John Martin Littlejohn

Das große Littlejohn-Kompendium


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Nicht um einen verblendenden Namen aufzubauen,

       nicht um in angenehmen Zelten zu wohnen.

      Denke nicht, dass der Weg bequem ist,

       hoffe nicht, dass die Dornen Rosen sind;

       Wirf kein sehnsüchtiges jugendliches Auge dorthin,

       wo der Sonnenstrahl ruht;

      Du hast eine ernstere Arbeit zu tun,

       Heerscharen durchschneiden Deine Passage;

       Direkt hinter Dir brennen Meerbusen.

       Vorwärts! Es gibt keine Umkehr.

      Nutzt das Recht zu kämpfen!

      Bereitet den Weg!“

      Meine Damen und Herren Graduierte, ich danke Ihnen für Ihre freundliche Aufmerksamkeit.

      3. ABSCHLUSSREDE ZUR OKTOBERKLASSE 1898

      Journal of Osteopathy (V), 1898, S. 325–330.

      Durch den Auftrag meiner Kollegen und die besondere Einladung der Graduiertenklasse wurde mir die Ehre zuteil, Sie mit einigen Worten zum Erreichen dieser hohen Stellung zu beglückwünschen. Ich erinnere mich, dass der berühmte Wissenschaftler Sir William Thompson Lord Kelvin in seiner Abschlussrede vor der Graduiertenklasse sagte: „Meine Herren, ich gehöre zu Ihrer Klasse, ich bin, wenn Sie so wollen, das Seniormitglied Ihrer Klasse.“ Und in einem solchem Geist – also nicht mit der Autorität Ihres Meisters und Lehrers, sondern als Ihr Kamerad – darf, wie ich hoffe, auch ich Ihnen meine Glückwünsche an Sie entbieten. Meine Pflicht ist teilweise eine persönliche und teilweise erfülle ich sie im Auftrag meiner Kollegen, in deren Namen ich all die Sie betreffenden guten Wünsche und Hoffnungen, aber auch die Befürchtungen zum Ausdruck bringe, die den Geist jedes ehrlichen Lehrers stets bewegen.

      Sie treten hinaus in die große Arena des Lebens, um nie mehr zurückzukehren in den Klassenraum, der so voll ist von angenehmen Erinnerungen. Nun müssen Sie den Lebenskampf in einer neuen Profession aufnehmen. Sie werden spüren, wie Lebensfreundschaften sich bilden und zerbrechen, wie Verbindungen abreissen, um irgendwann im Leben vielleicht erneut geknüpft zu werden oder für immer beendet zu sein. Sie waren in hohem Maß abhängig von der Leitung Ihrer Lehrer, jetzt müssen Sie alleine stehen. Und ich möchte Sie bitten, die begonnenen Studien fortzusetzen und mit dem Fortschritt des Wissens und der Weiterentwicklung Ihrer Wissenschaft Schritt zu halten. Vorlesungen sind sicher nicht zu verachten, aber Sie müssen Ihre Vorlesungen nun aus Büchern holen. Erinnern Sie sich an Miltons Worte in seiner ikonoklastischen Rede für die Freiheit, unzensierte Texte zu drucken:

      „Ein gutes Buch ist das kostbare Lebensblut eines meisterlichen Geistes, einbalsamiert und als Schatz aufbewahrt für ein Leben danach.“

      Es liegt eine Faszination in der Literatur Ihrer Wissenschaft. Denken Sie jedoch daran, dass Sie in Experimenten, Tatsachen und Beobachtungen das Buch der Natur, des Physischen und Menschlichen, vor sich liegen haben – und die Wahrheit selbst, wie sie aus den lebendigen Quellen gesammelt wurde. Für jeden wahrhaften Beobachter sind das die unauslöschlichen Literaturseiten. Erinnern Sie sich, dass der großartige Gründer dieser großartigen Wissenschaft in den Wäldern, ja sogar unter den Sternen anhand von Skeletten und allerlei zerlegten Knochen für seinen eigenen Geist die Wissenschaft der Osteopathie formulierte. Er brachte Leben in diese trockenen Knochen, verband Sehne mit Sehne, Gelenk mit Gelenk, fügte das Blut und die Lymphe und zuletzt das Leben selbst hinzu – und präsentierte uns ein komplett artikulierendes Skelett, ja einen vollständig lebendigen Körper.

