Tilo K. Sandner

Dracheneid


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denn das wird die schwierigste deiner Aufgaben sein. Niemand weiß mit Bestimmtheit, ob die alte Drachenlady überhaupt noch lebt. Und wenn dem so sein sollte, kennt keiner ihren genauen Aufenthaltsort. Möge der große Wargos seine riesigen Schwingen schützend über dich halten und dir den rechten Weg weisen.“

      Nun griff der Lorhdrache mit der rechten Vorderpranke an sein Horn und zog unter einer großen Panzerschuppe einen kleinen Gegenstand hervor, den er Adalbert reichte. Es war ein handtellergroßer, purpurner Rubin, der linsenförmig geschliffen war und auf dessen einer Seite drei alte Drachenrunen zu erkennen waren. Diese erinnerten Adalbert sofort an die Runen, die sie an der Höhlenwand gesehen hatten. Er nahm den Lederbeutel aus seiner Tasche, in dem er bereits den Wegstein transportierte, den er vom Troll Orax erhalten hatte. Adalbert legte den Botenstein dazu, verschloss den Beutel wieder und steckte ihn wieder in seine Hosentasche.

      Unwillkürlich musste er an den Troll denken. Wie es seinem neuen Freund und Lebensretter wohl gerade ging? Hoffentlich war er mit seiner geheimen Widerstandsgruppe noch nicht aufgeflogen und konnte sich den neugierigen Blicken des schwarzen Magiers noch immer erfolgreich entziehen.

      „Als Weggefährten werden dich der abenteuerlustige Elf Jordill, der genesene Keiler Tork und der junge Secundus Torgorix begleiten.“

      Nun wandte sich der Lorhdrache an den völlig überraschten und strahlenden Torgorix und erklärte, dass er und seine Mutter, Lady Coralljah, sich darin einig seien, ihm diese erste Aufgabe zu übertragen.

      „Wir sind beide davon überzeugt, dass du diesem Auftrag gewachsen bist. Spätestens nach deiner bedeutsamen Taufe weiß jeder, dass in dir etwas ganz Besonderes steckt. Deine Aufgabe besteht aber nicht nur darin, die drei zu begleiten und zu beschützen, sondern auch darin, unser Bote zu sein, der den Rat ständig über die Aktivitäten der Eisgruppe informieren wird. Geht davon aus, dass ihr zu dieser Zeit im hohen Eisgebirge mit klirrender Kälte konfrontiert sein werdet. Auch darin wird eine besondere Herausforderung für euch liegen, denn der Kampf gegen große Kälte und rutschiges Eis ist nicht leicht zu bestehen. Nur ein einziger falscher Tritt kann über euer Schicksal entscheiden, da die steilen Felsen des Eisgebirges oft weit über hundert Mannslängen tief sind.“

      Das konnte den Jungritter Torgorix nicht entmutigen, denn er konnte ja fliegen und brauchte sich daher vor einem Absturz nicht zu fürchten. Er strahlte stolz über diese wichtige Aufgabe, die er vom Lorhdrachen persönlich erhielt, und freute sich auf das vor ihm liegende Abenteuer mit Adalbert, Jordill und Tork.

      Mittlerweile hatte sich Okoriath an Adalberts Vater gewandt und schaute diesem fest in die Augen.

      „Auch dir kommt eine besondere Aufgabe zu, erleuchteter Ritter. Dein Auftrag wird dich nach Kronenberg führen, der Königsstadt der Menschen. Du musst König Ekleweif von der ständig wachsenden Gefahr eines Angriffs durch Snordas’ Armee überzeugen. Diese Aufgabe wird sicherlich nicht einfach werden, denn der König ist träge und nicht besonders weitsichtig. Leider hat die Erbfolge ihn zum König bestimmt und nicht seinen jüngeren Bruder Norman, der im Gegensatz zu Ekleweif auch Elfen und Zwergen gegenüber sehr aufgeschlossen ist.

      Natürlich darfst du dabei niemals etwas von der Drachenseelein der Brust deines Sohnes erzählen, aber das versteht sich ja von selbst. Doch dein Weg führt dich zuvor durch den Elfenwald Nasli Karillh, wo du eine gewisse Zeit verweilen wirst, weil du von König Erithjull persönlich viele Informationen über das Drachenland erhalten musst, die für deinen Auftrag sehr wichtig sind. Bisher bestand dein Leben nur aus den Farben Schwarz und Weiß. Es gab in deinem Leben nur die bösen Drachen und den guten Drachentöter, der das Land vor dieser angeblichen Gefahr befreien musste. Im Nasli Karillh wirst du erfahren, dass es noch unzählige Grautöne gibt, die zwischen Schwarz und Weiß liegen, dass sich Wahrheiten oft als gemeine Lügen herausstellen und offensichtliche Feinde manchmal die besten Freunde sein können. Außerdem wirst du mehr über die Geschichte unseres Landes erfahren. Fühle dich besonders geehrt, dass König Erithjull sich sofort dazu bereit erklärt hat, diese Aufgabe persönlich zu übernehmen!

