lieber Orax.“
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„Etwas enttäuscht bin ich ja schon, dass uns Merthurillh nicht begleiten kann und Antha und Kronglogg mit meinem Vater mitgehen werden“, brachte Adalbert seine Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck, dass seine Gruppe so klein war.
„Beide hätten uns sicher nur zu gerne begleitet, aber unser Lorhdrache hat anders entschieden – und das zu Recht. Merthurillh liegt immer noch im Heilschlaf. Wenn er daraus erwacht, wird er mit Zaralljah, dem Chronisten Olstaff und den Elfenkönigen Trillahturth und Erithjull weiter nach Hinweisen auf den seelenlosen Drachen suchen. Antha kann uns nicht in das unwegsame Hochgebirge begleiten, denn die steilen und rutschigen Hänge sind für Pferdehufe extrem gefährlich. Da war die Aufgabe, deinen Vater nach Kronenberg zu begleiten, wesentlich sinnvoller. Unsere Aufgabe verlangt, dass wir uns möglichst zielorientiert aufteilen, um größtmöglichen Erfolg zu haben. Auch Kronglogg hat getobt wie ein Taifun, als er erfuhr, dass er nicht ins Eisgebirge gehen darf. Du weißt ja, wie er sich aufregen kann, aber Lady Coralljah konnte ihn schließlich davon überzeugen, dass dein Vater dringender seine großen Erfahrungen benötigt als du“, beruhigte Jordill den leicht schmollenden Adalbert.
„Willst du damit etwa sagen, dass wir dir als Gesellschaft nicht ausreichen?“, fragte der blaufarbene Torgorix, der sich nun seinerseits in das Gespräch einbrachte.
„O nein, natürlich nicht! Da habe ich mich ja in etwas hineingeritten. Ich freue mich sehr, dass ihr drei bei mir seid“, erklärte Adalbert schnell, um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen, während er liebevoll den großen Keiler Tork zwischen den Ohren kraulte.
Dann wandte er sich an Torgorix: „Jordill und Tork konnte ich ja bereits auf früheren Reisen und Abenteuern gut kennenlernen und das hat uns zusammengeschweißt und unsere Freundschaft vertieft. Aber wir beide hatten seit deiner Drachentaufe kaum die Zeit, uns etwas länger zu unterhalten. Deine Verwandlung von einem kleinen, niedlichen Drachenwelpen zu dem großen und stattlichen Secundus, der uns nun begleitet, kam wirklich überraschend und ich kann es immer noch kaum glauben. Was ich dich aber schon immer fragen wollte, was hast du eigentlich empfunden und gefühlt, als du dich in dieser seltsamen Feuersäule verwandelt hast?“
„Diese Frage haben mir auch schon meine Mutter und die liebe Birgit gestellt, aber es fällt mir schwer, sie zu beantworten. Ich kann dir das nicht genauer erklären, aber ich hatte das Gefühl, dass du die ganze Zeit bei mir warst, als ich von dem glänzenden Licht umgeben war.“
„Das war ich doch auch, wir alle waren bei dir“, antwortete Adalbert verwundert.
„So meine ich das nicht. Irgendwie warst du auch in dem Licht und hast mir Mut zugesprochen. Ich konnte zwar erkennen, dass dein Körper vor der Feuersäule stand, aber deine Seele war bei mir. Natürlich klingt das seltsam, aber ich weiß, dass es genau so war“, versuchte Torgorix zu erklären, was er bei seiner Taufe empfunden hatte. Adalbert wunderte sich, dass er diesen Augenblick nicht auch so empfunden hatte, freute sich aber darüber, dass der Drache es so erlebt hatte.
„Du wirst nie auf alle Fragen die passenden Antworten finden, mein Freund Adalbert. Das Schicksal geht seine eigenen Wege und führt uns bewusst, oft aber auch unbewusst an Orte, die wir weder verstehen noch realisieren können. Ich glaube daran, dass du unserem lieben Torgorix tatsächlich zur Seite gestanden hast, als er deine Hilfe dringend nötig hatte. Du selbst hast bereits mehrfach festgestellt, dass mit dir Dinge geschehen sind, die du dir nicht erklären konntest. Nimm diese besondere Gabe, die du Torgorix unbewusst geschenkt hast, als ein wertvolles Geschenk an“, mischte sich Jordill ein und wollte dann neckend wissen: „Womit beschäftigst du dich denn sonst noch, seit wir vor zwei Tagen die Drachenschule verlassen haben?“
„Mit diesem und jenem. Manchmal frage ich mich, warum Torgorix nichts isst, wenn wir unsere Pausen machen, manchmal muss ich auch an meinen Vater denken, der sich so sehr gewandelt hat und mir am Kaltfließer in allerletzter Sekunde das Leben gerettet hat, sehr oft bin ich mit meinen Gedanken auch bei Merthurillh und hoffe, dass er bald wieder völlig gesund ist. Doch am meisten denke ich über Rorgath nach, der schon lange keinen Kontakt mehr zu mir aufgenommen hat. Ich habe Angst, dass ich ihn nicht mehr rechtzeitig finde.“
„Sorge dich nicht zu viel, sonst vernebelt sich dein Geist und wir können unseren Auftrag die geheime Formel zu finden nicht erfüllen. Wie ich eben schon sagte, vertraue mehr auf dein Schicksal“, versuchte ihn der kluge Elf abzulenken.
