretten Zimmermädchen und einem eilfertigen Direktor, der stets zu Diensten war.194

      Die Hotelbesitzer und Hotelmanager waren feine Herren. Es ging um sehr viel Geld und um sehr feine Gäste. Einige der Hoteliers konnten es sehr schnell zu hohem Einkommen bringen: vom Tellerwäscher zum Millionär, vom Kellner oder Koch zum Grandhotelier. 15 der 929 Wiener Millionäre sind dem Hotel- und Gastgewerbe zuzurechnen. Doch es fällt auf: Dieser Reichtum konnte sich sehr rasch wieder verflüchtigen. Kaum einer der Hotelmillionäre des Fin de Siècle konnte es zu dauerhaftem