Tilo K. Sandner

Dracheneid


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in allen Einzelheiten zu berichten, was geschehen war.

      Oft nickte der Ritter voller Anerkennung für seinen Sohn, manchmal fragte er aber auch besorgt nach, wie Adalbert diese Gefahren alle unverletzt hatte überstehen können. Als der Zwerg erwähnte, wie Antharill Adalbert davor bewahrt hatte, mitten in einen Trolltrupp hineinzustolpern, lenkte der Ritter sein Pferd zu dem stolzen Hengst Antha hinüber, in den der Elf sich verwandelt hatte.

      „Auch dein Leben werde ich mit dem meinen beschützen, wertester Hengst, das schwöre ich dir“, sagte er ganz leise, damit niemand ihn auslachte, weil er einem Pferd etwas versprach. Doch den extrem guten Ohren der Elfen blieb sein Schwur dennoch nicht verborgen.

      „Dort vorne ist die Stelle, an der wir bis morgen früh rasten werden“, erklärte Erithjull und deutete direkt nach vorne auf eine kleine Flussbiegung.

       Im hohen Eisgebirge

      Der Elf Jordill weckte Adalbert und deutete auf das kleine Feuer, welches er bereits entfacht hatte.

      „Ein heißer, duftender Kräutertee wartet auf dich, mein lieber Adalbert. Wir sollten zusehen, dass wir heute ein gutes Stück schaffen, dann könnten wir bereits am Abend am Fuß des Eisgebirges sein.“

      „Ich dachte, wir wären schon längst im Eisgebirge? Wir sind doch schon vier Tage durchmarschiert?“, antwortete der Junge noch etwas verschlafen.

      „Nein, wir befinden uns noch immer in den nördlichen Ausläufern der Drachenfelsen. Siehst du dort vorne den hohen Pass, der aus den Wolken herausragt?“

      „Ja, das ist doch der Kalte Finger, oder? Merthurillh hat ihn mir schon einmal gezeigt, als wir uns bei seiner Lieblingsstelle, dem Sattel, hoch über der Drachenschule, unterhalten haben.“

      „Du bist gut informiert. Das ist tatsächlich der Kalte Finger, der mitten im Eisgebirge liegt. Ich hoffe, dass wir dort oben auf die ersten Hinweise auf die alte Drachenlady Murwirtha stoßen werden. Wenn wir morgen früh vom Fuß des Gebirges starten, sollten wir nach drei weiteren Tagen den Kalten Finger erreichen. Ich kenne dort eine Höhle, in der wir es uns gemütlich machen und ein prächtiges Grubenfeuer entzünden können.“

      „Na prima, noch vier Tage in dieser eisigen Kälte, bevor wir endlich ein richtig wärmendes Feuer machen können! Hoffentlich sind wir bis dahin nicht schon längst eingefroren“, erwiderte Adalbert mit einem mürrischen Blick zum Gipfel des Berges, der wie ein mahnender Finger aus den Wolken herausschaute.

      „Warum können wir denn nicht jetzt schon etwas mehr Holz ins Feuer werfen? Meine Drachenhaut warnt mich nicht, also sind auch bestimmt keine Trolle oder Orks in der Nähe.“

      „Wir sind trotzdem nicht alleine. Schon seit gestern Nachmittag spüre ich, dass wir beobachtet werden. Noch konnte ich nicht herausfinden, wer uns da ausspäht und welche Absichten er verfolgt. Daher sollten wir nicht unnötig lange rasten und versuchen, möglichst wenig auf uns aufmerksam zu machen, was bei einem riesigen blauen Drachen, der auch noch täglich seine Flugübungen absolviert und dabei vor Wonne das gesamte Nordland zusammenbrüllt, schon nahezu unmöglich ist“, mahnte der Elf in Richtung des Drachen, der noch friedlich zu schlummern schien.

      „Ich habe jedes einzelne Wort verstanden! Ihr gönnt mir aber auch gar keinen Spaß“, entgegnete Torgorix gespielt beleidigt.

      „Wir gönnen dir deine Freuden hoch oben in der Luft von ganzem Herzen, Blauflügler …“, begann Adalbert, als er von dem Drachen unterbrochen wurde.

      „Lass gut sein, das war nicht ernst gemeint. Ihr habt ja Recht, ich sollte meine übergroße Freude unbedingt etwas zügeln. Was hältst du denn davon, wenn ich heute mal aus der Luft nach denjenigen suche, die uns beobachten?“, wandte er sich dann an Jordill.

      „Ich denke, dass du jetzt gar nicht fliegen solltest. Vielleicht kannst du heute Abend in der späten Dämmerung noch einmal in die Lüfte steigen“, war die für den Drachen enttäuschende Antwort.