„Jordill spricht weise und erfahren, wie es sich für einen klugen Elfen geziemt. Wir Drachen können wesentlich stärker sein, als wir es selbst für möglich halten. Das hast du doch gesehen, als du mich in den dunklen Stollen weit unterhalb der Drachenschule gefunden hast. Ich hatte mich dort verängstigt zurückgezogen und wollte eigentlich nur noch sterben. Doch du hast es mit deiner liebevollen Art geschafft, dass ich wieder an mich glaubte und keine Angst mehr vor der heiligen Prüfung hatte, obwohl ich als halber Wasserdrache wusste, dass ich kein Feuer würde spucken können. Trotzdem kam aus meiner kleinen Kehle ein Feuer, wie ich es noch nie zuvor bei einem Jungdrachen – oder wie du gerade so nett sagtest – bei einem Drachenwelpen, gesehen habe.
Ich glaube fest daran, dass Rorgath nicht stirbt, bevor du ihn gefunden hast. Ich kann mich Jordill nur anschließen, vertraue deinem Schicksal. Und um deine Neugier zu befriedigen: Ich nehme momentan keine Nahrung zu mir, weil ich bald zur Drachenschule fliegen muss.“
„Was hat das denn damit zu tun?“, fragten Jordill und Adalbert zugleich.
„Naja, das ist mir etwas peinlich“, begann der Drache.
„Nun erzähl schon, wir werden dich auch ganz bestimmt nicht auslachen“, versprach Adalbert.
„Ich habe Angst, dass mir schlecht wird, wenn ich dort oben am Himmel fliege. Dann möchte ich nicht auch noch einen vollgefressenen Bauch haben. Außerdem befürchte ich, dass ich gar nicht fliegen kann, denn meine Flügel sind doch viel zu klein, schaut doch selbst“, forderte er die beiden Weggefährten auf und bereitete dabei demonstrativ seine großen und schillernden Schwingen aus, sodass er die wärmende Sonne verdeckte.
„Das sind mit Abstand die tollsten Flügel, die ich je bei einem Drachen gesehen habe“, rief Jordill begeistert und berührte sie vorsichtig.
„Sie sehen nicht nur besonders schön aus, sie sind bestimmt auch mindestens so groß wie die Schwingen von Merthurillh“, fügte Adalbert hinzu.
„Wenn du damit nicht fliegen kannst, dann werde ich von heute an meinen Onkel Tork nur noch tragen“, fügte der Elf hinzu und schlug übermütig ein Rad über den Keiler hinweg.
„In Wirklichkeit hast du gar keine Angst, dass du nicht fliegen kannst, mein lieber Torgorix. Du bist nur unglaublich aufgeregt vor deinem ersten Flug! Glaube mir, wenn ich fliegen könnte, dann würde es mir genauso gehen. Kannst du dir vorstellen, wie aufregend der erste Flug an Merthurillhs Brust war? Ich hätte mir vor Angst beinahe in die Hosen gemacht. Aber auf dieses Erlebnis hätte ich trotzdem nicht verzichtet. Ich glaube, dass dieser Flug das Schönste war, was ich in meinem Leben erlebt habe. Nun mach dir keine Gedanken, sondern flieg los und erobere die Lüfte, mein stolzer Drache!“, forderte Adalbert Torgorix auf.
„Das ist hier nicht die richtige Stelle“, versuchte Torgorix sich zu drücken.
„Es gibt keine bessere Stelle als genau diese hier. Das Gefälle des Hanges ist nur ganz schwach, der Wind steht günstig, du kannst mit Gegenwind starten und die Sicht ist umwerfend. Los, steig auf, du Wolkenstürmer!“, erwiderte Adalbert, der nun nicht mehr locker ließ.
„Los, steig auf, du Wolkenstürmer!“, rief jetzt auch der Elf. Als dann beide zusammen immer wieder diese Aufforderung im nicht wirklich melodischen Sprechgesang trällerten, konnte der arme Drache gar nicht anders, als mit seinen allerersten Flügelschlägen zu beginnen. Dabei stellte sich Torgorix so tollpatschig an, dass Adalbert überzeugt war, hier noch ein gutes Stück Arbeit vor sich zu haben.
„Du musst dich schon in den Wind drehen und viel kräftiger mit deinen Flügeln schlagen, sonst wird das nichts mit dir als Wolkenstürmer“, rief er in den auffrischenden Wind, der eine eisige Kälte zu ihnen herauf blies.