Roman Sandgruber

Traumzeit für Millionäre


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Wien berufen worden. Dass er hier nicht einmal zwei Jahre blieb, bis er wieder nach Leipzig zurückkehrte, wird sicher nicht am Geld gelegen sein.209 Denn in Wien verdiente er 1910 über 130.000 Kronen. Dr. Friedrich Schauta hatte 1891 die Nachfolge von Carl Braun Ritter von Fernwald auf dem Lehrstuhl für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an der I. Universitätsfrauenklinik angetreten. Dr. Viktor Urbantschitsch hatte die Leitung der Universitäts-Ohrenklinik (Schwerpunkte: Otologie, Pathologie und Therapie der Gehörerkrankungen), Dr. Heinrich Obersteiner war der Vertreter der Neurologie, Ernst Fuchs Vorstand der Augenklinik. Die medizinischen Berühmtheiten konnten hervorragend verdienen. Auflagenstarke Lehrbücher konnten viel Geld bringen: Das mag bei Hofrat Universitätsprofessor Dr. Ernst Fuchs der Fall gewesen sein. Er war der berühmteste Augenarzt seiner Zeit.210 Schon 1879 begann er mit Kursen in englischer Sprache für amerikanische Studenten. Sein Lehrbuch der Augenheilkunde, 1889 erstmals erschienen und in alle Kultursprachen, auch ins Japanische und Chinesische, übersetzt, erlebte neunzehn Auflagen und war ein halbes Jahrhundert lang die weltweite Bibel der Augenärzte. Wenn je ein Buch als „Medizinischer Klassiker“ bezeichnet werden kann, so ist es dieses, urteilte die bekannte Medizinhistorikerin Erna Lesky.211 Fuchs war Mitglied in 39 wissenschaftlichen Gesellschaften und Akademien. Sein Wirken, das auch nach seiner Pensionierung 1915 weiter andauerte, war global. Die Fuchs‘sche Klinik, durch die jährlich an die 20.000 Patienten gingen, war das Mekka der Augenheilkunde.

      Es sind aber unter den einkommensstarken Medizinern nicht nur die mächtigen Ordinarien vertreten, und auch nicht nur und nicht einmal immer jene Professoren, die als die großen Exponenten und Erben der Wiener Medizinischen Schule zu benennen sind, sondern bisweilen auch die Extraordinarien. Geld brachten die viele Privatpatienten. Dazu war nicht unbedingt eine ordentliche Professur erforderlich. Der berühmte Orthopäde Adolf Lorenz, der Vater des Nobelpreisträgers Konrad Lorenz, konnte an der Universität nie ein Ordinariat erreichen, sondern blieb sein Leben lang außerordentlicher Professor auf einer nicht remunerierten Stelle. Dennoch war er einer der bestverdienenden Mediziner Wiens. Er entstammte einfachen Verhältnissen – sein Vater war Sattlermeister und Gastwirt in Weidenau/​Vidnava, Österreichisch Schlesien, die Mutter eine Bauerntochter. Durch einen seiner Onkel, einen Benediktinermönch, der später Abt des Stiftes St. Paul im Lavanttal wurde, erhielt er die Möglichkeit, das dortige Stiftsgymnasium zu besuchen. Sein Medizinstudium konnte er durch ein kleines Stipendium und eine Tätigkeit als Hauslehrer finanzieren. Als Chirurg spezialisierte er sich auf die nichtoperative Heilung von angeborenen Hüftgelenksverrenkungen und anderen anatomischen Missbildungen. Dank großer und spektakulärer Erfolge war er ab 1902 ein weltbekannter Mediziner. Die wachsende Bekanntheit ging mit großem Wohlstand einher. Zwanzig Kilometer nordwestlich von Wien ließ er sich in Altenberg einen Landsitz errichten. Die mondäne Villa in einer Stilmischung aus italienischer Renaissance und Jugendstil inmitten einer riesigen, etwas verwilderten englischen Parkanlage war das Paradies seines jüngeren Sohnes Konrad, der hier eine zahlreiche Schar von Tieren halten konnte. Während des Ersten Weltkriegs verlor Adolf Lorenz sein Vermögen, das er in österreichischen Kriegsanleihen investiert hatte. Er musste noch einmal von vorne anfangen, verdiente in Amerika noch einmal viel Geld, das er 1929 allerdings wieder verlor. Mit 70 Jahren wurde er an der Universität verabschiedet, von der er während seiner vierzigjährigen Dienstzeit niemals ein Gehalt bezogen hatte. Er hatte demnach auch kein Anrecht auf eine auch noch so kleine Pension. „Der Staat hat mir nie etwas gegeben, sondern immer nur von mir genommen“, schrieb er verbittert in seinen Memoiren: „Nun erst kam mir zum ersten Male so recht zum Bewusstsein, dass ein siebzigjähriger Pensionist ohne Pension und Vermögen, dessen Arbeitskraft abnimmt, einen Glücksfall, z. B. einen Nobelpreis sehr gut gebrauchen könnte.“212 Den Nobelpreis, für den er vorgeschlagen war, erhielt allerdings nicht er, sondern sein Sohn Konrad.