      „Wo bleibt denn der lustige Elf, den ich auf meinen früheren Abenteuern kennengelernt habe? Du sprichst ja immer mehr, wie dein großer erfahrener Bruder Trulljah“, meinte Adalbert, der sich sehr gut vorstellen konnte, wie enttäuscht Torgorix sein musste, wenn er seine neu gewonnene Freiheit nicht genießen durfte.

      „Wir wachsen alle an unseren Aufgaben, mein lieber Freund. Das müsstest du doch am besten wissen. Außerdem habe ich mich nicht verändert, aber wenn Trulljah oder Maradill dabei sind, können sie sich ja um solche Dinge kümmern“, antwortete Jordill mit einem verschmitzten Lächeln.

      „Torgorix, wie Jordill schon vorgeschlagen hat, solltest du nicht vor Einbruch der Dämmerung fliegen. Ich möchte außerdem, dass du das nächtliche Fliegen lernst, damit du dich bei besonderen Gefahren oder in anderen Situationen, die einen nächtlichen Flug erfordern, auch in der Dunkelheit am Himmel zurechtfindest. Traust du es dir schon zu, bei sternklarer Nacht vom Boden abzuheben?“, fragte Adalbert den Drachen.

      „Wenn die Nacht so klar ist, dass ich sehen kann, wohin ich fliege, dann möchte ich das sehr gerne einmal ausprobieren. Bei absoluter Dunkelheit und schlechtem Wetter können wir Drachen allerdings nicht fliegen, obwohl unsere Augen außerordentlich gut sind. Durch Wolken, Nebel oder Schneetreiben können wir nur schemenhaft sehen. Da nützt auch unser Drachensinn wenig. Daher freue ich mich schon auf meinen ersten Nachtflug. Es muss doch traumhaft schön sein, den Sternen unserer Vorfahren immer näher zu kommen!“

      „Dann achte aber bitte darauf, dass du ihnen nur nahe kommst und nicht für immer zu ihnen aufsteigst, denn wir würden dich sehr vermissen“, bat ihn der Elf.

      „Natürlich kannst du bei absoluter Dunkelheit oder widrigen Sichtverhältnissen nichts sehen, aber ich habe da eine Idee, wie wir dich trotzdem leiten können, obwohl du sozusagen blind fliegst“, dachte Adalbert laut nach und erhielt von seinen Kameraden sofort die höchste Aufmerksamkeit. Selbst Tork schien an den Gedanken des Jungen interessiert zu sein und kam etwas näher, um sich mit einem wohligen Grunzen Jordill zu Füßen zu legen.

      „Komm, mach es nicht so spannend. Erzähl uns, wie du dir das vorstellst, einen Drachen blind durch die Nacht zu leiten“, bat der Elf um Auflösung dieses Geheimnisses.

      „Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich klappen wird. Torgorix, du hast doch auch ein exzellentes Gehör. Wenn du also am Nachthimmel fliegst, ohne etwas zu sehen, könnte Jordill dir dann nicht durch hohe Pfiffe, die für das Gehör von Menschen, Trollen und Orks nicht wahrnehmbar sind, signalisieren, wo wir sind? Damit müsstest du uns doch finden können, oder?“

      „Ja, das würde bestimmt funktionieren, aber ich weiß dann immer noch nicht, in welcher Höhe ich mich über dem Boden befinde. Ich möchte schließlich nicht noch einmal auf dem Bauch landen, schon gar nicht aus dem vollen Flug heraus. Das könnte meinen Tod bedeuten und dann würde ich ja doch wieder zu meinen Ahnen aufsteigen“, fügte der Drache mit einem Zwinkern hinzu.

      „Stell dir vor, du hörst Jordills Pfiff“, fuhr Adalbert unbeirrt fort, „ortest diesen und fliegst dann möglichst langsam über die Quelle, von der du das Signal bekommen hast, dann müssten wir deinen Flügelschlag hören und könnten so ungefähr abschätzen, wie hoch du bist. Wenn wir dir dann diese Höhe wiederum durch Pfiffe mitteilen würden, beispielsweise einen langen Pfiff für einen Abstand, der zehnmal so groß ist wie Jordill, zehn Jordill-Längen sozusagen, und ein kurzer Pfiff für eine Jordill-Länge, könntest du dir das räumlich vorstellen?“

      „Wir Drachen verfügen doch über das am besten ausgebildete dreidimensionale Vorstellungsvermögen, das es in der Natur gibt. Ich könnte mir schon denken, dass ich das hinbekomme. Allerdings braucht es sehr viel Übung, dieses räumliche Denken zu erlernen und ich bin noch ein absoluter Anfänger.“

      „Das kriegen wir schon irgendwie hin!“, munterte ihn der Elf, der von Adalberts Idee sichtlich begeistert war, auf.

      „Dann werdet ihr noch heute Abend mit dem notwendigen Training beginnen“, schlug Adalbert vor.