      John Hunter, neben dem kein mächtigerer Genius eine Rolle im Bereich von Biologie und medizinischer Wissenschaft spielt, pflegte zu seinen Studenten zu sagen: „Denken Sie nicht, sondern versuchen Sie!“ Freilich wollte er Ihnen damit nicht etwa von intellektueller Betätigung oder vom Denken abraten, denn er selbst war ja unaufhörlich aktiv. Was er meinte, war, dass alle intellektuelle Aktivität konkrete Arbeit im Bereich des Experiments und der Beobachtung bedeutet. Sehr gut drückte das ein großer Mediziner in seiner Einführungsvorlesung für seine Studenten aus:

      „Wie können wir Ihnen wirksam die flüchtigen Phänomene von Krankheit beibringen, wenn Sie nicht selbst die entsprechenden Phänomene von Gesundheit erforscht haben?“

      In den vergangenen Jahren hat sich im Bereich der Forschung sehr viel getan. Dadurch wird die Medizin weiter und weiter aus dem Reich der Hypothesen und des Dogmatismus herausgeführt und auf ein festes Fundament aus Tatsachen gestellt. Die Diagnose wird immer perfekter – vor allem dadurch, dass man sie in eine enge Beziehung zu physiologischem und pathologischem Wissen über gesunde und krankhafte Zustände bringt. Was früher eine hypothetische Läsion war, kann heute durch den Kardiografen, das Ophthalmoskop und den Röntgenapparat nachgewiesen werden. Dass sie die Diagnose vom Ideal in etwas wahrhaft Reales verwandelt hat, war vielleicht der größte Beitrag der Osteopathie zur medizinischen Wissenschaft. Nur durch Perfektionierung der Diagnose kann unsere Wissenschaft aus der Dämmerung ins Tageslicht fortschreiten. Es wird enorme Liebesmühen, vielfache Beobachtungen und Experimente im genuinen Geist der exakten physikalischen Wissenschaft erfordern, um diesen Fortschritt zu vollbringen.

      Lernen Sie, Ihre Augen und Ohren zu gebrauchen. Sie müssen geradezu lauern auf Wissen und auf jede Gelegenheit, es zu erwerben. Verfolgen Sie die Wissenschaft und üben Sie Ihren Beruf jenseits reiner Pflichterfüllung aus. Betrachten Sie ihn nicht lediglich als Mittel, um Ihre Existenzgrundlage zu sichern oder als Goldgrube. Machen Sie ihn nicht zu einer Straße des persönlichen Ruhmes oder zum Instrument praktischer Nächstenliebe. Emersons Ideal war großartig:

      „Dies Noblem zu dienen hilf ihnen,

       die sich nicht selbst helfen können.

       Und bewahre sie davor,

       vom rechten Weg abzukommen.“

      Es liegt eine ganz eigene Heiligkeit in der Wissenschaft und Kunst der Heilung. Sie müssen sich den erschütterndsten Szenen stellen, die Sterbliche jemals zu sehen bekommen, und das große Vertrauen empfangen, dass Menschen geben können. Können Sie sagen, woher das Leben kommt, wohin es geht und welchem Zweck es dient? Wenn Sie Ihre Hände auf einen Kranken legen, dann tun Sie das so ehrfürchtig, als würden Sie den Urmechanismus von Erde und Himmel berühren, den Körper des Menschen, die vollkommenste Verkörperung göttlicher Weisheit. Denken Sie stets daran, dass Ihr Beruf auch vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen untadelig ist. Die reine Liebe zur Wissenschaft um der Wissenschaft willen ist ein edles Ideal. Tausende von Jahren sind vorbeigezogen, hinein in das Geheimnis des für alle Zeit Vergangenen, damit Sie diese Wissenschaft kennenlernen können. Die Wissenschaft aus Tausenden von Jahren hat im Vorüberziehen ihr üppig beschriebenes Blatt entrollt, damit die Beute der Zeit Sie bereichern möge. Was werden Sie tun mit diesen Schätzen, die in Ihren Händen liegen? Ein verwöhntes Kind der Wissenschaft werden? Oder der heroische Meister der jüngsten Wahrheit? Lassen Sie nicht zu, dass der fluchwürdige Hunger nach Gold42 das Wesentliche in Ihrem Leben auffrisst! Sie sollten den Ehrgeiz haben, den Wettlauf um Ruhm zu gewinnen, der nicht vergiftet ist von der Gier nach Ruhm. Milton sagt:

      „Ruhm ist der Ansporn eines frischen Geistes jenes unsägliche Gebrechen eines noblen Verstandes; Verachte leichte Freuden und lebe produktive Tage.“

      Hoch über Ruhm, Reichtum und sogar Ehre steht der Geist der Selbstaufopferung, der Hingabe und der Pflichterfüllung, wenn Sie Ihr eigenes Lebens und Ihre Wissenschaft makellos bewahren wollen. Heute ist es gottlob nicht mehr möglich, einen Menschen zu verurteilen, weil er nicht wie seine Väter glaubt, denn dies ist das Tageslicht der wahren Wissenschaft. Obgleich Bacon ihn als seines großen Geistes nicht würdig außer Acht ließ, glauben wir an den Blutkreislauf – weil er längst keine Theorie mehr ist, sondern eine bewiesene Tatsache, gestützt durch intensive Forschung. Wahrheit hält sich selbst aufrecht durch die schiere Kraft ihrer eigenen inhärenten Standfestigkeit. Verbale Nötigung ist ebenso grausam wie die Inquisition, professionelle Tyrannei ebenso blutdürstig wie der Spanier – und ebenso sicher zum Fallen verurteilt, dank des unaufhaltsamen Fortschritts aufgeklärter Freiheit.

      Schon