      Auch Sigmund Freud brachte es wie Lorenz nie zum ordentlichen Professor. Sein Einkommen erreichte 1910 zwar nicht die 100.000er-Grenze. Aber er dürfte ihr ziemlich nahe gekommen sein. Auf seine Honorarvorstellungen gibt eine Rechnung für Gustav Mahler Hinweise. Am 23. Mai 1911 meldete er bei dessen Verlassenschaftspfleger und Erbenvertreter einen Honoraranspruch von 300 Kronen für eine mehrstündige Konsultation im August 1910 in Leiden (Holland) an, wohin er über dringende Aufforderung von Noordwijk angereist war.213 Freud führte in seiner Glanzzeit elf Analysen pro Tag durch und erhielt für jede einzelne bis zu 100 Kronen – wobei Freud dafür bekannt war und auch kritisiert wurde, niemals ohne Honorar zu behandeln.214 Das ergäbe, auch bei viel Urlaub und nicht immer voller Praxis, locker 100.000 Kronen im Jahr. Freud stilisierte sich einen Mythos von der armen Kindheit, die er in seiner Selbstdarstellung übertrieben dramatisiert haben mag. Ab der Jahrhundertwende jedenfalls sah die Situation ganz anders aus: Es war Wirklichkeit geworden, wovon der 40-jährige Freud nach seinem ersten Italienurlaub geträumt hatte: „Ich gedenke reich zu werden, um diese Reise zu wiederholen.“215 Die ansehnlichen Einnahmen verschafften ihm und seiner großen Familie ein sorgenfreies Leben. Im Frühjahr 1915 behauptete er, der Krieg habe ihn schon mehr als 40.000 Kronen gekostet.216 Da er mit Sicherheit nicht alle Patienten verloren hatte, würde eine derartige Einbuße in etwas mehr als einem halben Jahr ein Friedenseinkommen von deutlich mehr als 100.000 Kronen voraussetzen. Daher muss er, der keine Villa, kein Auto, keine teuren Pferde kaufte, es schon vor dem Krieg zu einem respektablen Geldvermögen gebracht haben. Dem Publizisten George Sylvester Viereck konnte Freud 1927 anvertrauen: „Der Krieg hat mein kleines Vermögen und die Ersparnisse meines Lebens aufgezehrt.“217 Es war mit Sicherheit ein größeres Vermögen.

       Altphilologe mit Vermögen: Theodor Gomperz. Gemälde von Franz von Lenbach, 1900.

      Auch Dr. Johann Paul Karplus war Neurologe und Psychiater. Er brachte es wie Lorenz oder Freud nur zum außerordentlichen Titularprofessor und 1914 zum außerordentlichen Universitätsprofessor. Finanziell war er doppelt abgesichert: Er stammte aus einer reichen Holzhändlerfamilie und war verheiratet mit Valerie Marie Lieben, der Tochter von Leopold Lieben und Anna Todesco. Dr. Leopold Harmer hatte sich 1903 für Laryngologie habilitiert, 1908 wurde er zum a.o. Univ.-Prof. ernannt. Er wirkte 1913 bis 1920 am Wiener Wilhelminenspital. Sein Einkommen stieg von 1909 auf 1910 durch eine Heirat von ca. 11.000 Kronen 1909 auf 112.764 Kronen 1910. Der Primararzt und Professor Dr. Julius Schnitzler, der jüngere Bruder von Arthur Schnitzler, versteuerte 1910 ein Jahreseinkommen von mehr als 200.000 Kronen. Das hohe Einkommen überrascht. Sein Vater Dr. Johann Schnitzler hatte sich zwar aus ärmlichen Verhältnissen vom jüdischen Handwerkerkind zum angesehenen Laryngologen hochgearbeitet. Ein wirklich großes Vermögen, auf dem sich eine Rentiersexistenz hätte aufbauen lassen, hatte er seinen Söhnen aber nicht hinterlassen. 1895 wurde Julius Schnitzler habilitiert und 1908 zum außerordentlichen Professor ernannt. Ob ihm die Heirat mit Helene Altmann das große Einkommen ermöglichte? Oder war es sein Renommé als Operateur? 1910 jedenfalls war gegen ihn ein Steuerstrafverfahren anhängig. Das mag die Ursache sein, dass er vielleicht mehr versteuern musste als üblich. Sein älterer Bruder Arthur, ebenfalls Arzt, aber bald nur mehr als Schriftsteller tätig, konnte die 100.000er Grenze auch in seinen besten Jahren um 1910 nie überspringen.

      

       Das Vivarium im Prater, um 1880. 1902 wurde es von Wilhelm Figdor gemeinsam mit Hans Przibram und Leopold Portheim gekauft und zur „Biologischen Versuchsanstalt“ umgewandelt.

      Drei weitere Professoren, zwei von der Philosophischen Fakultät und einer von der Technischen Hochschule, waren zwar Millionäre, aber nur aufgrund ererbter oder erheirateter Vermögen. Die philosophische Fakultät war die Wirkungsstätte der beiden Emeriti Dr. Adolf Lieben und Dr. Theodor Gomperz, der eine der berühmte Chemiker, der andere der berühmte Altphilologe. Ihre Einkommen kamen aus ihrem Privatvermögen. Der emeritierte Chemiker Dr. Adolf Lieben versteuerte 1910 die Riesensumme von 430.583 Kronen; sein Vater war der Bankier Ignatz Lieben, er selbst war mit Mathilde, einer geborenen Freiin Schey von Koromla, verheiratet. Es hatte sich also Geld zu Geld gefunden. Mit zahllosen Ehren ausgezeichnet, zuletzt auch noch als Mitglied des österreichischen Herrenhauses, machten er und seine Frau ihre Wohnung im Dachgeschoß des Lieben-Hauses gegenüber der Universität zu einem Treffpunkt