Roman Sandgruber

Traumzeit für Millionäre


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40.000 Kronen erhalten. Aus der Fabrik seines Vaters, der 1910 etwa 170.000 Kronen Einkommen deklarierte, bezog er eine jährliche Rente von etwa 20.000 Kronen.247 1911 zahlte ihm Moriz Zweig stattdessen 400.000 Kronen aus. Auch der ältere Bruder Alfred wurde im Testament seines Vaters mit einem entsprechenden Anteil berücksichtigt. 1917 kaufte Stefan Zweig in Salzburg um 90.000 Kronen das kleine Schloss am Kapuzinerberg mit 8.000 m2 Grund, das beste Geschäft, das er angesichts der damals hereinbrechenden Hyperinflation hatte machen können.

       Schaffte es nicht unter die reichsten Tausend: Schauspiel-Legende Alexander Girardi, hier im Sommer 1910 in Bad Ischl mit Sohn Anton (links), Leontine Girardi und Ludwig Bösendorfer. Foto: F. Hofer.

      Hermann Brochs Vater war doppelt so einkommensstark wie der von Stefan Zweig. Von 1906 bis 1926 betätigte sich Hermann Broch, der später als Literat zu einem der bedeutendsten Romanautoren des 20. Jahrhunderts wurde, als Assistenzdirektor (bzw. Geschäftsführer) in der von seinem Vater erworbenen Fabrik. 1909 konvertierte er zum römisch-katholischen Glauben und heiratete Franziska von Rothermann, die Tochter des Besitzers der Hirmer Zuckerfabrik im heutigen Burgenland. Sie brachte eine Mitgift von 100.000 Kronen ein. Der Vater Josef Broch hielt wenig von der Verbindung mit den „nobilitierten Neu-Ungarn aus Norddeutschland“. Hermann Broch lebte um 1910 wie ein Dandy: etwa 50 Anzüge im Kasten, im Sommer weiße und gelbe aus Leinen- und Seide, im Winter nur schwarzes Tuch, die Schuhe von den besten Schuhmachern Wiens, Reiten und Fechten, eigener Chauffeur, der ihn im Auto – einen Führerschein hat er nie erworben – zwischen Teesdorf und Wien chauffierte.248 Später, nach dem Krieg und nach seiner Wendung zur Schriftstellerei, wurde seine Situation jedoch immer ärmlicher.

       Auch Oscar Straus stand 1910 am Höhepunkt seines Erfolgs.

      Schauspieler waren die gefeierten Götter der Zeit: Josef Kainz, Alexander Girardi, Adolf von Sonnenthal. Die Spitzenkräfte in Schauspiel und Oper konnten es auf etwa 50.000 Kronen jährlich bringen.249 In die Hunderttausender Ränge schafften es 1910 nur zwei: Selma Kurz-Halban und Leo Slezak, und dies offenbar aus den Zusatzeinkünften aus den ersten Plattenaufnahmen, die damals modern geworden waren. In ihren Gagenverhandlungen mit der Hofoper und deren Direktor Gustav Mahler 1907 wurde Selma Kurz-Halban von Dr. Harpner vertreten. Für die Jahre 1908 bis 1914 wurde ein Gesamtjahresbezug von 52.000 Kronen vereinbart, aufgeteilt in eine Gage von 18.000 Kronen und eine Funktionszulage von 34.000 Kronen mit einem dreimonatigen Sommerurlaub bei vollen Bezügen, nach den Worten des Gustav Mahler nachfolgenden Operndirektors Felix Weingartner ein Vertrag mit grandiosen Bedingungen.250

      Die in der Literatur kolportierten Angaben über Schauspielereinkommen sind recht widersprüchlich und schlecht belegt. Der 1910 verstorbene Josef Kainz soll einer nicht näher angeführten Quelle zufolge am Höhepunkt seines Ruhms eine halbe Million Kronen jährlich verdient haben, was recht unwahrscheinlich klingt.251 1910 war Alexander Girardi für ein zweimonatiges Gastspiel im Ronacher engagiert, wo er das Fiakerlied sang, wofür er angeblich 70.000 Kronen Gage erhielt.252 Seine Steuererklärung überstieg jedoch nicht die 100.000er-Grenze. Hansi Niese bekam im Ronacher 1908 eine Monatsgage von 15.000 Kronen. Die mit 12.000 Kronen im Jahr pensionierte Burgschauspielerin Katharina Schratt war 1910 hingegen wohl nicht wegen ihrer schauspielerischen Einkünfte auf ein Einkommen von 102.137 Kronen gekommen, sondern wegen ihrer Rolle als Vertraute des Kaisers, was ihr offensichtlich entsprechend hohe Zuwendungen einbrachte, die sie auch versteuerte. Vom Kaiser erhielt die Schauspielerin, die neben ihrem großzügigen Lebensstil auch eine leidenschaftliche Spielerin war, immer wieder finanzielle Unterstützung, um ihre enormen Schulden tilgen zu können. Außerdem überhäufte der Kaiser sie mit wertvollem Schmuck. Jedenfalls hatte der Kaiser gut für sie gesorgt. An Immobilien besaß sie die Villa in der Gloriettegasse und ein dreistöckiges Palais am Kärntner Ring 4, vis-à-vis der Oper, das sie 1908 erworben hatte.253

