BEGRIFFE
Einige Begriffe müssen hier noch explizit herausgegriffen und kurz erklärt werden, da sie für das Verständnis von Littlejohn essenziell sind:
Heilung: Hier ist immer der Heilungsprozess an sich gemeint. Der Osteopath ist niemals für die Heilung selbst verantwortlich. Er optimiert lediglich die anatomischen Rahmenbedingungen. Dies optimiert wiederum die physiologischen Prozesse, die ihrerseits die Grundlage der Selbstorganisation im Körper repräsentieren.
Anpassen: Ziel der Osteopathie ist niemals eine Korrektur, da dies implizieren würde, dass der Behandler es besser wüsste als die ‚schöpferische Intelligenz‘ innerhalb des menschlichen Organismus selbst. Hier folgt er ebenfalls ganz und gar Still.
Pathologie: Bedeutet bei Littlejohn ausschließlich veränderte Struktur. Alles andere, das also, was wir heutzutage als funktionelle Störung oder somatische Dysfunktion bezeichnen, fällt bei ihm unter den Aspekt der Pathophysiologie, d. h. eine veränderte Physiologie bei intakter Struktur. Pathologie existiert zudem niemals isoliert und schon gar nicht als etwas ‚Böses‘, das man heroisch zu besiegen hätte. In seinen späten Jahren behauptet Littlejohn sogar, dass es keine diseases, sondern nur health und un-health gibt.
Läsionen: Sind nicht nur Fehlstellungen eines Wirbelkörpers, sondern generell alle Formen somatischer oder psychischer Dysfunktionen.
Toxämie, Vergiftung: Bezeichnet jegliche Form der Dysbalance bezogen auf die Bestandteile in den Geweben und Körperflüssigkeiten, also auch Komponenten des Immunsystems, Nährstoffe, etc.
Artikulation: Die bewegliche Verbindung unmittelbar aneinander grenzender Strukturen, d. h. nicht nur Knochen, sondern auch Viszera, Nerven- und Blutbahnen, Flüssigkeiten etc.
Tumore: Bezeichnen Schwellungen allgemein, also nicht zwingend Krebs.
Erblich: Ist nicht gleichbedeutend mit genetisch, sondern muss im epigenetischen Sinn bzw. im Kontext der Sozialisierung verstanden werden.
Widerstand: Das körpereigene Potenzial, jenen Kräften und Substanzen entgegenzuwirken, die dem physiologischen Zusammenspiel als Basis für Gesundheit und Integrität des Körpers entgegenwirken.
TECHNIKEN
Ausführlich beschreibt Littlejohn Techniken, die heute als Allgemeine Osteopathische Techniken oder GOTs bekannt sind und heute noch v. a. im Rahmen von body adjustment unterrichtet werden. Geradezu bahnbrechend begründet er damit den Gedanken der Integration, d. h. es genügt nicht, nur die Versorgungszentren betroffener Strukturen zu behandeln, sondern diese Anpassung ist darüber hinaus durch Ausbalancieren der Nervensysteme in den Organismus zu verankern – was eben vorrangig über allgemeine Techniken funktioniert. Des Weiteren beschreibt er
(1) anregende Techniken: Hierzu zählen v. a. rhythmische bzw. schwingende Behandlungen, wobei die Art und Form des Schwingens vom behandelnden Organ abhängt und sich den unterschiedlichen Organrhythmen anpasst. Es geht um die Lockerung und Befreiung von Strukturen ohne harte Techniken.
(2) hemmende Techniken: Zumeist starke Druckpunkttechniken im Bereich versorgender Nervenzentren.
Das Skript beinhaltete weder Fotos noch Zeichnungen von Techniken. Dies erscheint aus heutiger Sicht anachronistisch, entpuppt sich jedoch nach einiger Zeit als Segen, da es die Visualisierungsfähigkeit – neben der Palpation eines der Instrumente der Osteopathie – ungemein schult.9 Stellen Sie sich dazu einfach einen TV- und computergeprägten Menschen vor, der mal einen mehrtägigen Ausflug in die Natur macht – selbstverständlich ohne jegliches Netz für die Kommunikationswerkzeuge unserer Zeit. Befremdung, Verunsicherung und ähnliche Gefühle sind da am Anfang ganz normal. Dann folgt Gewöhnung, Vertiefung und Freude. Irgendwann will man gar nicht mehr zurück. Keine Angst, das wird Ihnen nicht passieren, denn das Buch hat ja ein Ende.
