Tilo K. Sandner

Dracheneid


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Ratsbesprechung möchte ich mit dir endlich zu der Stelle gehen, an der sich dir die alten Runen offenbart haben. Es muss doch einen Grund dafür geben, warum du sie sehen konntest. Ich glaube nicht an einen puren Zufall, sondern bin davon überzeugt, dass es einen ganz besonderen Grund dafür gab. Nennen wir es eine Vorbestimmung, die mich ahnen lässt, warum das Horn genau an dieser Stelle so seltsam reagiert hat, den Stollen in dieses unheimliche grüne Licht gehüllt hat und gleichzeitig dein Geistdrache genau dort den Kontakt zu dir gesucht hat. Diesem Mysterium sollten wir unbedingt auf den Grund gehen! Ich kann es dir zwar nicht erklären, aber ich bin fest davon überzeugt, dass es irgendwie mit deiner Suche nach deinem Geistdrachen zusammenhängt. Aber selbst wenn das nicht so sein sollte, muss ich unbedingt erfahren, welches Geheimnis diese alten Drachenrunen seit so langer Zeit unbemerkt verborgen halten.“

      „Lady Coralljah, ich weiß doch gar nicht, ob ich die genaue Stelle wiederfinden werde und ob das Horn dort auch wieder sein grünes Licht freigeben wird. Vielleicht reagiert es gar nicht und wir werden nichts erkennen können.“

      „Wir werden sehen, was geschehen wird. Sei doch etwas zuversichtlicher, mein junger Adalbert. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass du die Stelle wiederfinden wirst. Wenn wir im Stollen sind, werden wir die genaue Situation nachstellen, die zu diesem besonderen Ereignis geführt hat. Also sollten wir die drei Elfenbrüder und das Horn mitnehmen.“

      Adalbert hoffte, dass die Drachenlady Recht behalten würde. Bei dem Gedanken, an der bevorstehenden Ratsrunde ohne seinen Drachenfreund teilzunehmen, fühlte er sich unwohl, denn er konnte sich nicht vorstellen, ganz alleine in Merthurillhs Loge zu sitzen.

       Mach dir keine Gedanken, Adalbert. Es ist bestimmt in Merthurillhs Sinne, dass wir unter diesen Gegebenheiten den Rat einberufen, ohne dass er anwesend ist. Außerdem wird es sicherlich noch genügend Möglichkeiten geben, ihn über das Besprochene zu informieren.

      Die Stimme des Lorhdrachen erklang direkt in Adalberts Kopf. Schon wieder hatte er seine Gedanken gelesen. Doch der Junge war ihm nicht wirklich böse, da seine Worte ihn tatsächlich etwas beruhigt hatten. Er schmunzelte nur leise lächelnd und schüttelte ungläubig den Kopf. Okoriath konnte es einfach nicht lassen, in die Gedanken anderer einzudringen.

      Entschuldige bitte, ich weiß, du magst es nicht, wenn ich auf diese Weise Kontakt mit dir aufnehme. Aber glaube mir, ich arbeite schon an mir, kam die Antwort auf Adalberts Kopfschütteln in seinen Gedanken. Dem Jungen war völlig klar, dass der Lorhdrache niemals der lockenden Versuchung würde widerstehen können, in die Köpfe anderer einzutauchen.

      Völlig unerwartet hielt jemand Adalbert von hinten die Augen zu. Sofort wurde er an seinen Elfenfreund Antharill erinnert, wie dieser ihn damals davor bewahrt hatte, blind vor Wut in die Arme der Trolle zu laufen. Als er so die Hände auf seinen Augen fühlte, stiegen schöne und gleichzeitig auch sehr traurige Erinnerungen in ihm hoch. Trotzdem wusste er, dass jemand jetzt und hier darauf wartete, von ihm erraten zu werden.

      „Das kann nur die kleine, freche und süße Biggi sein!“

      „Ich bin nicht klein!“, antwortete das Mädchen kess, als es seine Hände von Adalberts Augen nahm.

      „Das stimmt, du bist schon richtig groß“, stimmte er ihr zu.

      „Birgit ist schon beinahe so groß wie Kronglogg. Im nächsten Jahr wird sie ihn bestimmt schon überholt haben!“, fügte Jordill lächelnd hinzu.

      „Auf die körperliche Größe kommt es doch überhaupt nicht an!“, brummte Kronglogg. „Dass ihr Elfen und Menschen euch immer so viel auf eure Länge einbildet. Ein prächtiger Zwerg kann viel größer sein, als beispielsweise der längste Mensch!“

      Als Kronglogg keine Widerworte hörte, nickte er zufrieden.

      „Komm, setz dich zu mir und frühstücke mit uns“, forderte Adalbert Biggi liebevoll auf und zog ihr einen Stuhl heran. Das ließ sich das Mädchen natürlich nicht zweimal sagen.

