John Martin Littlejohn

Das große Littlejohn-Kompendium


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Jugend.“

      Ich denke, die Osteopathie wird bestehen, wenn sie sich in den Händen geeigneter Männer und Frauen befindet und in Bezug auf die anderen Wissenschaften den richtigen Stand einnimmt. Die Osteopathie lehnt Arzneimittel im Sinne von Medikamenten ab, sie kann es sich jedoch nicht leisten, irgendetwas alles anderes abzulehnen. Die Osteopathie ist zweifellos eine unabhängige Schule der Medizin und muss nicht befürchten, neben anderen zu stehen, um zunächst mit ihnen zu rivalisieren und sie schließlich auszustechen, wenn sie an Anatomie, Physiologie, Pathologie, Diagnose, Hygiene, Chirurgie, Geburtsheilkunde und Chemie festhält und dabei die Theorie und Praxis der alten, mit Medikamenten arbeitenden Schule durch osteopathische Therapie und Praxis ersetzt. Alles, was die medizinische Wissenschaft erreicht hat, gehört uns, wenn wir es annehmen. Wären Sie und ich lediglich Knocheneinrenker44 und müssten für die Behandlung schwerer Krankheiten oder chirurgischer Fälle einen Dr. med. hinzuziehen – dann würden wir gut daran tun, einzuräumen, dass wir nur ein Teil einer Profession sind und einen hinteren Platz einnehmen. Es gibt Gründe, warum in der Zukunft alle Osteopathen Chirurgen sein sollten.45 Wird sollten nämlich in der Lage sein, auch solche Fälle zu behandeln, bei denen ein chirurgischer Eingriff erforderlich ist. Bewerten wir die moderne Chirurgie als Manie, unnötige Operationen durchzuführen, dann kann der Osteopath sie nur reformieren, indem er in Fällen, wo es notwendig ist, osteopathische Chirurgie anwendet. Dies entspricht auch dem Ziel der Charta dieser Institution, die plant, unser derzeitiges System der Chirurgie zu verbessern.

      Sie betreten die Arena, um beim Verhüten von Krankheit zu helfen, um die Gesundheit zu bewahren und sogar den Gesunden das Leben noch angenehmer zu machen. Möge es Ihr Bestreben sein, menschliches Leid zu verringern, die auf die Verletzung physiologischer Gesetze folgende Strafe wenigstens zu mildern und die Menschen zu erziehen, das größte Geschenk, den menschlichen Körper, zu pflegen und zu schützen. Wir als Ihre Lehrer haben versucht, treu unsere Pflicht zu erfüllen, indem wir Sie die Prinzipien unserer Wissenschaft gelehrt haben. Unsere Worte mögen vergehen, doch wir vertrauen darauf, dass der Unterricht, den Sie bekommen haben, und die Form, in die Ihr Leben gegossen worden ist, als ewige Wahrheiten Bestand haben werden. Unsere Fehler und Unvollkommenheiten bitten wir Sie, aus Ihrem Gedächtnis zu löschen. Mögen Sie den Gedanken mit hinaustragen, dass wir Ihnen Erfolg in den von Ihnen gewählten Tätigkeitsbereichen wünschen. Ob Sie nun weit entfernt oder ganz nahe wohnen: Unsere Gedanken und Erinnerungen werden sich oft um Sie drehen in der Hoffnung, dass Sie uns und der Sache der Osteopathie gegenüber loyal bleiben.

      Graduierte der Oktoberklasse, auf Ihnen ruht eine größere Verantwortung als auf jeder anderen Klasse, die vor Ihnen graduiert wurde, denn Sie haben die Ehre, die Verpflichtungen all jener zu erben, die Ihnen vorausgegangen sind. Tennyson spricht vom Wissen als dem älteren und von der Weisheit als dem jüngeren und weiseren Kind, die beide Seite an Seite, in der Prozession derer schreiten, die Auge in Auge auf das Wissen schauen. Wir vertrauen darauf, dass Sie das Kind der Weisheit sein werden. Und es ist das Vorrecht der Weisheit, über jedes untergeordnete Prinzip zu walten. Sie gibt allen Kräften der menschlichen Natur die letzte Richtung und wird zum letzten Richter im menschlichen Tun.

      Ich danke Ihnen für die Ehre, die Sie mir erwiesen haben, indem Sie mich baten, zu Ihnen zu sprechen, und auch dafür, dass Sie meinen Worten Ihre freundliche Aufmerksamkeit geschenkt haben.

      4. DIE OSTEOPATHIE IN DER APOSTOLISCHEN SUKZESSION DER MEDIZIN46

      Abschlussrede vor der Januarklasse 1899. Journal of Osteopathy (V), 1899, S. 421–431.

      Heute Abend trete ich vor Sie, um Ihnen meine Glückwünsche und die meiner Kollegen zu diesem glücklichen Ereignis in Ihrer Lebensgeschichte zu übermitteln. Nach 20 Monaten sorgfältigen Studiums und geduldigen Wartens haben Sie diesen Höhepunkt in Ihrer Berufslaufbahn erreicht – und nun sind Sie bereit, hinaus in die Arena des professionellen Lebens zu gehen, um an der Heilkunst teilzuhaben. Meine Grüße gehen an Sie in dem Geist eines Menschen, der nicht nur in Ihren Studien, sondern auch beim Beginn Ihrer Berufslaufbahn Sympathie für Sie empfindet. Unsere freundliche Sympathie und unsere ungebrochene Kameradschaft möge Sie mit dem ehrlichen Wunsch begleiten, dass Sie erfolgreich sein und dass Ihre Berufslaufbahn für Sie und für uns als Ihre Lehrer ehrenvoll sein wird. Und natürlich, dass Sie das Ansehen der Wissenschaft der Osteopathie erhöhen mögen.

