Tilo K. Sandner

Dracheneid


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Recht geben. Du bist ein Held und es werden noch unzählige Abenteuer vor dir liegen, die deine Heldenhaftigkeit noch mehrfach auf die Probe stellen werden“, pflichtete die Drachenlady dem kleinen Mädchen bei.

      „Ich gebe ja zu, Adalbert hat für sein knabenhaftes Alter schon Großes vollbracht. Ihn aber deshalb gleich als Helden zu bezeichnen, halte ich für etwas übereilt“, murmelte der mürrische Altkrieger Rostorrh. „Ein Held zu sein, ist etwas ganz Besonderes und bedarf viel mehr als nur eines bestandenen Abenteuers. Fantigorth und Rorgath, das waren Helden!“

      „Ich denke ebenso wie Ihr, Ritter Rostorrh. Ich bin kein Held und möchte auch gar keiner sein. Wenn ich etwas Gutes für unser schönes Drachenland tun kann, wenn ich täglich an meinen Tugenden arbeiten darf und wenn ich denjenigen helfen kann, die dringend Hilfe benötigen, dann bin ich zufrieden“, ergänzte Adalbert.

      Sowohl Rostorrh als auch der Lorhdrache Okoriath nickten zustimmend.

      „Siehst du, mein Junge, das soll dein Weg sein. Folge ihm weiterhin, ohne vom rechten Pfad abzukommen. Das ist der ehrenvolle Weg des Ritters und deine wirkliche Bestimmung. Glaube nicht, dass das eine leichte Aufgabe sein wird, aber sei dir gewiss, wir stehen immer geschlossen hinter dir. Von uns allen erhältst du die nötige Rückendeckung.“

      Um seine Worte noch etwas zu untermauern, stupste der alte Ritter den nachdenklichen Adalbert mit seiner grauen, vernarbten Schnauze freundschaftlich an.

      Durch viele Stollen und Gänge führte der Junge die Gruppe, doch je länger sie unterwegs waren, umso unsicherer wurde er, ob er überhaupt den richtigen Stollen würde finden können. Natürlich hatten die Elfen lodernde Fackeln und die Zwerge ihre warm scheinenden Grubenlampen mitgenommen und sorgten somit für ausreichend Licht, das selbst in die dunkelsten Ecken fiel, aber auch diese Beleuchtung half Adalbert nicht weiter. Er überlegte schon, die Suche abzubrechen und auf später zu verschieben.

      Doch plötzlich hielt er mitten im Marsch inne: „Genau an dieser Wand sind uns die Runen erschienen, nachdem das Horn von Fantigorth kurz zuvor alles in dieses seltsame grüne Licht getaucht hatte.“

      Er war sich sicher, dass dies die richtige Stelle war, denn etwas Seltsames lag über diesem Ort. Nun legte er seine Hand an die nasskalte Höhlenwand. Die drei Elfenbrüder wollten ihn gerade unterstützen, indem auch sie wie beim letzten Mal die Wand berührten, doch Adalbert winkte ab.

      „Ich glaube, ich werde eure Hilfe diesmal nicht benötigen. Ich bin fest davon überzeugt, dass mir die Runen ihr Geheimnis verraten werden.“

      Kronglogg stellte sich neben ihn, hob seine Grubenlampe hoch und untersuchte aufgeregt die kalte Wand, die für Adalbert aussah wie tausend andere Wände auch.

      „Siebte Zwergen-Dynastie, vielleicht sogar sechste, aber auf jeden Fall dieses Zeitalter. Eine wundervolle Arbeit“, staunte der Zwerg ehrfürchtig. „Nichts, was darauf hinweist, dass schwere Werkzeuge wie Hammer und Meißel diese Wand je berührt haben. Schaut euch das doch nur einmal an! Die Oberfläche wurde mit dem feinsten Meeressand, den man nur an der Küste des westlichen Drunskwest findet, in mühsamen Schleifbewegungen über den Zeitraum von mindestens zwei Vollmonden hinweg bearbeitet. Ihr werdet weder die geringste Unebenheit noch den kleinsten Kratzer finden!“

      Sicherlich hätte sich Kronglogg noch stundenlang über diese vortreffliche Zwergenarbeit auslassen können, doch das knurrige Räuspern des Lorhdrachen erinnerte ihn daran, dass es nicht die künstlerischen Fähigkeiten seines Volkes waren, deretwegen sie hier waren.

      „Lieber Freund, ich weiß, dass dich diese einzigartige Arbeit des Zwergenvolkes begeistern muss, daher verspreche ich dir, dass ich selbst derjenige sein werde, der zu einem günstigeren Zeitpunkt eine genaue und detaillierte Erkundung aller Stollen hier unter deiner Führung beauftragen wird. Das ganze Felsmassiv unter der heutigen Drachenschule ist mit unzähligen Gängen und Stollen durchzogen. Die meisten davon sind für uns Drachen zu eng und daher von uns auch noch nie erforscht worden. Ich bin davon überzeugt, dass du und Olstaff hier viel zu tun haben werdet. Ein detaillierter Stollenplan und eine genaue Datierung aller Gänge wären sicherlich sehr sinnvoll. Wer weiß, was es dort unten noch zu erforschen und zu entdecken gibt.“

      „Das ist eine Aufgabe ganz nach meinem Geschmack!“, freute sich der Zwerg und klopfte dem Chronisten für Zwergenbegriffe sanft auf die Schulter.

