John Martin Littlejohn

Das große Littlejohn-Kompendium


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der Medizin Veränderungen statt, die in anderen Zeitaltern unbekannt waren. Auch in anderen Bereichen macht die Künstlichkeit der Natürlichkeit Platz. Der Ballast, den man der Wissenschaft hinzugefügt hat, wird abgeladen. Und die Methoden der Beobachtung und des Experiments führen uns zurück zu den schlichteren und sicheren Methoden der Natur. Dies gilt wahrscheinlich mehr für die Medizin als für alle anderen Wissenschaften. Die ihrer Natur nach künstliche Symptomatologie weicht der Erörterung der tatsächlichen Ätiologie und Natur anomaler Zustände.

      Es kann als gut bestätigte Maxime gelten, dass nichts außerhalb der angemessenen Zeit entsteht.36 Zur Krönung des Lebens, die im Horizont der Menschheit erschien, heißt es: Er erschien „[…] in der Fülle der Zeiten.“ 37 Und es kann passend über jede große Wissenschaft im Fortschritt der Geschichte gesagt werden, dass sie in der Fülle der Zeiten entstanden ist. Unter allen großen Wohltaten der Menschheit nimmt keine eine derartig hohe Stellung ein wie die Wissenschaft und Kunst der Heilung. Ein antiker Wissenschaftler hat unsere Profession begeistert so gelobt:

      „Der Mensch kommt den Göttern nirgends so nahe wie dann, wenn er den Mitmenschen Gesundheit verleiht.“ Worin auch die Ursache des Beginns von Krankheit, Leiden und Tod besteht und worin auch immer der Zweck ihrer Existenz liegen mag: Es ist eine gut bestätigte Tatsache, dass sie überall herrschen, wo es Menschen gibt. Leiden zu erleichtern und Krankheit zu bekämpfen, gehört zu jenen Bestrebungen des Menschen, die am höchsten geschätzt werden. Doch wenige haben die Ehre erlangt, Gründer und Pionier in dieser großen Bewegung zu werden. Zu diesen wenigen zählt Andrew Taylor Still, und die mit eisernem Stift auf die Berge der Zeit geschriebene Geschichte wird von seinem wundervollen Leben erzählen, von seinem über ein Vierteljahrhundert dauernden, geduldigen Arbeiten, durch das Sie und ich bereichert worden sind, indem wir von ihm die Prinzipien der Osteopathie empfangen haben. Gott hat der Menschheit die besten Gaben stets in der Form eines menschlichen Lebens geschenkt. Und stets hat Er ein menschliches Leben von überdurchschnittlichem Ernst, Beredsamkeit und Kraft zum Mittel und Maß seiner Gaben an die Menschheit gemacht. Keinem einzelnen Zeitalter ist alles Wissen offenbart worden, doch wie Zeit und Gelegenheit nach Wissen verlangten, kam es zum Menschen. Von keiner Profession als der Ihren lässt sich mit mehr Berechtigung sagen, dass Wissen das tatsächliche Fundament ihrer Existenz und ihres Fortschritts ist, die wesentliche und grundlegende Basis ihrer Fortdauer. Jene Menschen, die alleine standen, wurden zu Helden der Welt. Schon ein Fingerschnippen von Caesar beeindruckte den Römischen Senat. So hat Dr. Still, der Vater und Gründer der Osteopathie, nachdem er Jahre im Labor der Natur beim Studium der menschlichen Anatomie und Physiologie zugebracht hatte, seine Wissenschaft gegründet, diese jüngste und noch jungfräuliche Tochter der Wissenschaft, die als Vorbote von Gnade und Gesundheit für eine leidende und schwache Menschheit auf die Erde kam. Diese Wissenschaft wurde Ihnen vermittelt. Und Sie sind nun die Verwahrer dieses Wissens und die Praktizierenden dieser Wissenschaft. Die Osteopathie ist eine Kunst, denn „Wissen ist Macht“, wie Bacon sagte. Und wo Wissen keine Macht ist, ist es nutzlos und sogar schlechter als nutzlos, denn es wird gefährlich. Geben Sie ihr Wissen weiter, denn Bildung generiert Macht.“