      Du wirst dem König also zuerst in den Elfenwald folgen. Auch du wirst auf deiner Mission zu deinem König nicht alleine reisen müssen, denn mein alter Freund Kronglogg, der Elf Trulljah und unser aller Freund, der prächtige Hengst Antha, werden dich bis zur Königsstadt Kronenberg begleiten. Ich hoffe, dass sie dich mit ihren wertvollen Erfahrungen bei der Vorsprache vor König Ekleweif unterstützen können.

      Erik wird euch bis zum Elfenwald begleiten. Er wird dann aber dort bleiben, um sein neues Leben zu beginnen. Hoffen wir, dass er den rechten Weg der Tugend finden wird.

      Du siehst, Ritter von Tronte, auch deine Aufgabe ist nicht ganz einfach und es hängt viel von ihrem Gelingen ab. Sollte es wirklich zum Krieg gegen Snordas’ Horden kommen, sind wir auf jeden Verbündeten dringend angewiesen.“

      Okoriath sah Adalberts Vater lange in die Augen, als wollte er dort die Antwort auf die Frage finden, ob der Ritter dieser Aufgabe gewachsen war.

      „Ich werde alles in meiner Macht Stehende dafür tun, Euch nicht zu enttäuschen, werter Lorhdrache! Den Eltern von Allturith habe ich bereits geschworen, alles zu tun, um ihnen ihren Sohn, den ich in meiner unverzeihlichen Unwissenheit getötet habe, zurückzubringen. Glaubt mir, ich werde meinen Schwur nicht brechen!“, erwiderte Knut von Tronte mit fester Stimme und verbeugte sich tief vor dem Lorhdrachen.

      Es kam Adalbert noch immer seltsam vor, dass ausgerechnet sein Vater, der berühmteste Drachenjäger des ganzen Landes, plötzlich völlig anders über diese wunderbaren Geschöpfe dachte und sich hier sogar vor einem Drachen so tief verbeugte. Er freute sich sehr über diese Wandlung. Vielleicht hatte ja auch sein Brief etwas dazu beigetragen, den er ihm vor einer gefühlten Ewigkeit auf dem väterlichen Hof hinterlassen hatte.

      ***

      Tief in den stinkenden Höhlen des Ostlandes unterhielt sich eine Frau, die seit Jahren eine Gefangene des Drachen Furtrillorrh war, mit dem Troll Orax.

      „Du musst besser auf deine Freunde aufpassen, mein lieber Orax. Sonst wird es mit euch allen bald ein schlimmes Ende nehmen. Snordas hat überall seine Spione, die fieberhaft nach euch suchen. Besonders scheußlich sind die krabbelnden Kwarzorrhs. Letzte Nacht haben sie den armen Norgork getötet. Zum Glück hatte er seinen kupfernen Halsreif um, der ihn davor beschützte, dass seine Gedanken von Snordas oder von diesen grässlichen Krabblern gelesen werden konnten. Trotzdem wird eine dieser Bestien mit seinem grässlichen Horn, welches es dem armen Norgork in den Kopf gerammt hat, irgendwelche wichtigen Informationen aus seinem Gehirn herausgesogen haben, sonst wären heute Morgen nicht so viele Zargolls hier.“

      „Mir sind sie auch schon aufgefallen. Um Norgork tut es mir sehr leid. Wir werden ihn vermissen. Er war jemand, auf den ich mich stets verlassen konnte. Als wir beispielsweise den Menschenjungen befreit haben, der mir seinerzeit das Leben gerettet hat, hatte Norgork die Befreiungsaktion perfekt vorbereitet“, erinnerte sich der große Troll wehmütig an seinen Kameraden.

      „Siehst du, mein lieber Orax, genau das mag ich an dir. Du bist in der Lage, zu trauern. Außerdem machst du dir Gedanken nicht nur um deine Zukunft, sondern auch um die deiner Familie und Freunde. Das zeichnet dich besonders aus, denn ihr Trolle seid normalerweise nicht zu solchen Emotionen fähig.“

      „Daran bist du ja nicht ganz unschuldig, ehrenwerte Mutter. Hättest du mich nicht vor vielen Wintersonnen nach meinem Kampf mit diesem riesigen Bären wieder gesund gepflegt, dann hätte ich dich wohl niemals wahrgenommen. Ganz im Gegenteil, würdest du nicht unter dem besonderen Schutz des Drachen Furtrillorrh stehen, hätte ich dich mit ziemlich großer Sicherheit schon längst erschlagen, denn mein Hass auf euch Menschen war unbeschreiblich groß. Doch du hast dich nicht davon blenden lassen und hast mich gepflegt, bis ich wieder gesund war. Durch diese Tat und unsere vielen Gespräche hast du mir gezeigt, dass es auch noch etwas anderes gibt als nur den blanken Hass, den uns Snordas und Furtrillorrh immerzu lehren. Ich kann zwar noch immer nicht verstehen, dass du uns, die wir dir so schlimme Dinge angetan haben, trotzdem lieben kannst, aber auch ich habe jetzt bei den Menschen einen Freund gefunden. Wer weiß, vielleicht wird es eines Tages für Adalbert und mich sogar möglich sein, uns in Zeiten des Friedens zu treffen.“

      „Adalbert sagst