      Wenn wir uns die Geschichte der Heilkunst vergegenwärtigen, dann begegnen wir überall Kontroversen und bitterem Kampf. Überblicken wir diese Kämpfe, sind wir geneigt zu fragen, wie weit sich die Neuzeit über die bloße Routine toter Orthodoxien erheben konnte und die Probleme der Medizin im Licht der modernen Wissenschaft und deren verbesserter Methoden betrachten kann. Zuerst müssen wir lernen, dass wir es mit Sachverhalten zu tun haben, mit den Tatsachen des Lebens, statt mit bloßen Worten. Mithin muss alles, was erreicht wird, auf die Kategorie der persönlichen Beobachtung zurückgeführt und somit in das frische und lebendige Licht der Fakten und der Natur gestellt werden. Dies stellt den modernen Geist der wissenschaftlichen Forschung dar, durch welche wir alleine aus den toten Dogmatismen der Vergangenheit auferstehen können, um im Wissen und in der Kunst fortzuschreiten. Dieser Geist ist vom Labor, vom Sektionssaal und vom Krankenhaus durchtränkt. Um ihn zu erlangen, wird vor Ihnen das weite Feld der Naturgeschichte geöffnet, denn nur darin lernen Sie, dass es eine wahre und zentrale Einheit in der Natur gibt, die wir geneigt sind, aus dem Blick zu verlieren, wenn wir uns auf bestimmte Abschnitte des Studiums allzu sehr spezialisieren. Sogar bei einfachen Objekten, wie etwa den Blütenblättern einer Blume, entdecken wir praktischere und bildendere Weisheiten als in den gesamten scholastischen Behauptungen über ein Jahrtausend hinweg. Während des Mittelalters und fast in der gesamten Antike bezeichnete die wissenschaftliche Methode genau das Gegenteil davon. Die Scholastik sollte dem Geist das Abstrakte präsentieren und vom Abstrakten sollte weiter auf die Tatsachen geschlossen werden. Oft entsprachen die Tatsachen aber nicht der Realität und dann endete der Prozess in einer nichtssagenden Phraseologie. Auf diese Weise führten Demokrit und Lukrez die wesentlichen Prinzipien aller Sachverhalte auf das Zusammentreffen von Atomen zurück. Das Studium der Medizin war für lange Zeitalter an den Nominalismus gebunden, also an das Studium von Worten und von Anschauungen des Geistes, die den Platz von Symptomen und Ursachen der Krankheit einnahmen. Das Ergebnis dieses okkulten Nominalismus besteht in der Polypharmakologie der Neuzeit. Dunkle Anschauungen erfordern die dunklen Qualitäten der Medikamente. Dieser Okkultismus wurde nur allmählich abgelegt, was eher durch das Studium äußerer Objekte als durch Anschauungen oder fantasievolle Ansichten geschah. Vesalius legte im 16. Jahrhundert das Fundament für das Studium der modernen Anatomie, ihm folgten eine lange Reihe berühmter Anatomen, die Harvey den Weg bereiteten.

      Andere Wissenschaften wurden durch die Begeisterung von Galileo befeuert, der es als Erster wagte, von unabhängigen Tatsachen im Blick auf die Astronomie zu sprechen. Allein die Medizin war in den vergangenen Jahrhunderten ein Bummler. Die Heilkunst wird weiterhin in großem Maß von Präzedenzfällen geprägt. Hauptsächlich deswegen, weil die Medizin in der Antike imprägniert worden ist und ihre Prinzipien aus einer vorchristlichen Periode entnimmt. Heute verwendet die alte Schule der Medizin diese insofern, als sie die Sprache von Knidos übernimmt und der Prognostik des Hippokrates folgt. Wir erkennen inzwischen jedoch, dass wir in einem neuen Zeitalter des Wissens, des höheren Lebens und der höheren Anschauungen leben. Und in diesem Geist erhebt die letzte Tochter der Wissenschaft, die Osteopathie, ihr Haupt und beansprucht, Erbin all dessen zu sein, was in der Geschichte der Heilkunst gut war. „Wer nach den wichtigen Dingen des Lebens strebt, der strebt auch nach einem tugendhaften und gleichmütigen Geist“, sagte der chinesische Weise. Es ist in diesem Zeitalter des Fortschritts unmöglich „[…] umherzugehen in einem Wirbel nichtigen Staubes.“

      DER HÖHEPUNKT DER GESAMTEN MEDIZINISCHEN GESCHICHTE

      Jetzt tritt die Osteopathie auf und beansprucht den Bereich nicht als Wiederherstellung irgendeiner verlorenen Kunst, nicht als Aufbau irgendeines mystischen Systems, sondern zeigt sich vor der Welt und der medizinischen Profession als der Höhepunkt