       Der Ratsbeschluss

      Nachdem das ausgiebige Frühstück beendet war, folgten alle Ratsmitglieder dem Lorhdrachen Okoriath zur Ratshalle. Natürlich war Adalbert wieder einmal völlig begeistert, als er bestaunen konnte, wie sich, nachdem der Lorhdrache die geheime Öffnungsformel gesprochen hatte, der massive Felsen vor ihm mit seltsamen, kreisförmigen Bewegungen zu einem Eingang in die Ratshalle verwandelte.

      Sie waren jedoch nicht die Ersten, die diese heiligen Hallen betraten, denn der oberste Elfenkönig Trillahturth und der Waldelfenkönig Erithjull saßen bereits auf ihren Plätzen und unterhielten sich leise. Jedes Ratsmitglied nahm seinen angestammten Platz ein und Adalbert fühlte sich in Merthurillhs Loge einsam und verlassen. Ohne seinen goldenen Freund war es einfach nicht dasselbe.

      „Komm doch bitte zu mir herüber, dann brauchst du nicht so alleine in eurer Loge zu sitzen“, forderte ihn die Erste Drachenlady Coralljah auf und bot ihm den Sitz zu ihrer Linken an. Sie hatte natürlich erkannt, in welcher unbehaglichen Situation sich der junge Adalbert befand.

      „Das ist sehr lieb von Euch, schöne Lady Coralljah. Aber Euer linker Platz gehörte meinem Freund Antharill, der sein Leben für mich gab. Auf seinem Platz zu sitzen, erscheint mir irgendwie nicht richtig. Ich werde die Erinnerung an seine Freundschaft für den Rest meines Lebens in meinem Herzen tragen.“

      Bei diesen Worten berührte Adalbert mit seiner rechten Hand die Stelle, an der sein Herz schlug. In seinen Gedanken konnte er den stolzen Hengst, in den sich der Elf nach seinem tragischen Tod verwandelt hatte, im gestreckten Galopp über eine saftige Hügellandschaft galoppieren sehen.

      „Außerdem ist dies hier mein Platz und ich möchte meinen Freund Merthurillh würdig vertreten, wenn er schon nicht selbst an dieser Versammlung teilnehmen kann. Ich hoffe sehr, dass ihr meine Ablehnung nicht als unhöflich betrachtet.“

      „Hört, hört! Die Worte eines echten Jungritters!“, sagte der alte Drache Rostorrh anerkennend, bevor sich der Lorhdrache an alle Ratsmitglieder wandte.

      „Teuerste Lady Coralljah, wunderbare Lady Zaralljah, mein alter Freund Trillahturth, du Oberster aller Elfen des Drachenlandes, mein Freund vieler Abenteuer König Erithjull, Ritter Rostorrh, alter Kampfgefährte so mancher schlimmen Schlacht, meine stolzen Jungritter Tomporillh und Adalbert, mein überaus geschätzter Ratgeber Kronglogg und, nicht zu vergessen, unser treuer Chronist und Freund Olstaff, wir sitzen heute in dieser Ratsrunde zusammen, weil es dringende Angelegenheiten gibt, denen wir schnellstmöglich nachgehen müssen. Wie ihr sicher bereits alle wisst, ist mein Erster Ritter Merthurillh in einen wohltuenden Heilschlaf gefallen und kann deshalb nicht hier sein.

      Gestern Abend informierte mich König Trillahturth darüber, dass sich nach seiner Kenntnis hier in der Drachenschule ein Hinweis auf die geheime Formel befinden muss, die Adalbert benötigt, um die finale Seelenübertragung einzuleiten. Gemeinsam haben er, König Erithjull, unser Archivar Olstaff und ich selbst in der vergangenen Nacht jede verfügbare Schrift und alle Unterlagen durchforstet und sind jedem Hinweis nachgegangen, der auch nur im Entferntesten auf diese Formel hinweisen könnte. Doch wir konnten nichts Konkretes finden. Da sich jedoch, wie jeder hier weiß, der weise König Trillahturth noch nie geirrt hat, sollten wir jetzt gemeinsam darüber beratschlagen, wo wir noch nach der verloren gegangenen Formel suchen könnten.“

      Der uralte Olstaff mit seinen liebenswürdigen Augen räusperte sich vorsichtig und wies darauf hin, dass sie die Zeit, in der sich Merthurillh im Heilschlaf befand, nicht ungenutzt verstreichen lassen sollten, schließlich hätten sie nur ein Jahr Zeit, die Drachenseele aus Adalberts Brust zu befreien, sonst würde diese zu Wargos auffahren.

      „Ich glaube, ich weiß, wo die Formel ist“, erwiderte Adalbert leise und unsicher, denn er konnte sich kaum vorstellen, dass noch kein anderer auf die Idee gekommen war, die ihm gerade durch den Kopf ging.

      „Na, da sind wir ja mal sehr gespannt, Jungchen!“, warf der alte Drache Rostorrh ungläubig ein. Es war dem besonderen Klang seiner Stimme anzuhören, dass er sich nicht vorstellen