DANKSAGUNG
Allen voran gilt mein Dank wie immer meinem Übersetzer Dr. Martin Pöttner und meiner Lektorin Elisabeth Melachroinakes für ihren unermüdlichen Einsatz bei diesem doch äußerst schwierigen Projekt. Trotz erheblicher Bedenken konnte das problematische Skript Littlejohns dank der beiden letztlich in eine sprachliche Form gegossen werden, die dem Autor alle Ehre machen würde. Gleiches gilt für den hervorragenden Satz durch Andreas Färber. Ein ganz herzliches Dankeschön geht auch an Albrecht Kaiser und Frank Reinisch für ihre wertvolle Hilfe in einer schwierigen Situation.
Mein Dank gilt außerdem John Wernham, da er als einziger das Erbe Littlejohns über Jahrzehnte am Leben gehalten hat. Allein ihm ist es zu verdanken, dass es auch noch heute möglich ist, die alten Littlejohn-Techniken am John Wernham College of Classical Osteopathy im Kontext mit der klassischen Philosophie zu erlernen.
Schließlich hatte ich 2005 das enorme Glück, mit Monika Reiter die einzige deutschsprachige Osteopathin kennenzulernen, die nicht nur eine Ausbildung an Johns College erfolgreich absolviert hatte, sondern zugleich Mitglied einer Liste der hervorragendsten Absolventen war. Besonders in unserer gemeinsamen Praxisarbeit und in vielen unvergesslichen Gesprächen auf ihrer wunderschönen Blumenterrasse vermittelte sie mir die Faszination und die enorme Tragweite der Bedeutung von Littlejohns Leben und Wirken. Leider war es der eigentlichen Mentorin dieses Buchs nicht mehr vergönnt, die Früchte jenes Baums mit den eigenen Sinnen zu genießen, dessen Same sie damals gepflanzt hatte. Ich meine aber beim Schreiben dieser Zeilen irgendwo in diesem Universum aus unendlich verschränkter Informationen jenes unwiderstehliche Lächeln vernehmen zu können, das in der Lage war, die Welt auf so unvergessliche Art und Weise zu verzaubern. Danke, Monika, das ist dein Buch!
Und wieder einmal ist es mir eine ebenso große Ehre wie Freude Ihnen ein in allen Belangen außergewöhnliches Werk präsentieren zu können, und ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen viel Freude bei der Lektüre!
Christian Hartmann
Pähl, September 2011
VORWORT DES ÜBERSETZERS
Den Leser/innen liegt mit der Übersetzung von Osteopathic Therapeutics: Diagnosis ein umfangreiches Werk vor, das den Blick auf die Praxis der klassischen Osteopathie ergänzt, m. E. sogar deutlich präzisiert. Aus Das große Littlejohn-Kompendium und der Psychophysiologie geht klar hervor, dass Littlejohn im philosophischen und wissenschaftlichen Kontext der Zeit einen relationalen Ansatz bevorzugt. Das bedeutet, er versteht den Menschen als Beziehungswesen, das wie alle Organismen ein Verhältnis zu sich selbst hat. Der gesamte Organismus hat ein Verhältnis zu seinen Einzelteilen – und umgekehrt. Dieses Selbstverhältnis und das Verhältnis von Organismus als Ganzem und seiner Einzelteile existieren nur, weil es ein Verhältnis beider zur Umwelt oder auch Umgebung gibt. Mithin handelt es sich beim Menschen – wie bei allen Organismen – um ein dreifaches Verhältnis von Verhältnissen, das freilich im Selbstverhältnisbereich umfassender ausgebildet erscheint.
ABB. 2: DER GANZHEITLICHE ANSATZ LITTLEJOHNS
Der Organismus Mensch als dreifaches Verhältnis von Verhältnissen. Gleichzeitigkeit von Selbstverhältnis, Verhältnis des gesamten Organismus zu seinen Einzelteilen – und umgekehrt, Verhältnis zur natürlichen, sozialen und individuellen Umwelt.
Dieser Ansatz ist mit Stills Ansatz sehr gut vereinbar (vgl. Das große Still-Kompendium, IV, 1 ff. Forschung und Praxis). Es ist aber klar, dass Littlejohn manches systematischer durchdrungen hat. Vor allem vermeidet er weithin die durchaus witzige Polemik, die für Stills Texte typisch ist.
Wie dieser Ansatz in der klinischen Praxis ausgesehen hat, zeigt sich im vorliegenden Buch sehr gut. Der Text ist zwischen 1899 und etwa 1906 überarbeitet worden, Littlejohn hat diese Vorlesung offenbar mehrmals gehalten. Der Text ist in der PDF-Version, die aus Kirksville stammt, 433 Seiten lang, z. T. sehr eng