      Keiner der Direktoren der großen Theater schaffte es unter die Millionäre, weder in der Hofoper und im Burgtheater noch im Deutschem Volkstheater oder Renaissancetheater. Auch als Theaterdirektor musste man auf Seiten der leichten Muse stehen, um wirklich gut zu verdienen. Bernard Ben Tiber (auch Tieber) leitete das 1904 neu eröffnete Wiener Apollo-Theater (heute Apollo Kino). Er machte es in den folgenden Jahren zum beliebtesten Varietétheater Wiens, das seinen größten Konkurrenten, das Etablissement Ronacher, nicht zuletzt durch die Spezialisierung auf „Nuditäten“ überholen konnte. Aus dem Gewinn der ersten Spielzeit konnte sich Tiber, der vorerst bloß Pächter war, bereits 1905 in nur einem Jahr das ganze Theater samt dem Haus an der Ecke Gumpendorferstraße/​Kaunitzgasse kaufen.254 Ben Tiber war ein Emporkömmling. „Seine besten Jahre soll er als Boxer und Ringer verbracht haben“, beschreibt ihn Rudolf Österreicher in der Festschrift zum 50-jährigen Bestand des Apollotheaters. 1910 betrug sein Einkommen 318.103 Kronen. Am 17. August 1911 erwarb er die Otto-Wagner-Villa in der Hüttelbergstraße 26 und bewohnte diese bis zu seinem Tod. Tiber lebte dort mit seinen beiden Adoptivkindern Arnold und Marie (Mimi) und seiner Schwester, Frau Regine Engelmann. Heimito von Doderer porträtierte ihn im Roman Der Grenzwald als jüdisch-ungarischen Varietébesitzer Bela Tiborski.255

      Ben Tibers größter Konkurrent war das Ronacher: Von September 1909 bis Juni 1912 hatte Gabor Steiner dort die Direktion inne. Er änderte dessen Ausrichtung zu Ausstattungsrevuen und Operetten. Unter den Spitzenverdienern war er nicht. Mit seinem „Venedig in Wien“ baute er vielmehr horrende Verluste. Karl Kollinsky als einer der Teilhaber des Etablissement Ronacher hingegen versteuerte 1910 ein Einkommen von 108.000 Kronen.256 Über sein Leben ist kaum etwas bekannt. 1925 scheint er in Lehmanns Adressbuch noch als Vergnügungsetablissementbesitzer auf, 1926 nur mehr als Kaffeehausbesitzer, 1927 überhaupt nicht mehr. Im Meldezettel steht zuletzt: „Cafetier, ‚Firma Collini & Rebsamer’, evangelisch Augsburger Bekenntnisses.“ In der NS-Zeit wurde dazu der Vermerk angebracht: „Abstammung: J“. Dennoch blieb er den ganzen Krieg über in Wien gemeldet. Er starb am 20. Dezember 1953.

      Auch der Bankier Julius Schwarz (Strisower & Schwarz), Einkommen 1910 : 102.650 Kronen, investierte in Theater: Der in seinem Auftrag von seinem Schwiegersohn, dem Architekten und Zionisten Oskar Marmorek, errichtete Nestroyhof in Wien-Leopoldstadt mit den 1899 eröffneten Nestroy-Sälen umfasste auch ein Wirtshaus, eine Bierhalle, ein Restaurant, eine Tanzbar und einen Theatersaal, in welchem berühmte Erstaufführungen (Wedekind, Gorki, Strindberg etc.) stattfanden.257

      Wien um 1900 war ein Mekka des Journalismus. Bis heute sind einzelne Namen weltberühmt. Die Wiener Zeitungslandschaft war vielfältig, die Auflagenzahl relativ gering: 1914 waren im österreichischen Teil der Monarchie etwa 4.700 Periodika auf dem Markt. Wien hatte zwischen 25 und 30 Tageszeitungen: unter den liberalen Zeitungen die Neue Freie Presse und das Neue Wiener Tagblatt“ auf konservativer Seite das Vaterland und das Neuigkeitsweltblatt, dazu die amtliche Wiener Zeitung und das quasi „halbamtliche“ Fremdenblatt als Leibblatt Kaiser Franz Josephs. Es gab die Parteizeitungen, die christlichsoziale Reichspost, die sozialdemokratische Arbeiterzeitung und als deutschnationale Organe das Deutsche Volksblatt und die Ostdeutsche Rundschau. Boulevard waren das Neue Wiener Journal und das Illustrierte Extra-Blatt und ab 1900 die Österreichische Kronenzeitung.

      Journalisten verdienten nicht viel. Nur die Zeitungsherausgeber konnten wirklich reich werden: 1,7 Millionen Kronen Jahreseinkommen versteuerte der Herausgeber der Neuen Freien Presse Moriz Benedikt. Er lag damit an 11. Stelle im Ranking der Spitzenverdiener. 1872 hatte er als Redakteur begonnen, wurde Mitherausgeber und war von 1908 bis zu seinem Tod im Jahr 1920 allmächtiger Chefredakteur und Alleininhaber. Auch sein 1908 verstorbener Vorgänger Eduard Bacher, der 1872 als Journalist begonnen hatte und ab 1879 Chefredakteur und wenig später auch Herausgeber und Miteigentümer dieser Zeitung gewesen war, bezog ein hohes Einkommen. Seine Witwe Berta versteuerte 1910 ein Jahreseinkommen von 121.271 Kronen. Sie lag damit an 688. Stelle.