      „Nicht doch immer so brutal, du gefühlloser Zwerg“, protestierte der schmächtige Olstaff hustend.

      Alle drängelten sich jetzt höchst gespannt um Adalbert, wobei die mächtigen Drachen den Elfen den Vortritt ließen, damit diese auch etwas sehen konnten. Birgit stand an Adalberts Seite und ließ sich diesen Platz nicht nehmen. Der Chronist Olstaff hatte sich dicht an Adalberts linke Seite gestellt und zog aus seiner Umhängetasche aus schlichtem Leder eine schieferne Schreibtafel und einen Grafitstift hervor. Er wollte unbedingt jedes einzelne Symbol so schnell wie möglich dokumentieren, bevor es wieder unsichtbar wurde, falls sich die Runen überhaupt erneut zeigten.

      Nachdem endlich jeder seinen Platz gefunden hatte, wurde es so still, dass man problemlos gehört hätte, wenn in der nächsten Höhle eine Nadel zu Boden gefallen wäre. Nun legte Adalbert auch seine zweite Hand gegen die nackte Felswand, schloss die Augen und konzentrierte sich.

      „Bitte Wand, gib mir dein Geheimnis frei und zeig mir erneut deine Inschriften, damit ich erfahre, wie ich die Seele von Allturith in mir retten kann“, flüsterte Adalbert leise, der sich irgendwie selbst dumm dabei vorkam. Wie konnte er eine Wand aus kaltem Fels um einen Gefallen bitten?

      Doch als wenn diese nur auf seine Bitte gewartet hätte, begann sie plötzlich ganz leicht zu vibrieren und wurde zunehmend wärmer. Das Horn von Fantigorth, welches sich Adalbert über seine Schulter gehängt hatte, reagierte ebenfalls und leuchtete kaum wahrnehmbar. Und mit jedem einzelnen seiner Atemzüge wurde das grünliche Schummerlicht heller.

      „Da ist es wieder, das seltsame Licht“, murmelte Jordill aufgeregt. „Ihr seht, wir haben euch kein Märchen erzählt!“

      Doch daran hatte sowieso keiner auch nur den geringsten Zweifel gehabt. Instinktiv nahm Adalbert das Horn von der Schulter und drückte es behutsam gegen die Wand. Wie kleine Blitzstrahlen schossen plötzlich unzählige grüne Leuchtkugeln, groß wie Hagelkörner, aus der Stelle, wo die Wand vom Horn berührt wurde. Entgegen aller Erwartungen verletzten diese Leuchtkörper keinen der erschrockenen Anwesenden. Jedes Mal, wenn sie jemanden berührten, änderten sie ziellos ihre Richtung und schwebten scheinbar schwerelos im Raum umher. Mit ihrem geheimnisvollen Licht verwandelten sie den ganzen Stollen in eine mystische Stätte.

      Wenige Augenblicke später vereinten sich alle Lichtpunkte zu einem einzigen grünen Lichtkörper, der direkt über Adalberts Kopf schwebte und an eine grünfarbene Sonne erinnerte. Doch diese Sonne schickte ihr Licht nicht in Strahlen aus, sondern in harmonischen Wellenbewegungen, die fast einem rhythmischen Muster zu folgen schienen. Mit der dritten oder vierten Lichtwelle gegen die Felswand wurden dann die geheimen Runen sichtbar.

      Olstaff war so von diesem einzigartigen Schauspiel verzaubert, dass er nur staunend da stand. Erst als Lady Coralljah ihn bat, doch endlich die Runen auf seine Tafel zu schreiben, wurde er schlagartig so eifrig, als ob sein Leben davon abhinge.

      Lady Coralljah schob sich an Okoriath und Rostorrh vorbei und kam ganz dicht an Adalbert und die schimmernde Wand heran. Sie wollte sich nicht allein auf Olstaffs Schreibgeschwindigkeit verlassen, sondern sich die Runen unbedingt selbst einprägen, ehe sie womöglich wieder in der Dunkelheit verschwanden.

      „Es wird die Zeit kommen“, begann sie langsam und mühsam mit der schwierigen Übersetzung der geschwungenen Runen, „da die geheimen Worte zur Einleitung der heiligen Tragorarrh gesprochen werden müssen, um die Übertragung – oder Hinüberbringung, da bin ich mir nicht so sicher – der edlen Seele zur Wiedergeburt eines mächtigen Drachen einzuleiten. Nur der erwählte Seelenträger selbst darf der Tragorarrh beiwohnen und die behütete Formel leise sprechen, die als allerhöchstes Geheimnis von einem Lorhdrachen auf den nächsten Lorhdrachen weitergegeben wird.“

      „Was ist denn eine Tragordingsda?“, fragte Birgit Jordill flüsternd.