      Es hat viele Erörterungen zur Wissenschaft der Medizin und ihrer Realität gegeben. Ich habe mehrmals den Ausdruck Medizin verwendet. Er kommt von medicus, medicina und medeor, was heilen bedeutet. Das Enzyklopädische Wörterbuch definiert Medizin als „[…] eine Wissenschaft und Kunst, die sich primär auf die Vermeidung von Krankheiten und sekundär auf deren Heilung richtet.“ Man hat behauptet, es gebe keine Wissenschaft der Medizin. Sofern Sie unter Medizin Medikamente verstehen, ist das auch korrekt. Doch jeder von Ihnen, der mit den großen medizinischen Schulen dieses Landes und Europas vertraut ist, weiß sehr gut, dass Medikamente nur einen kleinen Teil des Ausbildungssystems einnehmen, nach dem in diesen berühmten Schulen gelehrt wird. Anatomie, Physiologie, Pathologie und Symptomatologie haben in diesen Schulen ihre Wächter und Förderer gefunden. Und wenn wir die Pharmakologie beiseite lassen, bleibt ein großer Bereich der medizinischen Ausbildung, der für uns beim Aufbau der Wissenschaft der Medizin sehr wertvoll ist. Von 17 Lehrstühlen in der Universität Edinburgh befassen sich nur zwei direkt mit Medikamenten, die übrigen 15 behandeln das menschliche System in seinem normalen und anomalen Zustand. Die Wissenschaft der Medizin handelt von der Erhaltung und Verlängerung des menschlichen Lebens und befasst sich mit der Vermeidung und Heilung jener anomalen Zustände bzw. Krankheiten, die das Leben bedrohen und zerstören. Da der Gründer der Osteopathie anwesend ist, wage ich nicht, die Osteopathie zu definieren. Es genügt zu sagen: Sie geht davon aus, dass der Körper ein vollkommener Mechanismus ist und dass dann, wenn er gestört ist, die Natur in ihrer eigenen ressourcenreichen Ökonomie alle Heilmittel bereithält. Man braucht nur die magische Hand eines kunstfertigen Maschinisten, um diese Heilmittel einem erkrankten Teil als Hilfe zu bringen. Während Sie der Osteopathie treu sind, erinnern Sie sich daran, dass Sie all jenen Vorfahren großen Dank schulden, die das Feld der normalen und der morbiden Anatomie und Physiologie gepflügt und es uns, denen der Gründer der Osteopathie deren Prinzipien gab, ermöglicht haben, diese mit Genauigkeit und Bestimmtheit am menschlichen System anzuwenden.

      Das homöopathische Prinzip similia similibus curantur ist insofern nicht auf die Osteopathie anwendbar, als Medikamente verwendet werden oder verwendet werden sollten; jedoch ähnelt es dem osteopathischen Prinzip in der Hinsicht, dass die einzige rationale Methode, Krankheiten zu heilen, auf einem natürlichen Prinzip gründet. Warum erzielt die Osteopathie ihre gegenwärtigen Triumphe, die noch lange anzudauern versprechen? Weil wir eine exakte Wissenschaft sind – und weil diese Wissenschaft fest auf dem Fundament der Natur ruht. Die Natur hat ihre Siege auch in anderen Bereichen errungen. Im Bereich der Erziehung errang sie einen Sieg und die Namen von Rabelais, Rousseau, Montaigne, Pestalozzi und Fröbel bezeugen die wissenschaftliche Macht der Natur in den Händen fähiger Erzieher, unter deren Genius die moderne Erziehung aufgehört hat, ein System des Paukens zu sein. Jetzt verspricht sie, Stimulation des mentalen Wachstums zu sein, das gefördert wird durch fachkundiges Kommunizieren von Wissen auf natürliche Art und Weise. Was die Natur in anderen Bereichen geschafft hat, kann sie auch im Bereich der Medizin erreichen. Triumphiert die Natur, wird alles Unnatürliche ausgetrieben und man wird den Körper endlich als perfekten Medizinschrank verstehen, der auf die Hand jenes Genius wartet, der ihn öffnet und die lindernden Ströme der Natur frei fließen lässt. Jemand hat behauptet, der Unterschied zwischen Allopathie und Homöopathie bestehe darin, dass bei letzterer die verabreichte Medikamentendosis auf ein solches Minimum reduziert wird, dass der Patient gerade noch das Gefühl habe, er nehme etwas ein. Der Unterschied zwischen Allopathie und Homöopathie auf der einen Seite sowie der Osteopathie auf der anderen besteht darin, dass im Fall der Osteopathie keine Medikamente verwendet werden – außer die der Natur.

      Sie werden, wie überall, auch in der medizinischen Profession auf zwei Arten von Menschen treffen. Es gibt ehrbare und geehrte Mediziner, die Medizin niemals im Sinne von Medikamenten verstanden haben. Diese werden unsere Wissenschaft willkommen heißen, sofern Sie Ihren Teil erfüllen. Seien Sie aber nicht erstaunt, wenn die Masse der medizinischen Bruderschaft sie kalt empfängt. Sie müssen Ihr Recht, Arzt genannt zu werden, durch ihre Arbeiten beweisen. „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“ 38, ist eine göttliche Maxime. Ihre Worte werden weniger Wirkung haben als Ihre Taten. Mögen Ihre größten Leistungen dazu führen, dass dies von Ihnen gesagt werden kann, wenn Sie losmarschieren:

      „Vorwärts geht er: Tod und Krankheit flieh’n;

       murmelnde Dämonen hassen und bewundern ihn.“

      Unter den Menschen werden Sie welchen begegnen, die Ihre Wissenschaft willkommen heißen, aber auch anderen, die sie ablehnen, weil sie ebenso mit den Medikamenten verheiratet sind wie der medizinische Berufsstand, der sie nach ihrem Bedarf beliefert. Auch in diesem Bereich läutet jedoch wie in jedem anderen das Totenglöckchen für den Dogmatismus. „Der Tag der Orthodoxien ist vorüber und eben bricht der Tag der wahren Wissenschaft an.“ Nehmen Sie das Banner dieser jungfräulichen Wissenschaft39, wie Sie dies mit der amerikanischen Flagge auf dem Schlachtfeld tun würden. Lassen Sie es über sich wehen, wohin Sie auch gehen, und Sie werden Pioniere und Verteidiger der Wahrheit sein. Wir schicken Sie hinaus, weil wir nicht selbst gehen können. Der Alte Doktor40 hat hier das Fort gebaut. Er steht auf seinem Wachturm.