Roman Sandgruber

Traumzeit für Millionäre


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Villen mit Lufthütten, Kegelbahn, Pferdegestüt und Pferderennbahn, Tennisplätzen und Rollschuhhalle. Das Management, das der mehr als Lebemann denn als Betriebswirt bekannte Graf selbst leisten wollte, war wohl nicht das beste. Mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges blieben die Gäste aus. Nach dem Ausgleichsverfahren blieb nicht viel übrig. Am Wörthersee war es der Wiener Porzellanfabrikant und Warenhausbesitzer Carl Ernst Wahliß, der ab 1872 zahlreiche Liegenschaften erwarb und rund um das Schloss Velden und in Pörtschach ein großes Tourismusimperium mit Hotel- und Villenbauten, Badeanstalt und Tennisplätzen aufbaute. Das zog eine ganze Reihe von Wiener Millionären an: Die Familie Urban legte sich mehrere Villen in Pörtschach zu, ebenso die Familie Berndt. Helene Kern hatte eine Villa in Velden, Carl Littmann das dortige Seeschlössl. Graf Douglas Thurn-Valsassina errichtete 1891 – 97 das Hotel Wörthersee in Klagenfurt.198

       Das Nonplusultra aller Kurhotels der Habsburgermonarchie: das Pupp in Karlsbad. Ansichtskarte, um 1900.

      Um 1900 wurde die Adria entdeckt. Der Geschmack der Badegäste begann sich zu ändern: Nicht mehr die kalte Nordsee, sondern das warme Mittelmeer wurde zum bevorzugten Erholungsraum. Von Grado über Brioni, Abbazia, Rab und Lussin (Lošinj) bis nach Dubrovnik wurde die österreichische Adria erschlossen.199 1895 war die Erste Österreichische Hôtel- und Curorte AG Ragusa-Cattaro gegründet worden, die das Hotel Imperial in Ragusa betrieb und Gründe in Lapad bei Ragusa besaß. Ein Wiener namens Wilhelm Lerch, über den recht wenig bekannt ist, der aber 1910 ein Jahreseinkommen von über 100.000 Kronen versteuerte, kam 1911 nach Dubrovnik und kaufte den Palast der Familie Dor ˜dić, den die Einheimischen auch Piccola Venezia nannten. Im Jahre 1912 begann Lerch mit dem Umbau des Schlosses in ein Hotel, dem er den Namen Weißes Schloss (Bijeli dvorac) gab und das über 73 Betten verfügte. Nach dem 1. Weltkrieg und dem Zerfall der Österreich-Ungarischen Monarchie verkaufte Lerch das Hotel. Heute wird es unter dem Namen Grand Hotel Lapad geführt.

      So wie die Südbahngesellschaft Abbazia von 1883 an praktisch aus dem Nichts zu einem Weltkurort hochgezogen hatte, mit prunkvollen Hotels, 15 Kilometer langer Promenade, Grandhotels, Kursalon, Theater, Straßenbahn etc., so schwebte es Paul Kupelwieser mit Brioni vor: 1893 kündigte er seine Stellung als Generaldirektor in Witkowitz und begann etwas ganz Neues. Er kaufte für 75.000 Gulden die von Malaria verseuchten und von undurchdringlicher Macchie bedeckten Brioni-Inseln. Er investierte ein Vielfaches des Kaufpreises, machte die Inseln malariafrei, baute Hotels, ein Strandbad und das erste Winterschwimmbad an der österreichischen Riviera, legte eine submarine Wasserleitung vom Festland und schuf Einrichtungen für die eigene Wein- und Milchversorgung. Der habsburgische Hochadel, Wiener Millionäre, Künstler und die Offiziere aus dem nahen Kriegshafen Pula bildeten die illustre Gästeschaft. Der Thronfolger Franz Ferdinand fand eminenten Geschmack an der Insel und bedrängte Kupelwieser, sie ihm zu überlassen. Deren Wert war inzwischen auf 30 bis 35 Millionen Kronen angestiegen.200 Der Höhenflug endete nach 1918. 1930 beging sein Sohn und Erbe ob der verzweifelten Lage Selbstmord.

      Prinz Alexander von Thurn und Taxis, der Schloss Duino von Prinz Friedrich von Hohenlohe erworben hatte, machte Sistiana ab 1898 zu einem Seebad mit Promenaden, Tennisplätzen, Radwegen und elektrisch beleuchteten Hotelanlagen. In Portorose übte der Grazer Bierbaron Hans von Reininghaus eine ähnliche Funktion aus. So wurde die österreichische Riviera innerhalb der drei letzten Jahrzehnte vor dem Weltkrieg zum führenden Erholungs-Resort Zentraleuropas. Während in Abbazia um 1910 fast die Hälfte der Gäste aus Ungarn kam und nur 17,5 Prozent aus Wien und Niederösterreich, war Brioni ganz wienerisch. Es war nicht das größte, aber das eleganteste Seebad. Es war auch das wienerischste Seebad. Das ganze Jahr über war Prominenz aus Hochadel, Politik, Wirtschaft und Kultur anzutreffen. Der Erste Weltkrieg beendete den Höhenflug recht abrupt. Die nachfolgende Hyperinflation brachte noch eine kurze Scheinblüte. Doch der Niedergang war nicht aufzuhalten, weder in Brioni und Abbazia noch am Semmering oder im Salzkammergut.

      Viel Geld ließ sich auch in Groß- und Nobelgasthäusern verdienen: Stadtbekannt waren Josef Dombacher als Pächter des Wiener Rathauskellers, Friedrich Kargl mit dem Restaurant im Deutschen Haus, der Restaurateur Paul Hopfner mit zwei Lokalen in der Innenstadt und dem Parkhotel Schönbrunn in Hietzing und der Südbahnhofwirt Ludwig Schneider, bekannt als Vater der von Arthur Schnitzler verehrten Thalhofwirtin Olga Waissnix. „Na gehn mir halt zum Hopfner.“ … „Kommst also nachher zum Hopfner!“ sind Stehsätze aus Karl Kraus’ Weltuntergangsdrama Die letzten Tage der Menschheit. Auch das „Schwarze Kamel“ in seiner Mischung aus Feinkosthandlung, Stehbuffet und Restaurant machte seinen Besitzer Franz Josef Stiebitz reich. Der Rathauskeller war 1898/​1899 als Repräsentationsobjekt der neuen Lueger-Verwaltung errichtet worden, mit Schwemme, Ratskeller, Ratsstübchen und Volkskeller. Die Ausstattung war modern, aber nicht radikal, als erstes großes Ausstattungsprojekt des Wiener Jugendstils durch Heinrich Lefler und Joseph Urban. Das machte seinen Erfolg aus.201

      Das Fin de Siècle war die große Zeit der Kaffeehäuser, an der Ringstraße, in der Innenstadt, aber auch in den Vorstädten. Um 1900 gab es in Wien mehr als 600 Kaffeehäuser. Dass nur ein einziger Kaffeehausbesitzer zu den ganz hohen Einkommen aufschließen konnte, mag vielleicht verwundern, kann aber doch nicht überraschen. Kaffeehäuser waren Orte des Konsums, aber des kleinen Konsums, wo man stundenlang mit Reden und Lesen bei einem kleinen Braunen und einem Glas Wasser verbringen konnte. Da brauchte es schon ein Marketinggenie wie Ludwig Riedl, den Besitzer des Café de l’Europe am Stephansplatz, um Großverdiener zu werden. Riedl, der Lieblingsgegner von Karl Kraus und Mann mit den meisten Orden Wiens, hatte sein Café zum beliebtesten Treffpunkt gemacht, rund um die Uhr, weniger mit geistiger Nahrung als mit leiblichen Genüssen. Und nach Mitternacht konnte man dort die leichten Damen von der Kärntner Straße und der Rotenturmstraße antreffen. Auch so konnte man Millionär werden.

      Unter den sogenannten freien Berufen war der einflussreichste und prestigeträchtigste jener der Rechtsanwälte, von denen einige wirklich hohe Einkommen erzielen konnten. Wien war ein guter Boden für Advokaten. Sie spielten im politischen und öffentlichen Leben des Liberalismus eine führende Rolle. Wichtige Politiker der Zeit waren in ihrem Brotberuf Anwälte: Karl Giskra, Johann Nepomuk Berger, Josef Kopp, Max Menger, Julius Ofner oder Robert Pattai. Die Liste der Wiener Bürgermeister mit Johann Kaspar von Seiller, Andreas Zelinka, Cajetan Felder, Julius von Newald, Johann Prix, Raimund Grübl bis Karl Lueger und Josef Neumayer in fast ungebrochener Reihenfolge bestätigt eindrucksvoll die hohe Qualifikation dieses Berufsstands für politische Ämter – welcher politischen Bewegung und Richtung sie auch immer zuzuordnen waren.

      Im Jahr 1918 waren in Wien 1.647 Personen als Rechtsanwälte eingetragen, im gesamten heutigen Bundesgebiet 2.231. Von 1868 bis 1918 hatte sich die Anzahl der Advokaten im Gebiet der Republik Österreich mehr als vervierfacht. Für die Tätigkeit als Rechtsanwalt bedurfte es mit der Einführung der Advokatenordnung vom 1. Jänner 1869 keiner weiteren behördlichen Zulassung oder Genehmigung. Es genügte neben dem absolvierten Studium die mehrjährige praktische Ausbildung und die Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung.202 Das machte Rechtsanwaltskanzleien für Juden attraktiv, denen für eine Aufnahme in den Staats- und Justizdienst kaum überwindbare Mauern entgegenstanden.

      Insgesamt befanden sich 26 Advokaten unter den 929 Millionären. Jener mit dem höchsten Einkommen war Dr. Adolf Stein mit 289.000 Kronen. Er galt als Rechts-Consulent der Rothschild. Dr. Max Freiherr von Mayer, von vornehmer nichtjüdischer Wiener Herkunft, vertrat das Kaiserhaus und war Präsident bzw. Mitglied des Verwaltungsrates bedeutender Industrieunternehmen und Banken. Als Funktionär der Witwen- und Waisenpensionsgesellschaft, der Kinderschutz- und Rettungsgesellschaft und des Vereins zur Erhaltung der Studienkonvikte wurde er karitativ tätig. Er war Verfasser zahlreicher Fachartikel und auch sprachwissenschaftlicher Werke. Auch Adolf Bachrach galt als Rechtsanwalt mit vornehmster Klientenstruktur: Er war Rechtskonsulent der toskanischen Habsburger und Rechtsfreund des Prinzen Philipp von Coburg und dessen Bruders, des Zaren Ferdinand von Bulgarien. Karl Kraus höhnte: „Die Vornehmheit, die Herr Bachrach in der Berührung mit dem Schmutz der Hoheiten erlernt hatte … “203 In seiner Kanzlei würden die Grafen und Fürsten, die Prinzen und Prinzessinnen